
Es ist erst acht Uhr morgens, da sind die Bewohner von Baarle-Nassau an diesem Donnerstag bereits auf den Beinen – nicht alle, aber die Hälfte. Denn das Städtchen mit 6850 Bürgern ist zur Hälfte niederländisch, der andere Teil Baarle-Hertog gehört zu Belgien. Die Grenze verläuft mitten durch den Ort, mitten durch Wohnzimmer und Gastwirtschaften, mitten durch öffentliche Gebäude. Und weil die Niederlande zusammen mit Großbritannien traditionell an einem Donnerstag wählen, beginnen die Europawahlen eben nur in der einen Hälfte der Gemeinde, während die andere - wie das übrige Belgien – erst am Sonntag zu den Urnen geht.
Aaron (45) gehört zu denen, die schon früh auf den Beinen sind: „Europa hat uns ein normales Miteinander gebracht, ich will, dass das weitergeht. Denn es war nicht immer so.“ Und dann erzählt er von jenen Zeiten, als niederländische Restaurants früher schließen mussten als belgische. In Baarle-Nassau und Baarle-Hertog hieß das, „die Leute mussten in einigen Gasthäusern zwischendurch die Tische wechseln, damit sie auf der Seite saßen, auf der man noch länger essen durfte.“
Gemächlicher Start
13,5 Millionen Einwohner des Oranje-Staates waren gestern zur Wahl gerufen. Schlangen gab es bis zum frühen Nachmittag nicht. Dennoch erzählten Mitarbeiter der Wahlbüros in der Hauptstadt Den Haag, in Amsterdam und Maastricht nahe der Grenze zu Aachen, dass die Bürger „ununterbrochen hereinströmten“. Vor fünf Jahren erlebten die Rechtspopulisten der „Partei für die Freiheit“ (PVV) mit ihrem umstrittenen Vorsitzenden Geert Wilders ein Desaster. Glaubt man den Umfragen, könnten die ersten Trends, die am späten Abend bekanntgegeben werden sollten, allerdings einen deutlichen Rechtsruck zeigen.
Doch im Wahlkampf war es nicht Wilders, der zum Sammelbecken der EU-Gegner wurde, sondern der 36-jährige Thierry Baudet, Vorsitzender der Partei „Forum für Demokratie“ (FvD). Im Vorfeld des Urnengangs lag er mit 15 Prozent gleichauf mit der konservativ-liberalen VVD von Ministerpräsident Mark Rutte. Der sozialdemokratischen Partei der Arbeit (PvdA) wurde eine Wiederauferstehung prophezeit. Nachdem sie bei den vergangenen Wahlen auf fünf Prozent abstürzte, gaben nun 13 Prozent der befragten Bürger an, die Sozialdemokraten zu wählen. Es wäre ein wichtiges Auftaktsignal – vor allem für Frans Timmermans, den ehemaligen Außenminister der Niederlande, der in den zurückliegenden fünf Jahren Vizepräsident der Europäischen Kommission war und von seinen Genossen zum Spitzenkandidaten der europäischen Sozialdemokraten ernannt wurde.
Enttäuschte Wilders-Anhänger
Und noch ein Trend deutete sich gestern an, den vor allem die großen Parteienfamilien als ein Zeichen für die Abstimmung in den übrigen Mitgliedstaaten ersehnt hatten. Vor fünf Jahren sank die Wahlbeteiligung in den Niederlanden auf magere 37 Prozent (EU: 43 Prozent, Deutschland: 48 Prozent). „Das übertreffen wir dieses Mal deutlich“, gab sich ein Wahlvorsteher in der Hauptstadt am Mittag optimistisch. Die Niederländer entsenden 26 Abgeordnete in das neue Europäische Parlament, von dem befürchtet wird, dass etwa ein Viertel aller Sitze an rechte und nationalistische Parteien gehen könnten.
Aber Wilders, der sich im Vorfeld bereits mit Frankreichs rechter Ikone Marine Le Pen und dem italienischen Lega Nord-Chef Matteo Salvini zusammentat, um eine starke rechte Fraktion zu bilden, scheint zumindest im eigenen Land ausgedient zu haben. Mehrere zehntausend enttäuschte Anhänger haben sich dem jüngeren Baudet angeschlossen, dessen Sympathien ganz und gar beim ungarischen Premierminister Viktor Orbán liegen. Der „neue Wilders“, wie der Newcomer oft genannt wird, gilt als strikter EU-Gegner und will einen Volksentscheid über einen Ausstieg des Oranje-Staates aus der EU erreichen.