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BERLIN
„Die EEG-Umlage sollte auslaufen“
Martin Ferber
Martin Ferber
 |  aktualisiert: 18.06.2017 03:29 Uhr

Mehr Ökostrom, ohne dass die Strompreise weiter steigen, sondern sogar langfristig wieder sinken: Mit einem radikalen Systemwechsel bei der Förderung des Stroms aus erneuerbaren Energien will der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie, Utz Tillmann, erreichen, dass Deutschland seine Klimaschutzziele schafft, ohne dass dies zu einer Mehrbelastung der Stromkunden führt. Die mussten nämlich allein im vergangenen Jahr zusätzlich zum Strompreis rund 25 Milliarden Euro für die EEG-Umlage aufbringen. Der Energieexperte fordert, das EEG in seiner bisherigen Form für neue Anlagen „komplett ad acta“ zu legen.

Frage: Herr Tillmann, die Große Koalition hat in der abgelaufenen Legislaturperiode das EEG reformiert. Wie erfolgreich war diese Reform?

Utz Tillmann: Die Große Koalition hat einiges bewegt, das gilt auch mit Blick auf die Entlastungsregelungen für die stromintensive Industrie. Die Annäherung an die Märkte funktioniert, wie sich zeigt. Die Erzeuger von Ökostrom kommen mit deutlich weniger Förderung aus. Das ist positiv. Aber es gibt noch genügend Punkte, die nicht ordentlich laufen.

Die nächste Regierung muss eine umfassende Reform des EEG in Angriff nehmen, um die Kinderkrankheiten, die unverändert existieren, zu beseitigen, und den Fördermechanismus so gestalten, dass sich die Kostenspirale nicht weiter nach oben dreht.

Bei der Ausschreibung eines Offshore-Windparks erhielt jüngst ein Betreiber den Zuschlag, der völlig ohne EEG-Umlage auskommt. Ist das der Anfang vom Ende der Umlage?

Tillmann: Das kann ich noch nicht beurteilen. Die Frage ist: Wo stehen wir heute beim Ausbau der erneuerbaren Energien und wo wollen wir hin? Der Anteil des Ökostroms wird weiter steigen, und dieser Ausbau wird auch weiterhin nicht ohne Förderung auskommen. Dass die Förderhöhe mittlerweile sinkt, ist ein Erfolg, der durch das neue Ausschreibungsmodell möglich geworden ist.

Sie haben die Kinderkrankheiten des EEG angesprochen, die eine neue Regierung beseitigen muss. Woran denken Sie?

Tillmann: Wir brauchen ein völlig neues Finanzierungssystem, weil das bisherige System in dieser Form nicht fortgesetzt werden kann. Zweitens den Einspeisevorrang überprüfen: Die Erneuerbaren-Erzeuger müssen Verantwortung übernehmen, wenn sie nicht liefern können.

Außerdem brauchen wir eine enge Koordination und eine Synchronisation von Ökostromproduktion und Netzausbau. Derzeit sind die Netze kaum mehr in der Lage, den Strom noch aufzunehmen. Ein Autobauer produziert ja auch nicht mehr Motoren als Fahrgestelle. Beides muss Hand in Hand gehen. Und es kann nicht sein, dass Anlagen, obwohl sie noch nicht am Netz angebunden sind, gefördert werden. Das muss aufhören.

Sie fordern bei der Finanzierung der EEG-Umlage, deren Volumen sich im letzten Jahr auf 25 Milliarden Euro belief, einen Systemwechsel. Wie soll der aussehen?

Tillmann: Das bisherige Finanzierungssystem für Neuanlagen muss komplett ad acta gelegt werden. Die EEG-Umlage in ihrer bestehenden Form sollte auslaufen. Das hat zur Folge, dass ab einem bestimmten Stichtag die EEG-Umlage nicht mehr weiter steigt, sondern mit dem Ende der Förderung Jahr für Jahr stetig abnimmt. Damit könnte der Strompreis für die privaten wie die gewerblichen Kunden langfristig billiger werden.

Und was passiert mit den Neuanlagen?

Tillmann: Die Förderung der Neuanlagen erfolgt aus dem Bundeshaushalt. Das Ausschreibungsmodell funktioniert, wie wir sehen. Die Fördersätze gehen nach unten. Das eröffnet die Chance, mit relativ kleinem Budget im Bundesetat den weiteren Ökostromausbau, den wir alle wollen, zu finanzieren. Zudem baut sich die Fördersumme relativ langsam auf, was für den Finanzminister verkraftbar ist.

Allein in die EEG-Umlage sind bislang rund 250 Milliarden Euro geflossen. War das die teuerste Form der Energiewende und hätte man den Umstieg vom Atom- zum Ökostrom billiger bekommen können?

Tillmann: Das war in der Tat ein überaus teurer Weg, den wir eingeschlagen haben. Wir haben sehr viel Lehrgeld bezahlen müssen. Alle anderen Volkswirtschaften können von unseren Fehlern lernen. So gesehen haben wir für die anderen die Rechnung bezahlt. Wir hätten die Energiewende günstiger haben können, wenn wir bei der EEG-Umlage sehr viel früher und sehr viel deutlicher umgesteuert hätten.

Die Grünen, Umwelt- und Naturschutzverbände sowie Klimaschützer fordern nach dem Ausstieg aus der Atomkraft auch den Ausstieg aus Braun- und Steinkohle. Ist das überhaupt vorstellbar?

Tillmann: Auf fossile Energieträger sofort zu verzichten ist Quatsch. Wir sind derzeit weder beim Ausbau der Erneuerbaren und der Netze noch bei der Speichertechnik so weit, dass wir auf eine sichere Versorgung durch fossile Kraftwerke verzichten könnten. Wir brauchen Strom rund um die Uhr, nicht nur wenn die Sonne scheint und der Wind weht. Wir können es uns nicht erlauben, alle bisherigen Energieträger gleichzeitig über Bord zu werfen. Gas wäre zwar mit Blick auf den Klimaschutz viel besser als Kohle, ist aber deutlich teurer.

Wie wird der Strom in 20, 30 Jahren erzeugt?

Tillmann: Es wird deutlich mehr Ökostrom produziert werden, aber wir werden auch noch fossile Energieträger einsetzen müssen. Und wenn wir, was politisch gewollt ist, in den nächsten 20, 30 Jahren die Automobilflotte auf Strom umstellen wollen, und erneuerbaren Strom auch verstärkt in anderen Bereichen einsetzen möchten, brauchen wir sehr viel mehr Strom als heute. Das heißt, auch bei den Erneuerbaren muss der Zubau sehr viel rascher erfolgen.

Zur Person

Utz Tillmann (63) ist Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) und gilt als ausgewiesener Energieexperte. Zuvor nahm der promovierte Biologe bei der BASF Führungsaufgaben im Umweltbereich wahr. Er war drei Jahre Executive Director des europäischen Chemieverbandes Cefic in Brüssel, bevor er als Senior Vice President für die Verbands- und Regierungsbeziehungen von BASF SE zu Umweltfragen zuständig wurde. Von 2006 bis 2008 verantwortete er für alle BASF-Standorte weltweit die Sicherheit und Gefahrenabwehr. fer/Foto: VCI
 
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