Mit der Neuwahl ihrer Parteichefs wollen die Grünen auf ihrem Bundesparteitag in Hannover einen Neubeginn nach den gescheiterten Jamaika-Gesprächen markieren. Die Parteichefs Cem Özdemir und Simone Peter hören auf, und die rund 825 Delegierten müssen über eine Satzungsänderung entscheiden, die Robert Habeck den Weg an die Parteispitze ebnen soll.
„Mit der Neuaufstellung leiten wir Grünen einen Wechsel ein“, sagte der frühere Spitzenkandidat und Bundesumweltminister Jürgen Trittin der „Passauer Neuen Presse“ (Freitagsausgabe). „Es gilt, die Partei für die Zeit nach der nächsten Großen Koalition aufzustellen.“ Ziel müsse sein, eine weitere GroKo zu verhindern, dafür müssten die Grünen wachsen.
Dafür setzt ein großer Teil der Partei auf Habeck. Der hat für seine Kandidatur aber zur Bedingung gemacht, dass er eine Übergangsfrist bekommt, in der er schleswig-holsteinischer Umweltminister und Parteichef zugleich sein darf, das kommt nicht überall gut an.
Neben Habeck kandidieren die Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock und die niedersächsische Fraktionschefin Anja Piel. Alle drei träten an, „um den gesamten Laden zu vertreten“, sagte Piel der Deutschen Presse-Agentur. „Wenn man in so einem Amt ist, hat man die Verantwortung nicht nur für die beiden Flügel, sondern auch für diejenigen in der Partei, die sich keinem Flügel zugehörig fühlen.“ Die Wahl ist am Samstag.
Baerbock sagte den Zeitungen der „Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft“, sie trete auch an, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Piel befürwortete in der „Rheinischen Post“ höhere Steuern für Besserverdienende und Reiche, um mehr Geld für Soziales und Bildung ausgeben zu können. „Und wir müssen bei den Renten Lücken schließen, insbesondere bei Frauen, die durch gebrochene Erwerbsbiografien zu wenig Rente bekommen.“
Während die Grünen auf Aufbruchsignale in Hannover hoffen, geht die Mehrheit der Bundesbürger einer Umfrage zufolge davon aus, dass der Führungswechsel nicht viel neue Impulse für künftige Wahlen bringen wird.
So sagen 67 Prozent, dass die Grünen mit einer neuen Parteispitze nicht besser aufgestellt sein werden, wie aus dem „Deutschlandtrend“ für das ARD-„Morgenmagazin“ hervorgeht. Unter den Grünen-Anhänger erwartet knapp die Hälfte (44 Prozent) von der künftigen Führung neue Impulse für kommende Wahlen, 52 Prozent rechnen nicht mit wesentlichen Veränderungen.
Wenn am Sonntag gewählt würde, kämen die Grünen laut „Deutschlandtrend“ unverändert auf elf Prozent. In anderen Umfragen liegen sie zwischen zehn und zwölf Prozent. Bei der Bundestagswahl im September hatte die Ökopartei 8,9 Prozent geholt. Sie stellt die kleinste der sechs Fraktionen im Bundestag.
Robert Habeck ist praktisch gesetzt. Und um den zweiten Spitzenplatz konkurrieren zwei Frauen. Mann, Frau, Realo und Fundi – so sieht die idealtypische Grünen-Doppelspitze aus. Bisher war das so, Ober-Realpolitiker Cem Özdemir teilte sich das Amt mit Simone Peter vom linken Fundi-Flügel. Weil Robert Habeck sich zwar selbst keinem Flügel zuordnen lassen will, aber eher als Realo gilt, hätte Fundi-Frau Anja Piel eigentlich die besseren Karten.
Annalena Baerbock: Realo
Doch Annalena Baerbock, die als Realo-Grüne gilt, hat in der Partei viele Freunde. Quer durch die Lager gilt die 37-jährige Potsdamerin als smarte Nachwuchshoffnung. Als Teilnehmerin an den heiklen Klima-Verhandlungen in den Sondierungsgesprächen über eine Jamaika-Koalition überzeugte sie zuletzt sogar Vertreter der Union mit ihrer sachlich-bestimmten Art.
Auf den ersten Blick wirkt Baerbock weniger wie eine Öko-Politikerin, sonder eher wie eine erfolgreiche Geschäftsfrau. Doch schon in ihrer Kindheit in einem niedersächsischen Dorf spielten alternative Ideen ein wichtige Rolle: Ihre Eltern nahmen sie mit zu Anti-Atom-Demos, später schwärmte sie für Greenpeace. Zur Parteipolitik fand sie erst nach ihrem Studium der Rechts- und Politikwissenschaften in Hamburg und London. Als Mitarbeiterin der Grünen-Europaabgeordneten Elisabeth Schroedter arbeitete sie in Brüssel und Potsdam.
Als ihr politisches Erweckungserlebnis bezeichnet sie jenen 1. Mai 2004, an dem der damalige Grünen-Außenminister Joschka Fischer auf der Oder-Brücke mit seinem polnischen Amtskollegen die EU-Osterweiterung feierte. Kurz darauf trat sie selbst in die Partei ein, 2013 wurde sie über die brandenburgische Landesliste in den Bundestag gewählt. Die Mutter zweier Töchter (zwei und sechs Jahre alt) war im Dezember selbstbewusst mit ihrer Bewerbung vorgeprescht.
Anja Piel: Fundi
Anja Piel dagegen warf ihren Hut erst in den Ring, als mit Simone Peter eine andere Fundi-Grüne ihren Rückzug verkündete. Piel, die gelernte Industriekauffrau ist, setzt auf Umverteilungsthemen und pflegt ein deutlich linkes Profil. Die 52-jährige Mutter von zwei Kindern ist seit 2013 Fraktionschefin der Grünen im niedersächsischen Landtag, gilt als krisenerfahren und ausgleichend.
Das Prozedere des Parteitags sieht vor, dass in einem ersten Wahlgang Baerbock und Piel gegeneinander antreten. In der Partei wird eher damit gerechnet, dass Annalena Baerbock hier die Nase vorn hat. Sollte es so kommen, will Anja Piel im zweiten Durchgang nicht gegen Robert Habeck antreten. Nur in dem Fall, dass Habeck gar nicht antritt, will Piel für den Platz der zweiten Vorsitzenden kandidieren.
Mit Informationen von dpa