Esra Schaer hatte einen letzten Willen: Sein Enkel solle doch bitte auf dem Nationalfriedhof in Jerusalem begraben werden, flehte der gramgebeugte Mann. Schließlich sei der 16 Jahre alte Gilad Opfer eines heimtückischen Attentats von nationaler Bedeutung gewesen. Doch die Armee lehnte ab. Es wäre unmöglich, Gilad und die zwei anderen Opfer des jüngsten palästinensischen Mordanschlags, den 16 Jahre alten Naftali Frenkel und den 19 Jahre alten Ejal Jifrach, auf dem Soldatenfriedhof beizusetzen. Denn die Jugendlichen waren niemals Soldaten.
Schaers Bitte war ungewöhnlich, doch sie bietet einen Einblick, welche Bedeutung Israelis der Entführung und Ermordung der drei Jugendlichen beimessen. Bürger und Politiker fordern, so hart wie noch nie gegen die Organisation vorzugehen, die hinter der Tat vermutet wird: Israels altbekannter Erzfeind, die radikal-islamische Hamas. Ebenso vertraut wie der Feind waren die Mittel, die jetzt wieder eingesetzt werden sollen.
Häuser in Hebron gesprengt
Israelis und Palästinenser verfallen nach langen Jahren der Ruhe wieder in alte Verhaltensmuster. In Jerusalem gestattete Israels Oberster Gerichtshof am Montag der Armee, das Haus von Siad Awad zu zerstören. Der Hamas-Aktivist, der im Rahmen eines Gefangenenaustauschs freigekommen war, hatte im April einen israelischen Polizisten auf einem Familienausflug erschossen und dessen Frau und Kinder verletzt. Schon seit Jahren hat Israel keine Häuser palästinensischer Terroristen mehr abgerissen. Nicht nur, weil diese Praktik international und im Inland heftig umstritten ist, sondern auch, weil sie scheinbar niemanden davon abhält, Attentate zu begehen. Doch nun ist alles wieder beim Alten. Schon in der Nacht zuvor hatten Soldaten die Häuser zweier Hamas-Aktivisten in Hebron gesprengt. Sie gelten als Hauptverdächtige in der Entführung und dem Mord der drei israelischen Jugendlichen, deren Leichen in der Nacht zum Montag nach 18 bangen Tagen entdeckt wurden.
Nicht nur die Sprengung von Häusern ist wieder an der Tagesordnung: Zeitungen titeln mit denselben Schlagzeilen wie seit Jahren. Islamisten schossen aus dem Gazastreifen zig Raketen auf israelische Städte, Israel reagierte mit eskalierenden Bombardements. Derweil fordern Hardliner, Hamas-Aktivisten abzuschieben, das Netzwerk der radikal-islamischen Organisation zu zerschlagen, vielleicht sogar den Gazastreifen zu erobern. Und Siedler drängen darauf, Terror mit Siedlungsbau zu beantworten. Doch all dies wird die Hamas jetzt so wenig zerschlagen wie in den letzten 30 Jahren. Während der Zweiten Intifada gelang es Israel zwar, die Mehrheit der Terrorzellen zu fassen und die Zahl der Anschläge fast auf null zu reduzieren. Doch der Rückhalt in der Bevölkerung blieb der Hamas erhalten. Und so war es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Organisation wieder erholte und zuschlug.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu weiß das. Im Gegensatz zu seinem harten Image wägt er militärische Schritte behutsam ab. Eine nächtliche Krisenkabinettssitzung vertagte er, um die Gemüter zu beruhigen. Denn ein zu harter Schlag gegen die Hamas kann nicht in seinem Interesse sein. Die Islamisten bieten ihm nämlich etwas, das in Nahost inzwischen sehr rar geworden ist: Während der Libanon zerfällt, Syrien im Chaos versinkt, im Sinai Anarchie herrscht und der Irak sich in einen Terrorstaat verwandelt, der Jordanien in seinen Mahlstrom zu saugen droht, liefert die Hamas im Gazastreifen vorerst die Anschrift einer Zentralregierung, die man abschrecken und in Schach halten kann.
Angst vor massiver Vergeltung
Netanjahu weiß, dass seine Drohungen auf der anderen Seite des Stacheldrahtzauns gehört werden und Folgen haben. Schon bemüht sich die Hamas, die anderen Islamisten in Gaza vom Raketenbeschuss Israels abzuhalten – aus Angst vor massiver Vergeltung. Wer würde diese Rolle übernehmen, wenn die Islamisten gestürzt würden? So hallten Israels Bombardements zwar in aller Welt wieder und waren massiv wie schon lange nicht mehr. Dennoch kamen sie wohl für niemanden überraschend und zerstörten nur leere Militäreinrichtungen, die Stunden zuvor geräumt worden waren.
Viele mögen sich wünschen, dass der Mord an den drei Jugendlichen zu einem Wendepunkt im Konflikt werden möge. Doch trotz der Angst vor einer Eskalation wird auch dieses Attentat keinen bedeutenden Wandel bewirken, sondern sich nur in eine lange Routine blutiger Anschläge und harter Vergeltung einreihen, die das Land seit Jahrzehnten in einem Teufelskreis heimsuchen. Das ist, was allgemein als „Nahostkonflikt“ bezeichnet wird.