An der Grenze fallen Schüsse. Für fünf Kinder und drei Erwachsene hat der Fahrer des ungarischen Kleinbusses seinen Schlepperlohn kassiert. Er versprach, sie noch am Samstag nach Österreich zu bringen. Doch kurz vor dem Grenzübergang Kittsee entdecken slowakische Polizisten das Fahrzeug. Als es nicht anhält, schießen sie. Der Fahrer kommt von der Straße ab. Der Kleinbus überschlägt sich. Sieben Flüchtlinge werden teils schwer verletzt ins Krankenhaus nach Bratislava gebracht.
Dem Fahrer drohen bis zu zehn Jahre Haft. Die Flüchtlinge kommen in Lager in die Slowakei, die aktuell die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Vielleicht werden sie nach Ungarn zurückgebracht; denn dort hatten sie schon Asylanträge gestellt. Vermutlich werden sie es später wieder versuchen. Ihr Ziel ist zweifellos Deutschland.
Leise und heimlich
Die Flucht über die Balkanroute erfolgt leiser und heimlicher, als im vergangenen Jahr: „Jeden Tag greifen wir an der österreichisch-ungarischen Grenze zehn bis fünfzehn Personen auf“, sagt Wolfgang Bachkönig von der Landespolizei in Eisenstadt im Burgenland. Häufig werden Flüchtende an der grünen Grenze gefasst. Wie im vergangenen Sommer sieht man Menschen auf dem Seitenstreifen der Autobahn gehen.
„Das ist der sicherste Weg, nach Wien oder nach Westen zu gelangen, wenn man den Weg nicht kennt“, berichtet Hussein, der so in ein Wiener Caritasheim gelangt ist.
Hilfsorganisationen hören immer wieder von Misshandlungen der Flüchtenden durch die Polizei in Ungarn, der Slowakei und Serbien. Flüchtlinge würden mit gebrochenen Armen oder Beinen abgeschoben. Aus Lagern in der Slowakei häufen sich Berichte, nach denen Flüchtlinge geschlagen werden. Schon im Mai hatten Polizisten an der slowakisch-ungarischen Grenze eine Frau aus Syrien angeschossen.
Vor einer Woche ist bei Neusiedl am See ein kleiner, geschlossener Kastenwagen gestoppt worden, der in Rumänien zugelassen war. Achtzehn Menschen, darunter ein einjähriges Kleinkind, waren ohne Wasser und Verpflegung darin mehr als sieben Stunden lang eingepfercht. Die neun afghanischen Staatsbürger, sieben Syrer, ein Ägypter und ein Kurde wollten nach Deutschland. Die Behörden und Helfer schlagen Alarm: Eine Tragödie wie vor einem Jahr, als 71 erstickte Flüchtlinge tot in einem solchen Kastenwagen gefunden wurden, soll sich nicht wiederholen.
Doch schon jetzt hat allein die burgenländische Polizei 84 Schlepper geschnappt, fast so viele wie zu jener Zeit, bevor die Grenzen Richtung Deutschland geöffnet wurden. Die Schlepper stammen zum größten Teil aus Ungarn, Rumänien und Pakistan. Die Flüchtlinge aus Afghanistan, Pakistan und Syrien.
„An der Grenze gibt es derzeit keine Staus“, sagt Polizist Bachkönig. „Aber Polizei und Bundesheer kontrollieren natürlich die Grenzen.“ Unter diesen Kontrollen leidet das österreichisch-ungarische Verhältnis. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban bemüht sich in der Flüchtlingskrise um Härte, in seinem Land die rechtsextreme Jobbikpartei nicht zu stark werden zu lassen. Die gilt vielen auch als Hauptgrund, weshalb er für Oktober eine Volksabstimmung angesetzt hat, ob sich Ungarn an einer Verteilung von Flüchtlingen auf EU-Ebene beteiligen soll.
Serbien protestiert
Vergangene Woche wurde in der Gegenrichtung der Verkehr aus Österreich kontrolliert. Stundenlang mussten Urlauber und Lastwagen warten. Die Lkw-Schlange war elf Kilometer lang. Ungarn protestierte auf diese Weise laut Außenminister Peter Szijjarto gegen die österreichischen Grenzkontrollen. Ungarn mache an der serbischen und kroatischen Grenze, also an der Schengen Grenze, „seinen Job“. Daher seien die lästigen Kontrollen an der Grenze von Ungarn nach Österreich nicht nötig, sagte er. Zu diesem „Job“ gehört offenbar, dass Ungarn seit vergangenem Dienstag Flüchtlinge ohne Verfahren nach Serbien und Kroatien abschiebt. Wer illegal über die Balkanroute kommt und bis zu acht Kilometer hinter der Grenze aufgegriffen wird, gilt nach ungarischer Rechtsauffassung nicht als offiziell eingereist. Die Abschiebung nach Serbien sei deshalb nicht völkerrechtswidrig. Die UN in Belgrad haben schon kritisiert, dass Ungarn täglich nur 30 Personen aus Serbien einreisen lässt und innerhalb von zwei Tagen 130 Menschen ohne Verfahren zurück abgeschoben hat.
Die serbische Regierung protestiert gegen Ungarns Verfahren. Serbien wolle nicht zur Pufferzone für abgeschobene Flüchtlinge werden.