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Die Angst vor Hunger und Armut
Pat Christ
Pat Christ
 |  aktualisiert: 04.03.2015 19:24 Uhr

Trotz des Menschenrechts auf Nahrung sterben nach wie vor vier Millionen Menschen auf der Welt an Mangel- oder Unterernährung. Seit 1986 verweist die Organisation FIAN (FoodFirst Informations- & Aktions-Netzwerk) auf die grundlegenden Ursachen des Hungers. Im Vorfeld des G 7-Gipfels im Juni in Elmau organisiert FIAN vom 6. bis 8. März die Fortbildung „Gipfelstürmer“ in Würzburg, bei der es ebenfalls um diese Thematik gehen wird. An der Vorbereitung ist FIAN-Referentin Gertrud Falk beteiligt.

Frage: Frau Falk, Ihre Organisation beobachtet, dass sich die staatliche Bekämpfung von Hunger und Armut gerade im ländlichen Raum deutlich verändert hat. Wie unterscheidet sie sich heute denn von früheren Jahren?

Gertrud Falk: Staatliche Entwicklungszusammenarbeit zur Bekämpfung von Hunger und Armut im ländlichen Raum orientiert sich zunehmend an den Interessen der Agrarindustrie. Unternehmen werden heute nicht mehr nur als Partner in bereits ausgearbeitete Projekte eingebunden. Sie dürfen Programme und Projekte mitentwerfen. Was auf den ersten Blick wie ein Projekt zur Hungerbekämpfung aussieht, entpuppt sich bei genauer Betrachtung oft als Türöffner für Agrarunternehmen. Es geht also um neue Absatzmärkte. Gleichzeitig wird die Intransparenz der Projekte erhöht, weil die Unternehmen sich nicht gerne auf bestimmte Maßnahmen festlegen und Daten nicht veröffentlichen wollen.

Es ist jetzt fast drei Jahre her, dass die großen Industriestaaten und Russland in Camp David die „Neue Allianz für Ernährungssicherung“ beschlossen haben. Sehen Sie bereits Auswirkungen dieser Initiative? Wenn ja, welche?

Falk: Wir haben die Programmunterlagen analysiert und sind zum Ergebnis gekommen, dass die „Neue Allianz“ sehr wahrscheinlich Hunger verursachen oder verschärfen wird. Dieser Schluss liegt zum Beispiel für Mosambik nahe. Die mosambikanische Regierung musste sich im Rahmen der „Neuen Allianz“ bereit erklären, die Verteilung von kostenlosem Saatgut an Kleinbauern einzustellen.

Gibt es noch weitere Beispiele?

Falk: Ein konkretes weiteres Beispiel für Menschenrechtsverletzungen durch die „Neue Allianz“ ist die Anlage einer 30 000 Hektar großen Reisplantage in Nigeria. Laut Berichten von „Grain“, einer spanischen Organisation, die sich für Kleinbauern einsetzt, wurde die örtliche Bevölkerung nicht in die Planungen einbezogen. Die Vereinbarungen zwischen den nigerianischen Behörden und dem beteiligten US-Unternehmen wurden bisher nicht veröffentlicht. Dieses Vorhaben bedroht das Recht auf Nahrung der betroffenen Gemeinden, die der Plantage Platz machen sollen.

Die Orientierung an den Interessen transnationaler Agrobusinesskonzerne scheint für die ländliche Bevölkerung generell bedrohlich zu sein.

Falk: Ja, denn es bedeutet eine Abhängigkeit von den Unternehmen. Die Menschen sollen zum Beispiel sogenannte „outgrower“ werden, die vorgegebene Produkte in vorgegebener Weise für Unternehmen anbauen. Dazu müssen sie in der Regel auch Dünger und Agrargifte der Unternehmen kaufen. Außerdem werden anstelle von vielfältigem Nahrungsmittelanbau angereicherte Nahrungsmittel und Nahrungsergänzungsmittel gefördert. Schließlich wird der Zugang der Menschen zu natürlichen Ressourcen wie Land, Wasser und Feuerholz verhindert oder zumindest eingeschränkt.

Gibt es denn Widerstand?

Falk: Ja, aber er wird kriminalisiert. Oft begegnet man dem Protest der betroffenen Bevölkerung mit Polizeigewalt.

Bei Ihrem Workshop in Würzburg wollen Sie auf kleinbäuerliche Bewegungen zur Hungerbekämpfung aufmerksam machen. Auf welche?

Falk: Die Regierung Malawis subventioniert zum Beispiel Kleinbauern die Umstellung auf Agroforstwirtschaft. Das bedeutet, dass auf Äckern Bäume angepflanzt werden. Dadurch brauchen viele Sorten weniger Dünger und sind nicht so anfällig für Schädlinge. Diese Anbauweise ist daher für ärmere Landwirte besonders geeignet. Allerdings dauert es in der Regel drei Jahre, bis Erträge erwirtschaftet werden können. Die malawische Regierung fördert umstellungsbereite Bauern konkret dadurch, dass sie günstige Düngemittel zur Verfügung stellt.

Am 7. und 8. Juni wird sich im bayerischen Elmau die „Gruppe der Sieben“ treffen. Menschenrechtsorganisationen befürchten, dass die Politik der G 7-Staaten die Kluft zwischen Überfluss und Mangel in der Welt weiter verschärfen wird. Worauf gründet sich denn diese Befürchtung?

Falk: Auf die Kooperation mit Konzernen. Große Unternehmen, die ja meist über viel Kapital verfügen, versuchen zunehmend, Politiker der Regierungen der G 7-Staaten zu beeinflussen, um ihre Interessen durchzusetzen. Wir haben in Deutschland in den letzten Monaten deshalb zum Beispiel eine Debatte darüber geführt, wie schnell Politiker nach ihrem Ausscheiden Posten in Unternehmen annehmen sollen. Manche Wechsel erfolgten ja nahtlos. Gleichzeitig stellen Konzerne den Ministerien auch eigene Mitarbeiter zur Verfügung.

Wie leicht oder schwierig wird es nach Ihrer Ansicht denn sein, Menschen zu mobilisieren, gegen den G 7-Gipfel zu protestieren?

Falk: Ich denke, dass es umso leichter ist, wenn man auf konkrete Auswirkungen der Politik der G 7-Staaten hinweisen kann, wie zum Beispiel auf die Bedrohungen und Verletzungen von Menschenrechten.

Bei einem zweiten FIAN-Seminar in München soll es auch darum gehen, gewaltfreie Aktionsformen zu entwickeln. Könnten Sie hierfür ein Beispiel nennen?

Falk: Beispiele dafür sind Flashmobs oder verstecktes Theater. Bei Letzterem beginnt man an passenden Orten Diskussionen, um die Menschen im Umfeld auf etwas aufmerksam zu machen.

Gertrud Falk

Die 50-Jährige ist seit 2004 als Referentin für FIAN Deutschland tätig. Im Jahr 2003 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF). Studiert hat Gertrud Falk Sozialwissenschaften, Volkswirtschaft und Französisch an der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg und der Université Charles de Gaulle in Lille. Text: pat / Foto: FIAn

 
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