
Peter Pilz, 65, einst ein akribischer politischer Aufdecker und Leiter des Eurofighter Untersuchungsausschusses, war eigentlich politisch schon weg vom Fenster. Er hatte 2017 die Grünen verlassen und die wenig erfolgrei- che "Liste Jetzt" gegründet. Sie sichert ihm noch ein Abgeordnetenmandat. Mittels diesen Mandats hat er jetzt einen Misstrauensantrag gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz angekündigt. "Mit den Folgen des Ibiza-Videos ist nicht nur die Freiheitliche Partei gescheitert, sondern die gesamte Bundesregierung", so die Begründung. Hätte Kurz daraus gelernt, "hätte er eine Garantie abgegeben, dass es nach Neuwahlen keine Koalition mit den Freiheitlichen geben werde".
Misstrauensanträge gegen die Regierung Kurz/Strache und besonders gegen INnenminister Kickl waren in den vergangenen Monaten zwar an der Tagesordnung. Doch dieser könnte heikel werden. Wenn die FPÖ am Montag nach der Europawahl den Misstrauensantrag stützen sollte, könnte es eng für Kurz werden. Denn die FPÖ fühlt sich von ihm vor die Tür gesetzt.
Für Expertenregierung
Nach Vorstellung von Pilz soll nach einem gelungenen Misstrauensvotum eine Übergangsregierung von Experten die Geschäfte führen. Auch die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi - Wagner hat sich für eine Expertenregierung ausgesprochen. Nur die Chefin der Neos Beate Meinl-Reisinger hat bereits abgewunken. Auf politische Spielchen wolle sie sich nicht einlassen. "Die Neos werden nicht aus einer Regierungskrise eine satte Staatskrise machen", teilte sie mit. Allein die Stimmen von ÖVP und Neos werden jedoch nicht reichen. "Es müssen noch einige Großkoalitionäre aus der SPÖ dazukommen", sagt Erhard Busek, früherer Vizekanzler der ÖVP. Er wäre selbst für eine Koalition aus ÖVP und SPÖ, sieht aber kaum Chancen dafür. "Früher hätte man gesagt, du bist jetzt in einer schwierigen Lage, da reden wir uns zsamm." Rendi-Wagner agiere viel zu konfrontativ.
Doch das ist möglicherweise auch dem Europawahlkampf geschuldet. Nach einer Umfrage des "Research Affairs Institut" zwischen dem 18. und 20. Mai könnte die ÖVP um vier Prozent auf 38 Prozent zulegen, wäre am Sonntag Wahl. Die SPÖ käme auf 26 Prozent, die FPÖ verlöre fünf Prozent und käme auf achtzehn, die Neos auf neun und die Grünen auf fünf Prozent und wären damit wieder im Parlament.
Bundespräsident als Taktgeber
Dennoch ist die Stimmung in Österreichs Politik angespannt. Bundespräsident van der Bellen, der viel Vertrauen genießt, gibt derzeit den Takt vor. Gestern Nachmittag empfing er nach Kanzler Kurz, Innenminister Kickl, den Präsidenten des Nationalrates Wolfgang Sobottka Pamela Rendi-Wagner, als Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPÖ und Norbert Hofer als designierten FPÖ-Chef. Am Dienstag werden Beate Meinl-Reisinger, Neos, und Maria Stern, "Liste Jetzt" mit ihm sprechen.
Es geht darum, die vier Monate bis zu den Neuwahlen ohne Turbulenzen und ohne Beteiligung der FPÖ zu überbrücken. Sie setzt derzeit alles daran, im politischen Spiel zu bleiben. Seit klar ist, dass nicht nur Heinz Christian Strache und sein Vertrauter Johann Gudenus den Hut nehmen müssen, sondern auch Innenminister Herbert Kickl, wird trotzig nicht mehr mit dem innerkoalitionären Florett, sondern mit dem Säbel gefochten.
Passend dazu sagte gestern der ungarische Regierungschef Orban, der sich in den vergangenen Wochen als großer FPÖ-Freund entpuppte und den der künftige FPÖ-Vorsitzende Norbert Hofer gestern in Budapest eigentlich besuchen wollte: "Unsere österreichischen Freunde kommen jetzt nicht zu uns, da dort eine außerordentliche Jadgsaison eröffnet wurde."
Verhalten unentschuldbar
Der von Kurz kritisierte FPÖ-Innenminister Herbert Kickl zeigte seine Aggressionen gegen Kurz gestern Vormittag offen. Er sprach von einer „kalten und nüchternen Machtbesoffenheit“ bei der ÖVP. Die FPÖ habe ihren Teil des Koalitionsabkommens immer eingehalten. Das Verhalten von Strache und Gudenus im Video sei unentschuldbar, aber die FPÖ habe ja die Konsequenzen gezogen und die Zusammenarbeit mit den beiden beendet. Deswegen sei unverständlich, wieso Kurz im Laufe des Samstags seine Meinung geändert habe und nun auf der Rückgabe des Innenministeriums an die Volkspartei bestehe. Auf seiner Facebook Seite hatte Kickl das schon am Sonntag geschrieben, ergänzt um den Slogan: „Jetzt erst recht.Wir halten den Kurs für unsere Heimat Österreich.“
Kurz gab indirekt bei seinem Pressestatment am Mittag nach der Sitzung des ÖVP Parteivorstandes eine Antwort: Kickl sei 2017, als das Ibiza-Video entstand, Straches Generalsekretär gewesen und sei dadurch befangen. Wie tief das Misstrauen bei Kurz sitzt, zeigt sich auch an seiner Kritik daran, dass Kickl am Freitagnachmittag seinen Vertrauten Goldgruber zum Generaldirektor des öffentlichen Dienstes im Innenministerium ernannt hatte. Zu dem Zeitpunkt wusste er bereits, dass am Abend das brisante Video veröffentlicht wurde. Der Bundespräsident hat die Ernennung nicht unterzeichnet.
Nur vorübergehende Krise?
Die Angst vor der Unregierbarkeit geht derzeit in Österreich um. Eine Entlassung eines Ministers durch den Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundeskanzlers, wie sie jetzt geplant ist, wäre eine Premiere. Bisher konnten Minister zum Rücktritt überredet werden. Das gilt auch für Strache. Doch dazu ist Kickl offenbar nicht bereit. Er war als Generalsekretär der FPÖ der Kopf vieler Kampagnen mit Slogans wie „Dahoam statt Islam“ , „Wien den Wienern“ und ähnliches gewesen war, gilt als Zuspitzer der Freiheitlichen, der in jungen Jahren beim Zerbrechen der Partei unter Jörg Haider 2002 ins Lager von Heinz-Christian Strache gewechselt war und für dessen Aufstieg überaus wichtig war. Er polarisiert. Norbert Hofer, der fast die Hälfte der Wähler bei der Wahl zum Bundespräsidenten hinter sich bringen konnte, versucht dagegen zu integrieren. Er tritt höflich und verbindlich auf und erweckt den Eindruck, als glaube er an eine vorübergehende Krise. "Es war mit immer wichtig, ein gutes Verhältnis zu allen anderen Parteien zu pflegen, das betrifft auch die SPÖ", sagte er. Als der Harte und der Sanfte wollen Kickl und Hofer in den Wahlkampf ziehen.
Dabei bleibt in FPÖ-Kreisen derzeit kein Stein auf dem anderen. Im Burgenland wird früher gewählt als geplant. Dort ist eine Regierung von Sozialdemokraten und Freiheitlichen an der Macht. Die rot-blaue Stadtregierung in Linz ist geplatzt, nachdem die Partei-Vorsitzende Rendi-Wagner den Bürgermeister dazu aufgefordert hat. Nur im Land Oberösterreich regiert der Landeshauptmann Thomas Stelzer noch mit einem Blauen, dem stellvertretenden FPÖ - Chef Manfred Haimbuchner. Stelzer machte zur Bedingung, dass der besonders umstrittene FPÖ-Landesrat Elmar Podgorschek zurücktritt, was geschieht.
Erheblicher Einbruch
Johann Gudenus, der für Strache das Treffen in der Finca auf Ibiza organisiert hatte, ist aus der FPÖ ausgetreten. Anders als Strache kann er sich auch außerhalb der Politik seinen Lebensunterhalt verdienen. Er ist vermögend und hat gute Geschäftskontakte nach Russland. Diese nutzte er auch für die FPÖ. Wenn auch Außenministerin Karin Kneissl geht, auf deren Hochzeit Putin tanzte, erleidet die Moskau-Connection der FPÖ einen erheblichen Einbruch. Gudenus hatte 2015 dafür gesorgt, dass es zur Unterzeichnung einer "Vereinbarung über Zusammenwirken und Kooperation" mit der Kreml Partei "Einiges Russland"kam. Verbindungen zwischen der auf dem Ibiza-Video gezeigten Frau und offiziellen russischen Kreisen werden zurückgewiesen.