Plötzlich war die Angst wieder da: Hatte der als Terrorist verhaftete Salah Abdeslam tatsächlich Fotos vom Kernforschungszentrum im nordrhein-westfälischen Jülich in seiner Wohnung versteckt? Obwohl es in der Bundesrepublik Dementis gab und auch das Zentrum selbst bekräftigte, man habe „keinerlei Hinweise auf eine etwaige Gefährdung“, sorgte die Meldung des Redaktionsnetzwerkes Deutschland (RND) am Donnerstag in Brüssel für große Unruhe.
Zwar hielten sich Staatsanwaltschaft und Sicherheitsbehörden bedeckt. „Wir können dazu nichts sagen“, betonte ein Ermittler. „Wenn es solche Informationen geben sollte, hat man sie uns bisher nicht zur Verfügung gestellt.“ Unter Bezug auf Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen sowie einiger Bundestagsabgeordneter hatte es geheißen, die Brüsseler Fahnder hätten in der Wohnung des mutmaßlichen Paris-Attentäters vier Tage vor den Anschlägen in der belgischen Hauptstadt am 22. März Bildmaterial des 1988 eingestellten Forschungsreaktors sowie Aufzeichnungen über den Jülicher Vorstandschef Wolfgang Marquardt gefunden.
Auch ohne Bestätigung sorgte die Nachricht für große Unruhe und Aufmerksamkeit bei den belgischen Medien, passt sie doch zu gut in das Bild der Brüsseler Terror-Zelle. Bereits unmittelbar nach den Anschlägen vom 22. März gab es Hinweise darauf, dass die Extremisten einen belgischen Atomforscher ausspähen wollten, der in der Versuchsanlage Mol tätig war.
Dem Vernehmen nach wurden in der Wohnung eines Verdächtigen etliche Stunden Video-Material gefunden, die den Tagesablauf des Wissenschaftlers zeigen sollen. Die Vermutung der Ermittler: Die Terroristen wollten einen führenden Mitarbeiter erpressen, um auf diese Weise an Atommaterial für eine schmutzige Bombe zu kommen. Nur wenige Tage später wurde bekannt, dass der Betreiber des Kernkraftwerkes Tihange bei Lüttich (rund 70 Kilometer von Aachen entfernt) alle Mitarbeiter, die für den Betrieb nicht unbedingt gebraucht wurden, nach Hause geschickt hatte. Angeblich wurden zugleich elf Angestellten die Zutrittsausweise für den inneren Sicherheitsbereich entzogen.
Außerdem fanden die Ermittler heraus, dass ein langjähriger Mitarbeiter einer Reinigungsfirma, die im Hochsicherheitsbereich des zweiten belgischen Reaktors Doel arbeitete, als Kämpfer für den sogenannten Islamischen Staat (IS) nach Syrien gereist und dort verstorben war.
Tatsächlich richtet sich die Fahndung nach weiteren Mitgliedern des extremistischen Netzwerkes in Belgien zunehmend auf solche Personen, die in die sensiblen Bereiche von technischen Großanlagen, Flughäfen und andere Einrichtungen eingesickert sein könnten. Für großes Unverständnis sorgte deshalb auch vor einigen Tagen die Meldung, dass in der Gepäckabfertigung des Brüsseler Airports bis zu 50 Islamisten tätig gewesen seien, von denen einige über Zutrittsberechtigungen auch für die Cockpits abgestellter Maschinen verfügten. „Wir durchleuchten im Moment alles, was uns an Verdachtsmomenten auf den Tisch kommt“, sagte vor wenigen Tagen ein belgischer Anti-Terror-Spezialist.
Forschungsreaktor Jülich
Bei seinem Start 1967 war der Forschungsreaktor Jülich der erste deutsche Hochtemperaturreaktor. 15 kommunale Stromversorger wollten damit in den 60er Jahren die Funktionsfähigkeit eines neuen Reaktortyps nachweisen. 1988 wurde der Betrieb des Forschungsreaktors eingestellt. Der Versuchsreaktor soll bis 2022 zurückgebaut werden. Der radioaktiv belastete Reaktorbehälter wurde 2015 in ein Zwischenlager auf dem Gelände des Forschungszentrums Jülich gebracht. Die hochstrahlenden Brennelemente lagern ebenfalls noch immer auf dem Gelände des Forschungszentrums. dpa