Die Polizei hat den Tatort weiträumig abgesperrt, außer den rot-weißen Bändern, den zahlreichen Beamten und einigen Experten in weißen Schutzanzügen deutet in Villingen-Schwenningen nichts darauf hin, was hier in der Nacht passiert ist. Es war gegen ein Uhr, als jemand eine Handgranate über einen Zaun auf das Gelände der Erstaufnahmestelle wirft. Rund 100 Bewohner wären bei einer Explosion in Gefahr gewesen, doch die Granate bleibt unversehrt liegen. Am frühen Morgen sprengen Kampfmittel-Experten die Granate kontrolliert – zwangsläufig zerstören sie dabei wertvolle Spuren.
Und so bleibt am Freitag den ganzen Tag unklar, ob ein Zünder eingebaut war oder es sich nur zum Glück um einen Blindgänger handelte. Dies sei die „entscheidende Weichenstellung“, sagte der zuständige Konstanzer Oberstaatsanwalt Johannes-Georg Roth.
Wenn die Granate nur wegen eines technischen Defekts nicht gezündet habe, „stehen schwerste Verbrechen im Raum“. Die Polizei ermittelt nach eigenen Angaben zunächst in alle Richtungen. Ein Schwerpunkt ist natürlich der eines fremdenfeindlichen Hintergrunds. Darauf deuten offenbar Befragungen in der Nachbarschaft hin. Geprüft wird aber auch, ob der Container des Sicherheitspersonals getroffen werden sollte. Die Polizei setzte eine 75 Beamte starke Sonderkommission „Container“ ein, die vom Landeskriminalamt und dem Verfassungsschutz unterstützt wird.
Entsetzte Reaktionen
Der oder die Täter hatten die Handgranate von der Straße aus in eine Zufahrt des Geländes der Unterkunft geworfen. Die Granate sei daraufhin an einem Sicherheitszaun abgeprallt und neben einem Container des Sicherheitsdienstes liegengeblieben. Darin hielten sich drei Sicherheitsleute auf. Ob der Container die Mitarbeiter bei einer Detonation geschützt hätte, könne man noch nicht sagen, sagte Dietmar Schönherr von der Kriminaldirektion Rottweil. Splitter der Granate hätten durchs Fenster schlagen können. „Das hätte zu schweren Verletzungen oder auch zum Tode der Personen führen können.“
Politiker reagierten entsetzt auf den Anschlagsversuch. SPD-Justizminister Heiko Maas erklärte, das „Ausmaß der Gewalt“ sei „erschreckend“. Ähnlich äußert sich auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann im Gespräch mit dieser Redaktion. „Der Wurf einer Handgranate ist eine neue schreckliche Dimension ausländerfeindlicher Gewalt“, sagte der CSU-Politiker. Herrmann betonte, die Sicherheitsbehörden müssten gegenüber ausländerfeindlichen Straftätern „null Toleranz“ zeigen. „Wir dürfen nicht dulden, dass Menschen, die bei uns Asyl suchen, Angst vor Gewalt haben müssen oder Opfer von Gewalt werden“, fügte er hinzu. „Das können wir nicht hinnehmen, egal ob diese Menschen eine Bleibeperspektive haben oder nicht“, sagte Herrmann mit Blick auf die hitzig geführte Flüchtlingsdebatte.
Bundesweit zählten die Behörden 2015 über tausend Übergriffe auf Asylheime. Ein Schwerpunkt liegt in Ostdeutschland, aber auch in Bayern nahmen derartige Straftaten stark zu: Für das Jahr 2015 verzeichnete das Bayerische Landeskriminalamt exakt 77 „politisch motivierte Straftaten gegen Asylunterkünfte“ in Bayern – mehr als dreimal so viele wie im Jahr zuvor, als 25 Attacken aktenkundig wurden. Von den Fällen im vergangenen Jahr stuften die Ermittler 65 der 77 Fälle als klar rechtsextremistisch ein. Bei den Angriffen wurden drei Menschen verletzt. Nur jede siebte Tat konnte die Polizei aufklären.
Eine gemeinsame Chronik der Amadeu Antonio Stiftung, die Aufklärungsarbeit gegen Rechtsextremismus betreibt, und der Initiative Pro Asyl zählt 2015 in Bayern zehn Brandanschläge auf Flüchtlingsheime. In den anderen Fällen warfen Täter meist Steine in Fenster von Asylunterkünften, gefolgt von Schmierereien ausländerfeindlicher Parolen oder Hakenkreuzen. Auch ein brennendes Holzkreuz vor einer Asylunterkunft in Landsberg registriert die Chronik als „sonstigen Angriff“. Mit Informationen von dpa und afp