Es ist ein diplomatisches Großaufgebot, mit dem Europa in der Ukraine zu retten versucht, was zu retten ist. Am heutigen Dienstag kommt Regierungschef Arseni Jazenjuk nach Brüssel. Ebenfalls an diesem Dienstag fliegt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier nach Kiew. Noch in dieser Woche soll dort der runde Tisch – mutmaßlich unter Leitung des deutschen Botschafters Wolfgang Ischinger – zwischen den gegnerischen Parteien starten.
Gleichzeitig bereitet die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) die größte Auslandsmission ihrer Geschichte vor: Derzeit werden 1000 Wahlbeobachter darauf eingestellt, am 25. Mai nicht die eigene Wahl zum Europäischen Parlament, sondern die Präsidentenwahl in der Ukraine zu kontrollieren. „Wir müssen jetzt versuchen, Brücken zu schlagen über verschiedene Lager hinweg“, sagte Steinmeier, der gestern mit den anderen 27 EU-Kolleginnen und –Kollegen in Brüssel neue Sanktionen beschloss. Dieses Mal traf es Akteure auf der inzwischen zu Russland gehörenden Halbinsel Krim: Zwei Unternehmen, die von Moskau verstaatlicht wurden, stehen nun auf der schwarzen Liste und dürfen keine Geschäfte mehr mit der Gemeinschaft machen. Gegen weitere 13 Funktionäre wurden Kontensperrungen und Einreiseverbote erlassen. Insgesamt sind nur 61 Personen von den Sanktionen der EU betroffen.
Doch längst geht es um mehr. Londons Außenminister William Hague, der zusammen mit den östlichen EU-Mitgliedsstaaten zu den Hardlinern gehört, sagte gestern in Brüssel: „Es ist wichtig, dass wir demonstrieren, dass wir zu einer dritten Phase der Sanktionen bereit sind.“ Wiens Außenamtschef Sebastian Kurz, der dem eher zurückhaltenden Flügel angehört, betonte dagegen: „Wir sollten diese Strafen nicht herbeisehnen, denn sie würden nicht nur Russland schaden, sondern sie würden definitiv auch uns schaden.“
Tatsächlich ist die EU von einer gemeinsamen Linie weit entfernt. Aber alle wissen, dass die Präsidentschaftswahlen am 25. Mai zu einem entscheidenden Datum werden: Sollte Moskau den Urnengang behindern oder gar ignorieren, wird Brüssel nicht mehr länger von der dritten Stufe der Sanktionsskala reden dürfen, sondern beweisen müssen, dass man dazu in der Lage ist. Längst wird darum gerungen, wer dabei welches Risiko einzugehen bereit ist.
Die meisten europäischen Regierungen bemühen sich, bei den Absprachen hinter verschlossenen Türen den absehbaren eigenen Schaden so gering wie möglich zu halten. Das ist nachvollziehbar. Einem internen Bericht der EU-Kommission zufolge müsste allein Deutschland im Falle einer russischen Revanche für EU-Strafmaßnahmen mit einem Wachstumsverlust von 0,9 Prozent in diesem und 0,3 Prozent im nächsten Jahr rechnen. Und dabei käme die Bundesrepublik im Vergleich mit anderen Staaten sogar noch mit einem blauen Auge davon. Ob ein umfassendes Wirtschaftsembargo den russischen Präsidenten Wladimir Putin beeindrucken, geschweige denn zum Einlenken bewegen könnte, ist außerdem fraglich.
Vor allem deshalb hofft man in Brüssel derzeit sehr darauf, dass der Kreml möglicherweise doch noch zurücksteckt. Der Schweizer Bundespräsident Didier Burkhalter, der gestern in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der OSZE an der Außenministertagung teilnahm, zeigte sich jedenfalls optimistisch. Es sei ein gutes Zeichen, sagte er in Brüssel, dass Russland am Montag nach dem Referendum in der Ostukraine von einer „Respektierung“, nicht aber von einer „Anerkennung“ gesprochen habe.