Wahlkampf kann so harmonisch sein. Wolfgang Kubicki, der Spitzenkandidat der FDP, duzt seinen grünen Kollegen Robert Habeck schon länger. Heute sagt er: „Ich wundere mich die ganze Zeit, wie vernünftig die Grünen geworden sind.“ Der Sozialdemokrat Torsten Albig geht mit seinem Konkurrenten Jost de Jager von der CDU zwar nicht ganz so kumpelhaft um. Mit seinem Plädoyer, die Autobahn 20 möglichst zügig auszubauen, aber lobt auch Albig, „hat Herr de Jager völlig recht“.
Selbst Anke Spoorendonk, die Vertreterin der dänischen Minderheit, ist trotz eines erbitterten Streits um die künftige Finanzierung der dänischen Schulen nicht auf Krawall gebürstet. Über den Kollegen von den Konservativen, der ihr ans Geld will, sagt sie: „Eigentlich mag ich ihn ja ganz gern.“
Am Sonntag wählt Schleswig-Holstein einen neuen Landtag – und irgendwie, so scheint es, kann im Falle eines Falles jeder mit jedem. Auch an diesem Abend, bei einer Diskussion der Spitzenkandidaten in der Industrie- und Handelskammer in Kiel, ist der Ton hanseatisch-unaufgeregt und für einen Wahlkampf bemerkenswert sachlich.
Sprachschatz eines Hundes
Dass das Straßennetz im nördlichsten Bundesland der Republik dringend ausgebaut werden muss, bezweifelt nicht einmal der Grüne Habeck. Dass im öffentlichen Dienst kräftig Personal abgebaut werden muss, findet auch SPD-Mann Albig. Und dass in den Schulen einiges im Argen liegt, bestreitet selbst der Christdemokrat de Jager nicht, dessen Parteifreund Peter Harry Carstensen Schleswig-Holstein sieben Jahre gemeinsam mit den Liberalen regiert hat und sich jetzt in den Ruhestand verabschiedet. So schlimm, wie Kubicki frotzelt, ist die Lage allerdings auch wieder nicht: Viele Kinder, stichelt der, kämen heute mit einem Sprachschatz in die Schule, „der in etwa dem meines Hundes entspricht“.
Drei Autostunden von Berlin entfernt bestimmen vor allem regionale Themen den Wahlkampf zwischen Flensburg, Kiel und Lübeck. Aus bundespolitischer Sicht ist am Sonntag vor allem eine Frage interessant: Schafft die FDP nach einer langen demoskopischen Durststrecke wieder den Sprung in den Landtag? In den letzten Umfragen kamen die Liberalen zuletzt zwar schon wieder auf Werte zwischen sechs und sieben Prozent. Doch was ist von solchen Zahlen zu halten? Vor der Wahl im Saarland Ende März lagen CDU und SPD in den Umfragen ähnlich gleichauf wie jetzt in Schleswig-Holstein. Am Ende aber fehlten den Genossen an der Saar fast fünf Prozent auf die Christdemokraten.
Zünglein an der Waage
Dass Albig dennoch etwas bessere Chancen hat, Ministerpräsident zu werden als der amtierende Wirtschaftsminister de Jager, liegt an einer Besonderheit des schleswig-holsteinischen Wahlrechts. Anke Spoorendonk und ihr Südschleswigscher Wählerverband (SSW) sind mit ihrem Minderheitenstatus von der Fünf-Prozent-Hürde befreit und haben zum ersten Mal in der Geschichte der dänischen Minderheit eine Koalitionsaussage getroffen: Sie wollen mit der SPD und den Grünen regieren – in einer Koalition, die im Norden neuerdings gerne als „Dänen-Ampel“ beschrieben wird.
Ein solches Bündnis aber, schimpft der sonst so besonnene de Jager, „wäre eine Katastrophe für Schleswig-Holstein“. Der bislang eher neutrale SSW mache sich damit zum Steigbügelhalter für ein linkes Bündnis, das für neue Schulden stehe, für die Zwangsfusion von Gemeinden und die Abschaffung der Gymnasien. Die Rolle der Dänischstämmigen als Zünglein an der Waage hatte vor 25 Jahren schon den damaligen CSU-Chef Franz-Josef Strauß empört: „Man darf doch ein Bundesland nicht von einem Dänen regieren lassen“, wetterte der seinerzeit.
Spitzenkandidatin Spoorendonk allerdings vermutet hinter der Kampagne gegen die „Dänen-Ampel“ vor allem strategische Motive: De Jager, glaubt sie, wolle damit nur eine Große Koalition erzwingen – für ihn vermutlich die einzige Chance, Ministerpräsident zu werden. Auf Werte jenseits der zehn Prozent wird auch der begnadete Wahlkämpfer Kubicki die FDP nicht mehr führen können.
Über Internet-Flirt gestolpert
Der 47-jährige de Jager, Sohn eines Holländers und einer Deutschen, ist erst auf Umwegen Spitzenkandidat geworden – nachdem Carstensens ursprünglicher Favorit Christian von Boetticher über einen etwas zu intensiven Internet-Flirt mit einer Sechzehnjährigen gestolpert war. Seitdem kämpft der gelernte Journalist de Jager tapfer, aber auch etwas glanzlos gegen den Ruf an, nur die zweite Wahl zu sein. Er ist ein eher spröder Redner, zurückhaltend, ja fast schon scheu. Der Anti-Albig, wenn man so will.
De Jagers knapp zwei Jahre älterer Kontrahent ist unter den Sozialdemokraten seiner Generation der womöglich Ehrgeizigste und ein talentierter Vermarkter seiner selbst. Den Finanzministern Oskar Lafontaine, Hans Eichel und Peer Steinbrück diente Albig als Sprecher, zwischenzeitlich war er Kommunikationschef der Dresdner Bank und Kämmerer in Kiel. Seit drei Jahren regiert er die Landeshauptstadt als Oberbürgermeister und ist nun bereit für den nächsten Karrieresprung.
Dem Versuch, eine zugespitzte Auseinandersetzung nach Art der Bundesparteien zu führen, ist Albig so wenig erlegen wie sein Rivale de Jager. An der Berliner Politik und ihrer Selbstbetrachtungswelt, sagt er, vermisse er nicht mehr viel. Wenn allerdings alles läuft wie geplant, wird Albig bald wieder häufiger in der Hauptstadt zu tun haben: als Ministerpräsident im Bundesrat.