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BERLIN
Die alten Männer und die Populisten
Rudi Wais
Rudi Wais
 |  aktualisiert: 05.12.2016 03:57 Uhr

Für viele stramme Konservative ist sein Auftritt eine Provokation. Als der Schriftsteller Stefan Heym 1994 als Alterspräsident die neue Legislaturperiode des Bundestages eröffnet, bleiben die Abgeordneten von CDU und CSU sitzen, anstatt sich wie üblich kurz zu erheben. Nach seiner Rede verweigert die Fraktion dem 81-Jährigen mit Ausnahme von Rita Süßmuth den Applaus. Heym hat auf der offenen Liste der PDS kandidiert, bei den politischen Erben der SED also – das alleine macht ihn für viele Kollegen im Plenum schon zur Unperson.

Zehn Monate vor der nächsten Wahl spielen etliche Grüne gerade ein ähnliches Szenario durch. Nachdem der bisherige Alterspräsident Heinz Riesenhuber (CDU) mit seinen 80 Jahren nicht mehr antritt, droht aus ihrer Sicht ein zweiter Fall Heym – wenn auch aus einer ganz anderen politischen Ecke. AfD-Vize Alexander Gauland hat gute Chancen, dem neuen Bundestag anzugehören, und wird dann mit 76 Jahren auch eines der ältesten Mitglieder sein.

Um ihn als Alterspräsidenten zu verhindern, drängen einige Grüne ihren Parteiveteranen Christian Ströbele nun zu einer neuerlichen Kandidatur. Der ist knappe zwei Jahre älter als Gauland und ringt auch wegen seiner angeschlagenen Gesundheit noch mit sich. Abgesagt aber hat der einzige Grüne, der seinen Wahlkreis je direkt gewonnen hat, noch nicht. „Einzelne Leute sind an mich herangetreten“, sagt er nur, und dass er sich bald entscheiden werde.

In der allgemeinen Erregung über die Bühne, die ein Alterspräsident Gauland für polemische Angriffe auf die etablierten Parteien nutzen könnte, geht eines allerdings unter: Selbst wenn Ströbele ablehnt, ist das noch kein Freifahrtschein für einen Rechtspopulisten. Bei der FDP bewirbt sich der frühere Fraktionschef Hermann Otto Solms noch einmal um ein Mandat. Er ist drei Monate älter als Gauland und in dem Moment, in dem die Liberalen die Fünf-Prozent-Hürde überspringen, sicher drin im Bundestag. Eine interne Rechnung der FDP sieht so aus: Bei einem Ergebnis von genau fünf Prozent ziehen vier Kandidaten aus Hessen in das neue Parlament ein – Solms hat Listenplatz drei.

Das Amt des Alterspräsidenten ist ein Amt für einen Tag. Traditionell hält der Senior des Hauses zu Beginn einer Wahlperiode eine Rede, die im Ton in der Regel eher staatstragend gehalten ist und deren Inhalt fast jeder unterschreiben kann.

Heym, der als junger Mann 1933 den Reichstag brennen sah, vor den Nazis in die USA floh und als amerikanischer Soldat wieder zurückkehrte, hält es nicht anders. „Ich kann ganz aufrührerisch werden“, hat er noch ein paar Tage vorher gedroht. Am Ende kommt das Wort „Sozialismus“ in seiner Rede nicht einmal vor, stattdessen wirbt er für eine „Koalition der Vernunft“ im wiedervereinten Deutschland.

 
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