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Die alten Machtapparate sind zurück
Fünf Jahre danach: Mit dem „Tag des Zorns“ begann am 25. Januar 2011 der Aufstand in Ägypten. Er führte zum Ende der Mubarak-Diktatur, brachte dem Land aber keine politische Freiheit. Und nicht nur hier ist nichts besser geworden.
Anniversary of 2011 protests in Egypt       -  Am 25. Januar vor fünf Jahren begann in Ägypten die Protestbewegung gegen das Regime von Präsident Hosni Mubarak und für mehr Freiheit. Zum Jahrestag wird der Tahrir-Platz in Kairo scharf bewacht.
Foto: Khaled Elfioi, dpa | Am 25. Januar vor fünf Jahren begann in Ägypten die Protestbewegung gegen das Regime von Präsident Hosni Mubarak und für mehr Freiheit. Zum Jahrestag wird der Tahrir-Platz in Kairo scharf bewacht.
Martin Gehlen
 |  aktualisiert: 02.02.2016 03:56 Uhr

Der Millionen-Jubel auf dem Tahrir-Platz vor fünf Jahren zog am Ende den ganzen Globus in seinen Bann. Das Volk am Nil hatte den modernen Pharao besiegt, mit geradezu übermenschlicher Anstrengung das Joch der Diktatur abgeschüttelt. Tunesien war das erste schwere Beben, Ägypten dann der politische Vulkanausbruch im Zentrum der arabischen Welt. Endlich, so schien es, waren die arabischen Völker aufgewacht, jagten ihre Despoten davon und pusteten ihre muffigen Staatsgebilde durch. Arabischer Frühling – so hieß bald die euphorische Chiffre für die neuen Hoffnungsprojekte im Nahen und Mittleren Osten, für den scheinbar endlich bewältigten Quantensprung der islamisch-arabischen Kernregion hin zu Modernität, Pluralität und Demokratie.

Fünf Jahre später herrscht eiskalter Winter. Alle Blütenträume sind verwelkt, die altbekannte, erstickende Ohnmacht zurückgekehrt. Die Menschen auf den Straßen wirken stumm und verängstigt. Mit ihren politischen Sehnsüchten haben sie sich wieder zurückgezogen in die virtuelle Welt von Twitter und Facebook. Der ägyptische Cyberheld von damals, der Google-Manager Wael Ghonim, dessen Facebook-Seite den Aufstand gegen Hosni Mubarak auslöste, kämpft heute vor Gericht gegen seine Ausbürgerung wegen Staatsfeindlichkeit.

„Ich war bei der Januar-Revolution dabei“, heißt das trotzige Twitter-Bekenntnis, mit dem sich dieser Tage Zehntausende junger Ägypter gegen Resignation und Verzweiflung stemmen. „Trotz der Monster – ich habe das Utopia auf dem Tahrir-Platz miterlebt, ich werde das niemals vergessen“, schrieb einer. „Seid stolz darauf, an dem ägyptischen Traum beteiligt gewesen zu sein“, tweetete ein anderer. Denn viel ist nicht mehr übrig von der Hoffnung auf ein freieres, sozialeres und gerechteres Ägypten. Der alte Mubarak-Apparat aus Militär, Polizei und Justiz hat seine im Frühjahr 2011 verlorene Macht wieder fest in der Hand.

Nach dem vom Militär erzwungenen Sturz von Mohammed Mursi im Juli 2013 ist mit Abdel Fattah al-Sissi auch der Präsident wieder – wie gewohnt – ein Ex-General. Die Polizei, deren drakonischer Missbrauch vor fünf Jahren den Volkszorn zum Überkochen brachte, wütet schlimmer als zuvor. Mehr als 40 000 Menschen sind als politische Gefangene hinter Gittern, über 150 Menschen spurlos verschwunden. Und während das Regime hartnäckig leugnet, in seinen Verliesen würde gefoltert und vergewaltigt, dringen fast täglich neue Horrorgeschichten nach draußen.

Polizei und Militär stehen bereit

Denn die Machthaber fürchten nichts mehr als neue Demonstrationen. Kairo wimmelte am Wochenende von Polizisten und Soldaten. Auf dem Tahrir-Platz fuhren demonstrativ Panzer auf. Alle Krankenhäuser wurden in Alarmbereitschaft versetzt. 5000 Wohnungen wurden in den vergangenen Tagen in Kairo durchsucht. Dutzende Aktivisten, Journalisten, Ärzte und Rechtsanwälte verhaftet, darunter vier führende Mitglieder der „Demokratiebewegung 6. April“, die maßgeblich zum Sturz von Mubarak beitrug und heute verboten ist.

Die meisten einheimischen NGOs, aber auch deutsche politische Stiftungen dürfen am Nil nicht mehr arbeiten. Vor wenigen Tagen brach auch die liberale Naumann-Stiftung ihre Zelte ab. „Wenn heute jedes politische Seminar, jede Konferenz, die wir mit ägyptischen Partnern ausrichten, als mögliche Bedrohung der inneren Sicherheit Ägyptens missverstanden wird, so entzieht das unserer Arbeit die Grundlage“, begründete Vorstandschef Wolfgang Gerhardt diesen Schritt.

Regimenahe TV-Talkmaster wie der berüchtigte Ahmed Moussa dagegen drohen allen Aktivisten und aufmüpfigen Mitbürgern, sollten sie am 25. Januar auf die Straße gehen, würden sie entweder im Gefängnis oder im Grab landen. „Warum höre ich Rufe nach einer weiteren Revolution?“, polterte Ex-Feldmarschall Abdel Fattah al-Sissi. „Warum wollt ihr Ägypten ruinieren? Ich bin durch euren Willen an die Macht gekommen und nicht gegen euren Willen“, rief er aus.

Und so stehen fast alle arabischen Völker mittlerweile nur noch vor der unglücklichen Alternative, sich wie in Ägypten entweder mit einem hyperautoritärem Polizeistaat abzufinden oder wie in Libyen, Syrien und Jemen den Zerfall der eigenen maroden Nation mit ansehen zu müssen. „Der Arabische Frühling war ein historischer Moment, vergleichbar mit dem Fall der Berliner Mauer“, urteilte Michael Ayari von der International Crisis Group. „Noch haben wir keine klare Deutung. Im Augenblick aber scheint alles bergab zu geben.“

Und so ist die Situation in anderen Ländern des Arabischen Frühlings:

In Tunesien stand die Wiege des Arabischen Frühlings. Einzig diesem Land gelang es bisher, in seiner post-revolutionären Bahn zu bleiben und sämtliche demokratische Institutionen erfolgreich zu etablieren – Verfassung, Parlament, Präsident und Regierung. Gründe dafür sind vor allem die starke Zivilgesellschaft und die mächtigen Gewerkschaften, die seit dem Sturz des Diktators Zine el-Abidine Ben Ali das Land zusammenhielten, die politischen Kontrahenten des säkularen und islamistischen Lagers zu Kompromissen zwangen und dafür 2015 mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurden. Trotzdem ist Tunesiens Lage fragil. 600 Menschen wurden in den vergangenen Tagen festgenommen, die in „Akte von Vandalismus und Gewalt“ verwickelt gewesen sein sollen. Am Freitag verhängte die Regierung über das gesamte Land eine unbefristete Ausgangssperre, nachdem es in Zentraltunesien zu den schwersten Unruhen junger Arbeitsloser seit 2011 gekommen war.

Tunesien

In derselben vernachlässigten Region hatte sich vor fünf Jahren in dem Städtchen Sidi Bouzid der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi aus Verzweiflung angezündet, ein Fanal, das den Volksaufstand gegen das Regime von Ben Ali ins Rollen brachte. Die Arbeitslosenquote liegt bei 15 Prozent. Mindestens 700 000 Menschen sind ohne Einkommen, darunter 250 000 junge Akademiker. „Wir haben die leeren Versprechungen satt“, skandierten die Demonstranten. Es gebe Lösungen, „aber wir brauchen Geduld und Optimismus“, versuchte Premierminister Habib Essid seine aufgebrachten Landsleute nach einer Krisensitzung des Kabinetts zu besänftigen. Denn auch die heimische Urlaubsbranche liegt nach den beiden Terrormassakern an europäischen Touristen in Tunis und Sousse am Boden, von der die Hälfte aller Arbeitnehmer direkt oder indirekt abhängt.

Obendrein stellen junge Tunesier in Syrien und Irak das bei weitem größte Ausländerkontingent in den Reihen des „Islamischen Staates“. Mehr als 12 000 junge Verführte wurden nach Angaben des Innenministeriums bisher an der Ausreise nach Syrien und Irak gehindert. „Ihr werdet kein ruhiges Leben mehr haben, wenn in Tunesien nicht die Scharia eingeführt wird“, drohten die Fanatiker per Videobotschaft ihren Landsleuten daheim.

Libyen ist zerfallen und hat aufgehört, als Nationalstaat zu funktionieren. In Muammar Gaddafis Geburtsstadt Sirte errichtet der „Islamische Staat“ derzeit vis-a-vis von Europa sein nächstes Kalifat. Nach Einschätzung der UN entwickelt sich die ölreiche Mittelmeernation zur regionalen Terrordrehscheibe, die auch seine direkten Nachbarn Tunesien, Ägypten und Algerien bedroht. Zahlreiche Ölterminals stehen in Flammen. In den Vierteln der einstigen Heldenstadt Benghazi sieht es inzwischen genauso aus wie in Homs oder Aleppo.

Libyen

Zwei Regierungen und zwei Streitkräfte kämpfen erbittert um die Vormacht. Im Westen des Landes herrscht das Bündnis „Fajr Libya“ aus moderaten Islamisten und Milizen kleinerer Städte. Im Osten dominiert die „Libysche Nationalarmee“ unter General Khalifa Haftar. Die international anerkannte politische Führung Libyens, die in Al Baida und Tobruk nahe der Grenze zu Ägypten residiert, steht unter seinem Schutz. Die Möglichkeiten von außen, Libyens Ruin zu stoppen, sind gering, solange kein politischer Brückenschlag zwischen den beiden verfeindeten Machtblöcken gelingt. Dem UN-Sondergesandten Martin Kobler gelang es jetzt, den Kontrahenten eine gemeinsame Kabinettsliste abzuringen. Beide Parlamente jedoch verweigern sich bisher und geben kein grünes Licht für diesen nationalen Kompromiss.

Dass die Jemenitin Tawakkol Karman 2011 als erste arabische Frau und Vorkämpferin des Arabischen Frühlings den Friedensnobelpreis erhielt, ist heute fast vergessen. Ihr Wohnhaus wurde inzwischen durch die Kämpfe in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa verwüstet. Ihrer Heimat an der Südspitze der Arabischen Halbinsel droht ein ähnliches Schicksal wie Syrien.

Jemen

Seit fast einem Jahr herrscht im Jemen Bürgerkrieg, durch den immer mehr Wohnviertel, Krankenhäuser, Schulen und Brücken in Schutt und Asche gelegt werden. Auf der einen Seite kämpfen schiitische Houthi-Rebellen zusammen mit Truppen, die dem 2012 durch den Volksaufstand abgesetzten, langjährigen Präsidenten Ali Abdullah Saleh loyal sind. Auf der anderen Seite steht ein Bündnis aus saudischer Luftwaffe und Soldaten des nach Riad geflohenen Präsidenten Abed Rabbo Mansour Hadi, dem sich Islah-Muslimbrüder, Separatisten des früheren Südjemen und lokale Stammeskrieger angeschlossen haben. Die Leidtragenden sind in erster Linie die 24 Millionen Einwohner. Mehr als 6000 Jemeniten wurden bisher durch die Luftangriffe getötet, über 15 000 verletzt. Die Hälfte der Bevölkerung leidet Hunger, drei Million Menschen sind auf der Flucht. Dafür hat sich der „Islamische Staat“ im Jemen fest etabliert. Und Terrorkonkurrent El Kaida ist stärker als je zuvor.

Sicherheit für Reisende

Fünf Jahre nach den Volksaufständen sind der Nahe Osten und Nordafrika für Reisende nicht wirklich sicherer geworden. Ein Überblick: Ägypten: Hinweise auf die Sprengung eines russischen Flugzeugs durch die Terrormiliz IS, ein vereitelter Anschlag am Karnak-Tempel in Luxor, Attacken auf Touristen bei den Pyramiden von Gizeh: Die Sicherheitslage ist fragil. Die Badeorte am Roten Meer galten bislang als sicher. Zuletzt wurden bei einem Angriff auf ein Hotel in Hurghada aber drei Touristen verletzt. Das Auswärtige Amt (AA) rät bei Reisen nach Ägypten einschließlich der Festland-Badeorte zu Vorsicht. Es bestehe ein landesweites Risiko für Terroranschläge und Entführung, die sich auch gegen Ausländer richten könnten. Für die nördliche Sinai-Halbinsel gibt es eine Reisewarnung. Tunesien: Das beliebte Urlaubsland wurde im vergangenen Jahr von zwei Terroranschlägen erschüttert, bei denen viele Urlauber getötet wurden. Gleichwohl gibt es keine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes. Von Reisen in die südlichen Wüstenregionen wird abgeraten. Dort besteht für westliche Reisende Entführungsgefahr. Auch Teile des Gebirges nahe der algerischen Grenze sollte gemieden werden.

Marokko: Das Land mit seinen Badeorten, Bergen und Kulturstätten gilt als politisch stabil. Es bietet dem Auswärtigen Amt zufolge eine gute touristische und sicherheitspolitische Infrastruktur. Zuletzt kam es 2011 in Marrakesch zu einem Anschlag mit mehreren Toten. Jordanien: Das kleine Land mit der berühmten Welterbestätte Petra ist relativ sicher. Terroranschläge seien dennoch möglich, warnt das Auswärtige Amt. Die Grenzgebiete zu Syrien und Irak sollten gemieden werden. Vereinigte Arabische Emirate: Die Golfmonarchie ist eines der sichersten Länder der arabischen Welt. Die Kriminalität ist niedrig. Oman: Das Land gilt ebenfalls als sicherer Anker in einer ansonsten unruhigen Region. Gewalt und Diebstahl gibt es dort kaum. Reisewarnungen gibt es für Syrien, Libyen und Jemen – die Länder stecken im Krieg oder Bürgerkrieg. In Algerien rät das AA wegen Terrorgefahr zu erhöhter Vorsicht. Der Libanon ist vielerorts relativ unsicher. Text: dpa

 
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