Der Salat, den das Personal der Bildungsstätte Wildbad Kreuth servierte, sah lecker aus: Frisee, Lollo rosso, Gurken, Oliven, Tomaten, ein paar Pilze und obendrauf Sprossen. Die Begeisterung für das Horsd’oeuvre hielt sich indes in Grenzen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des im dreijährigen Turnus und insgesamt vierten EHEC-Workshops in Wildbad Kreuth (Lkr. Miesbach) hatten ihren Grund: Sprossen von Bockshornklee waren vor zwei Jahren als Auslöser des weltweit mit Abstand bisher größten beschriebenen EHEC-Ausbruchs ausgemacht worden.
Von Mai bis Juli 2011 hatten sich 3200 Menschen in Deutschland mit Enterohämorrhagischen Escherichia Coli (EHEC) infiziert, 845 erkrankten in der Folge an einem Hämolytisch Urämischen Syndrom (HUS): Bakteriengifte zerstörten ihre Blutzellen, schädigten ihre Nierenfunktion, 48 Menschen starben. Das Forscherteam um den Münsteraner Mikrobiologen Helge Karch identifizierte in sehr kurzer Zeit den seltenen EHEC-Serotyp O104:H4 als Verursacher. Der Wissenschaftler, der früher an der Universität Würzburg lehrte, stand daraufhin im Rampenlicht des öffentlichen Interesses.
Dem Erreger auf der Spur
Die Herkunft des Erregers zu klären dauerte länger. Zwei Fallkontrollstudien in Frankfurt und Lübeck ermöglichten schließlich die Eingrenzung und Identifizierung des Ausbruchsvehikels: In Frankfurt wurde der Einkauf an der Salatbar einer Kantine als einziger Risikofaktor identifiziert, in Lübeck die Bestellung mit Gerichten mit rohen Sprossen. Die Rückverfolgung führte zu einem Großhändler im Großraum Hamburg und einer Charge aus Ägypten importierten Bockshornklee-Samen. Nachdem die Quelle, die mit größter Wahrscheinlichkeit als Verursacher galt, ausgemacht und bereinigt war, wurde der Ausbruch am 4. Juli 2011 vom Robert-Koch-Institut als beendet erklärt.
Dieser EHEC-Ausbruch und seine Konsequenzen standen im Mittelpunkt des vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) organisierten Workshops. Rund 140 Mikrobiologen, Veterinärmediziner, Epidemiologen, Molekularbiologen, Lebensmittelwissenschaftler, Hygieniker und Bakteriologen aus Österreich, der Schweiz, Australien und Deutschland tauschten in der Tagungsstätte ihre neuesten Forschungsergebnisse aus.
Deutlich wurde dabei, dass die gefährlichen HUS verursachenden E.coli bei der Primär- und Routinediagnostik in der Regel nicht ausreichend typisiert werden. Ohne Differenzierung des Bakterientyps sei aber eine Abschätzung der Gefährdung der menschlichen Gesundheit ebenso wenig möglich wie eine Ausbruchsfrüherkennung auf lokaler Ebene und die Zuordnung von Patienten zum Ausbruch. Neuere Nachweisverfahren existierten zwar, seien aber teurer und noch nicht der allgemeine Standard. Das bedauerte beispielsweise Andrea Ammon vom Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) mit Sitz in Stockholm. Das ECDC ist eine Agentur der Europäischen Union, die den Kampf gegen infektiöse Krankheiten wie Influenza, SARS, HIV/AIDS und eben auch EHEC EU-weit koordiniert.
Helge Karchs Pionierarbeit
Pionierarbeit bei der Typisierung von EHEC-Bakterien leistet seit rund 30 Jahren Helge Karch, dessen Konsiliarlabor für HUS am Institut für Hygiene des Universitätsklinikums Münster inzwischen über eine weltweit einzigartige „Bakterienbibliothek“ mit mehr als 1000 Isolaten verfügt, die sowohl phänotypisch als auch genotypisch charakterisiert wurden. Dabei könne man davon ausgehen, so Karch, dass sich viele Ausbruchsstämme erst in neuerer Zeit entwickelt haben beziehungsweise von weniger gefährlichen Vorläufern abstammen.
Hervorgehoben wurde in Wildbad Kreuth die Bedeutung der Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln als Instrument des Risikomanagements. Nur so war es der Task Force EHEC, einer im Mai 2011 vom Bundesverbraucherschutzministerium erstmals etablierten Expertengruppe aus mehreren Bundesländern und Behörden, gelungen, Bockshornkleesamen aus Ägypten dem Ausbruch zuzuordnen.
LGL-Präsident Andreas Zapf hob denn auch die Notwendigkeit einer interdisziplinären Herangehensweise in solchen Fällen hervor: „Nur durch gemeinsame Anstrengungen zahlreicher zum Teil auch hier beim 4. EHEC-Workshop vertretener Institutionen konnte der EHEC O104:H4-Ausbruch aufgeklärt und wirkungsvoll bekämpft werden.“
Ob Andreas Zapf seinen Salat mit Sprossen gegessen hat? Andrea Ammon und Helge Karch ließen ihn jedenfalls stehen. Andere, die in verzehrten, überstanden dies gleichwohl unbeschadet.