Nach dem Vormarsch der Islamisten im Irak schließt die Bundesregierung offenbar auch Waffenlieferungen in die umkämpfte Region nicht mehr aus. Angesichts des drohenden Völkermordes an der Glaubensgemeinschaft der Jesiden muss sie nach Worten von Vizekanzler Sigmar Gabriel über „alle Fragen der Hilfe“ nachdenken. Gegenwärtig seien solche Exporte zwar noch kein Thema, räumte der SPD-Chef ein, betonte aber: „Wir wären rechtlich in der Lage, die irakische Armee besser auszustatten.“
Nicht-tödliche Rüstungsgüter
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) erklärte, dass die Bundesregierung zur Lieferung von nicht-tödlichen Rüstungsgütern aus Bundeswehrbeständen, wie gepanzerten Fahrzeugen oder Sprengfallen-Detektoren, bereit sei. Von der Leyen bekräftigte aber, dass Waffenlieferungen für den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zunächst nicht infrage kommen. Jedoch seien sie auch nicht generell ausgeschlossen. Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier sprach sich dafür aus, „bis an die Grenzen des politisch und rechtlich Machbaren“ zu gehen. Noch am Montag hatte Regierungssprecher Steffen Seibert Waffenlieferungen an den Irak mit dem Argument zurückgewiesen, die geltenden Richtlinien erlaubten keine Rüstungsexporte in Konfliktregionen. Nach den Worten von Gabriel, der als Wirtschaftsminister formell für solche Ausfuhren zuständig wäre, gilt dieses Verbot jedoch nur für Milizen.
Der Verkauf von Waffen an eine demokratisch legitimierte Regierung sei in begründeten Ausnahmefällen sehr wohl möglich, allerdings sei das Vertrauen der Bundesregierung in die gegenwärtige irakische Regierung nicht sehr groß. Auf keinen Fall werde es zu einem Einsatz der Bundeswehr im Irak kommen, versicherte Gabriel.
Bislang hat die Bundesregierung 4,5 Millionen Euro an humanitärer Hilfe für die Opfer des islamistischen Terrors im Irak zugesagt. Er könne sich allerdings nicht vorstellen, dass das bereits die Obergrenze sei, betonte Gabriel. Jesiden-Sprecher Irfan Ortac warnte die Europäer davor, sich mit ihren Beratungen zu viel Zeit zu lassen. Der Genozid an seinen Glaubensbrüdern sei bereits in vollem Gange. Seiner 4000 Jahre alten Religionsgemeinschaft drohe die Vernichtung. Nach Informationen des Zentralrates der Jesiden sind alleine an einem Tag etwa 300 Kinder ums Leben gekommen. Viele der Flüchtlinge seien vom Tode bedroht: „Sie sterben an Hunger und Durst oder weil sie Blätter oder Baumrinde essen und dadurch vergiftet werden oder daran ersticken.“
Abgeordnete für Waffenlieferung
Neben mehreren Abgeordneten von CDU und CSU plädiert auch der Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi entgegen der eigenen Parteilinie für Waffenlieferungen in den Irak. „Mit Protestbriefen wird man IS nicht stoppen“, warnte er in einem Interview mit der „tageszeitung“. Die Nato, aber auch Deutschland, müssten deshalb dafür sorgen, dass die kurdischen Truppen und die irakische Armee die Islamisten tatsächlich stoppen könnten. In einer solchen „Notsituation“ seien Waffenlieferungen erforderlich, um größeres Unheil zu verhindern. Der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Jan van Aken, wies solche Forderungen scharf zurück. Man brauche vielmehr humanitäre Hilfe. Mit Material von dpa
Rüstungsexport-Richtlinie
In der gültigen Rüstungsexport-Richtlinie heißt es: „Die Lieferung von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern wird nicht genehmigt in Länder, – die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht, – in denen ein Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen droht oder bestehende Spannungen und Konflikte durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft würden. Lieferungen an Länder, die sich in bewaffneten äußeren Konflikten befinden oder bei denen eine Gefahr für den Ausbruch solcher Konflikte besteht, scheiden deshalb grundsätzlich aus, sofern nicht ein Fall des Artikels 51 der VN-Charta vorliegt.“ Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen betrifft das Selbstverteidigungsrecht von Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen (VN) bei einem Angriff von außen. Im Irak gibt es aber keinen Konflikt zwischen Staaten, sondern einen Angriff von islamistischen Milizen auf bestimmte Bevölkerungsgruppen. Die Charta der Vereinten Nationen lässt sich deshalb darauf nicht ohne weiteres anwenden. Text: dpa