Franziskus steht im Fadenkreuz. Die Rede ist diesmal nicht von islamistischen Attentätern, die das Oberhaupt der Katholiken beseitigen wollten, wie immer häufiger kolportiert wird. Vielmehr hat die These, dass eine einflussreiche konservative Opposition im Vatikan gegen den neuen Papst arbeitet, nun auch einen prominenten Vertreter, der dies ganz öffentlich behauptet. Der emeritierte deutsche Kurienkardinal Walter Kasper sagte in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit der italienischen Zeitung „Il Mattino“: „Zielscheibe der Polemik bin nicht ich, sondern der Papst.“
Der langjährige Präsident des päpstlichen Einheitsrates und 81 Jahre alte Kasper geht sogar noch weiter in seiner Kritik: „Einige wollen einen theologischen Krieg bei der nächsten Synode“, behauptete Kasper ungewöhnlich scharf. Die angeblichen Gegner des Papstes sind die Autoren eines Sammelbands, der vier Tage vor Beginn der Bischofsversammlung am 1. Oktober in Italien erscheinen soll („Permanere nella verita di Cristo“ – Verbleiben in der Wahrheit Christi) und sich explizit gegen eine von Kasper vorgeschlagene Öffnung in der katholischen Doktrin wendet: der deutsche Präfekt der Glaubenskongregation Gerhard Ludwig Müller, der konservative Kurienkardinal Walter Brandmüller sowie die jüngst entmachteten Hardliner-Kardinäle Raymond Leo Burke, Velasio De Paolis und der Bischof von Bologna Carlo Caffarra.
Bei der in zwei Wochen beginnenden außerordentlichen Synode zum Thema Familienseelsorge steht die katholische Kirche an einem Scheideweg. In der Diskussion um den Umgang mit Familie, Ehe, und Sexualität diskutieren die Beteiligten öffentlich um eine Frage, die sich längst zu einem Symbol für die künftige Ausrichtung der Kirche entwickelt hat: Können geschiedene Katholiken, die ein zweites Mal geheiratet haben, entgegen der bisher gültigen Doktrin unter Umständen wieder zur Kommunion zugelassen werden? Was für Außenstehende wie ein marginales Insider-Problem wirkt, ist im Vatikan und in der katholischen Welt zu einer Existenzfrage gereift.
Kardinal Kasper, der schon zu Beginn der 90er Jahre mit den Bischöfen Karl Lehmann und Oskar Saier Bewegung in diese Frage zu bringen versuchte und sich die Zähne am damaligen Glaubenswächter Josef Ratzinger ausbiss, wurde von Franziskus mehrfach öffentlich für seine theologischen Ansichten gelobt. Bei seinem ersten Angelusgebet fünf Tage nach seiner Wahl rühmte Franziskus Kaspers „Theologie der Barmherzigkeit“ auf dem Petersplatz. Der Papst traf dann auch eine Richtungsentscheidung, als er Kasper bei der Kardinalsversammlung im Februar 2014 mit einem viel beachteten und ebenso umstrittenen Vortrag zum Thema Ehe betraute. Gegen Kaspers Vorschlag zur Öffnung gegenüber wiederverheirateten Geschiedenen („Gott lässt in seiner Barmherzigkeit niemanden fallen“) bezog vor allem der noch von Benedikt XVI. berufene Präfekt der Glaubenskongregation Müller wiederholt Stellung und unterstrich die absolute Unauflöslichkeit der Ehe.
Zahlreiche prominente Kardinäle stehen auf der Seite Müllers. Franziskus hat sich selbst nie direkt zum Thema geäußert, aus seiner theologische Nähe zu Kasper jedoch nie ein Geheimnis gemacht. Am Donnerstag mahnte der Papst die Bischöfe zur konstruktiven Diskussion, anstatt sich Streitigkeiten, Auseinandersetzungen oder „Seilschaften“ hinzugeben.
Bis zu einer Entscheidung in der strittigen Frage ist aber ohnehin noch viel Zeit. Das Schlussdokument der Synode soll zur Beratung an die Ortskirchen geschickt werden. Im Herbst 2015 findet dann eine ordentliche Synode zum Thema Familie statt. Am Ende hat dann Franziskus selbst das letzte Wort.