Tatsächlich wird der internationale Fußball in diesen Tagen wieder von einem seiner größten Skandale eingeholt: Kurz vor der Präsidentschaftswahl am Freitag versinkt der Weltverband Fifa im Chaos von Bestechungsvorwürfen und Korruptionsverdacht. Am Mittwoch wurden sieben hochrangige Fußball-Funktionäre in Zürich festgenommen – darunter die Blatter-Stellvertreter Jeffrey Webb und Eugenio Figueredo.
Ihnen wird organisiertes Verbrechen und Korruption vorgeworfen. Insgesamt ermittelt das US-Justizministerium gegen 14 Personen. Das Schweizer Bundesamt für Justiz bestätigte, dass die Beschuldigten in Auslieferungshaft genommen wurden. Ihnen droht die Abschiebung in die USA. Laut Behörden geht es um Bestechungszahlungen von über 100 Millionen Dollar seit den 90er Jahren. Ein Sprecher sagte, das Geld sei von Sportmedien- und Sportvermarktungsunternehmen gekommen. Als Gegenleistung hätten sie Medien-, Sponsoring- und Vermarktungsrechte an Fußball-Turnieren in den USA und Lateinamerika erhalten.
Unabhängig davon stellten Schweizer Behörden nur wenige Stunden nach dem Polizeieinsatz im Züricher Nobelhotel Baur au Lac in der Fifa-Zentrale elektronische Daten und Dokumente sicher. Die zuständige Bundesstaatsanwaltschaft eröffnete ein Strafverfahren im Zusammenhang mit den WM-Vergaben an Russland 2018 und Katar 2022. Nach Behördenangaben geht es um den Verdacht „der ungetreuen Geschäftsbesorgung sowie des Verdachts der Geldwäscherei gegen unbekannt“. Entsprechende „unrechtmäßige Bereicherungen, so der Verdacht, sollen in der Schweiz stattgefunden haben“.
Auch sei „bei verschiedenen Finanzinstituten in der Schweiz die Erhebung der betreffenden Bankunterlagen angeordnet“ worden, heißt es in einer Mitteilung der Schweizer Bundesanwaltschaft. Bis zu zehn an der WM-Vergabe beteiligten Mitglieder des Exekutivkomitees sollen verhört werden. Die Ermittlungen gehen auf eine Strafanzeige der Fifa vom 18. November 2014 zurück.
Der Kongress des Dachverbandes und die Wahl seines Präsidenten mit Blatter und seinem einzigen noch verbliebenen Herausforderer Prinz Ali bin al-Hussein soll wie geplant durchgeführt werden. Ein Rücktritt Blatters sei kein Thema. „Warum soll er zurücktreten? Er wird nicht verdächtigt“, sagte Fifa-Medienchef Walter de Gregorio. Er stellte bei einer Pressekonferenz klar, dass die WM 2018 und 2022 wie vorgesehen stattfinden sollen. Unter den insgesamt 14 Verdächtigen sind auch das designierte Fifa-Exko-Mitglied Eduardo Li aus Costa Rica und der frühere Fifa-Vizepräsident Jack Warner aus Trinidad und Tobago.
Für den Korruptionsexperten und Wirtschaftskriminologen Uwe Dolata aus Würzburg sind die Entwicklungen keine Überraschung. „Die New Yorker Staatsanwaltschaft verfolgt die Vorgänge schon seit vielen Jahren“, sagt Dolata, „bereits seit dem Schmiergeldskandal um die Marketingfirma ISL um die Jahrtausendwende wurden Ermittlungen im Dunstkreis bestimmter Leute durchgeführt, die nun mit den Verhaftungen vorläufig gekrönt wurden.“ Auch wenn sich die Vorwürfe gegen Einzelpersonen richten würden, „so ist die Fifa doch der Nährboden dafür, dass die Korruption blühen konnte“.
Die Fifa sei ein Verein, „wie im übrigen der ADAC auch“. Diese Struktur mache sie anfällig für Korruption: „Man muss sich fragen, ob ein Verein die richtige Rechtsform ist für einen Verband mit solchen Milliardenumsätzen wie die Fifa. Ich denke nicht, denn die Symbiose aus Sport und Wirtschaft wird immer stärker. Kaum ein Verein kann noch ohne Sponsoring bestehen“, sagt der Würzburger Experte, so würden ungesunde Abhängigkeiten entstehen.
Dass die Fifa vor wenigen Jahren eine Ethikkommission installiert hat, hält Uwe Dolata für ein Alibi: „Die Ethikregeln, die sich die Fifa gegeben hat, tritt sie selbst mit Füßen. Da wurde der Bock zum Gärtner gemacht. Der Bericht der Kommission ist bis heute auch nicht in Gänze bekannt.“ Wenn dann der Verband auch noch den Vorsitzenden der Ethikkommission demontiere, wie das geschehen sei, „wird es völlig bizarr“.
Dolata fordert Gesellschaft und Politik auf, das anzuprangern. Nur durch öffentlichen Druck würde ein Umdenken beginnen: „Das sieht man auch an Initiativen wie der für ein Anti-Doping-Gesetz, die der bayerische Justizminister Winfried Bausback mit vorangetrieben hat.“
Für Dolata muss nun alles bei der Fifa auf den Prüfstand, vor allem das, wie er sagt, intransparente Stimmrecht: „Es kann nicht sein, dass die Fidschi-Inseln die gleiche Anzahl an Stimmen haben wie ein Verband wie der DFB mit seinen sieben Millionen Mitgliedern. So macht sich Blatter durch Zuwendungen die Ärmsten der Armen zu seinen Gesinnten, die müssen ihn ja wieder wählen.“
Dass es nun US-Behörden waren, die zum Schlag ausgeholt haben, ist für Dolata logisch: „Die USA haben sehr scharfe Korruptionsgesetze. In Deutschland hingegen wurde die UN-Konvention gegen Korruption von 2003 erst im vergangenen Jahr ratifiziert.“ Für den Kriminologen ist es wichtig, „dass bei der Fifa ein Reinigungsprozess in Kraft tritt, der von außen gesteuert wird. Das wird wehtun, aber du darfst die Frösche nicht fragen, wenn du einen Sumpf trockenlegen willst.“
Präsident Blatter könne an diesem Prozess nicht beteiligt werden: „Er hätte schon längst zurücktreten müssen, doch spätestens jetzt muss er diese Konsequenz ziehen. Er ist als Chef dafür verantwortlich, was in seinem Verband passiert.“ Von den großen Verbänden, etwa aus Europa, ist Uwe Dolata auch enttäuscht: „Ich hätte schon erwartet, dass sie die sogenannten alten Werte Europas auch in der Fifa vertreten. Wir wollen ja gerade keine Basar-Mentalität, in der gemauschelt und getrickst wird. Aber alle, die als Tiger in den Kampf gegen Blatter gezogen sind, endeten schließlich als Bettvorleger.“
Das Beispiel ADAC habe gezeigt, wie tief ein Fall sein könne: „Noch vor ein paar Jahren waren sie die Gelben Engel, nach dem Manipulationsskandal ist das Image am Boden. Die Fifa aber, so scheint es, kann machen, was sie will, und trotzdem kuscheln die Großen der Weltpolitik noch mit ihr. Die wollen offenbar gar keine Änderung.“
Wird sich etwas ändern? Theo Zwanziger, ehemaliger DFB-Präsident und Fifa-Exekutivmitglied, sagte der „Rheinischen Post“, das juristische Vorgehen sei überfällig: „Der Fehler liegt im System der Fifa. Es können sich zu viele bedienen“, so der 69-Jährige.
Das ist eine späte Erkenntnis. 2011, bei der letzten Wahl Blatters, hätte Zwanziger beim Kongress in Zürich seine Kritik artikulieren können. Schon damals waren die Vorwürfe öffentlich geworden, der damalige englische Verbandschef David Bernstein hatte den Antrag gestellt, die Abstimmung über Blatter zu verschieben, „damit es eine offene und faire Wahl gibt“. Zwanziger hätte Bernstein zur Seite springen können, aber er ließ ihn alleine und reihte sich ein in die Riege der Claqueure: Theo Zwanziger brachte am Mikrofon nichts anderes als eine artige Grußadresse an Blatter über die Lippen.
Es wird nun spannend sein zu beobachten, wie dieser Kriminalfall weitergehen wird. In Deutschland formiert sich politischer Widerstand gegen die Fifa, wenn auch nicht aus erster Reihe: „Der Weltfußballverband steht am Abgrund – und mit ihm Präsident Sepp Blatter“, so Özcan Mutlu, sportpolitischer Sprecher der Grünen, und Monika Lazar, Obfrau im Sportausschuss des Bundestags. „Die Präsidentschaftswahl an diesem Freitag kann so nicht stattfinden. Wir fordern eine Verschiebung der Wahl, bis alle Vorwürfe aufgeklärt sind.“ Auch fordert Lazar eine Neuvergabe „der allem Anschein nach gekauften WM 2018 und 2022“.
Am Mittwochabend forderte die Europäische Fußball-Union (Uefa) nach einer Sitzung in Warschau die Verschiebung der für Freitag geplanten Präsidentenwahl. Wenige Minuten später gab die Fifa bekannt, elf Funktionäre vorläufig für sämtliche Fußball-Aktivitäten gesperrt zu haben. Darunter auch die festgenommenen Vizepräsidenten Jeffrey Webb und Eugenio Figueredo.
Die Beschuldigten im Fifa-Skandal
Diese 14 Personen werden im Fußball-Skandal vom US-Justizministerium des organisierten Verbrechens, Überweisungsbetrugs und verschwörerischer Geldwäsche beschuldigt:
Jeffrey Webb (50 Jahre/Kaimaninseln): Ist seit 2012 Präsident des Fußballvereine in Nord- und Zentralamerika sowie der Karibik (CONCACAF) und Mitglied des Exekutivkomitees. Inzwischen zählt er zu den Stellvertretern von Joseph Blatter.
Eduardo Li (56/Costa Rica): Der Geschäftsmann und Präsident des Verbandes Costa Ricas galt als designiertes Mitglied des Exekutivkomitees.
Julio Rocha (64/Nicaragua): Ist als Fifa-Entwicklungsmanager tätig und war früher Präsident des Verbands Zentralamerikas und Nicaraguas.
Jack Warner (72/Trinidad und Tobago): War von 1983 bis 2011 Mitglied des Exekutivkomitees. Warner war in mehrere Korruptionsskandale verstrickt, insbesondere auch durch seine Rolle als CONCACAF-Präsident. 2011 soll er im Vorfeld der Präsidentschaftswahl Stimmen für Blatter-Herausforderer Mohamed bin Hammam gekauft haben. Beide wurden suspendiert.
Costas Takkas (58/Großbritannien): Gilt als Vertrauter von Webb. Fungiert als Berater des CONCACAF-Präsidenten und war früher Generalsekretär des Verbandes der Kaimaninseln.
Eugenio Figueredo (83/Uruguay): Der zweite Fifa-Vize in der Affäre. Der Ex-Präsident des südamerikanischen Fußballverbandes wurde jüngst von einer Spielergewerkschaft wegen angeblicher finanzieller Unregelmäßigkeiten verklagt.
Rafael Esquivel (68/Venezuela): Ist bereits seit 1988 Präsident des Verbands Venezuelas.
José Maria Marin (83/Brasilien): War bis April Präsident des brasilianischen Verbandes. Medienberichte konfrontierten ihn mit Vorwürfen wegen Korruption und Veruntreuung öffentlicher Mittel in den 1970er und 1980er Jahren.
Nicolás Leoz (86/Paraguay): Der langjährige Präsident des südamerikanischen Kontinentalverbandes gehörte bis 2013 auch dem Fifa-Exko an.
Alejandro Burzaco (50/Argentinien): In einer Aufsichtsfunktion bei einer Sportmarketing-Agentur in Argentinien tätig.
Aaron Davidson (44/USA): Präsident von Traffic Sports USA, einer Eventmanagement-Firma.
Hugo (70) und Mariano Jinkis (40/Argentinien): In Aufsichtsfunktionen einer Sportmarketing-Agentur in Argentinien tätig.
José Margulies (75/Brasilien): Ihm wird vorgeworfen, als Vermittler bei illegalen Zahlungen aufgetreten zu sein.
Im Zuge des Skandals haben sich bereits vier Personen der Korruption für schuldig bekannt: Chuck Blazer (70/USA) gehörte von 1996 bis 2013 dem Fifa-Exekutivkomitee an. Hatte den Spitznamen „Mister Zehn Prozent“, weil er diesen Anteil bei Fußball-Geschäften in die eigene Tasche gewirtschaftet haben soll.
José Hawilla (71/Brasilien) gründete 1983 die Firma Traffic Group, die mit Spieler-Transferrechten und Fernsehrechten ihr Geld verdiente. Ihm wird organisierte Kriminalität, Betrug, Geldwäsche und Behinderung der Behörden vorgeworfen. Hat sich am 12. Dezember 2014 für schuldig bekannt und eine Strafzahlung von 151 Millionen Dollar akzeptiert.
Daryan Warner (46/Trinidad und Tobago) ist ein Sohn von Jack Warner. Ihm werden organisierte Kriminalität, Geldwäsche und dubiose Finanztransaktionen vorgeworfen. Hat sich am 25. Oktober 2013 für schuldig bekannt und die Zahlung einer Strafe von 1,1 Millionen Dollar sowie eines weiteren Geldbetrags bei Verurteilung akzeptiert.
Auch Daryll Warner (40/Trinidad und Tobago) ist ein Sohn von Jack Warner und war früher als Entwicklungsmanager bei der Fifa tätig. Ihm werden Betrug und dubiose Finanztransaktionen vorgeworfen. Hat sich am 15. Juli 2013 für schuldig bekannt.