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Wien
Der Wahlkampf in Österreich wird zur Schlammschlacht
«Salzburg Summit»       -  Sebastian Kurz versucht, als der tadellose weiße Ritter aufzutreten.
Foto: Barbara Gindl, dpa | Sebastian Kurz versucht, als der tadellose weiße Ritter aufzutreten.
Mariele Schulze-Berndt
 |  aktualisiert: 19.08.2019 02:11 Uhr

In diesem Sommer befindet sich Österreich im politischen Ausnahmezustand. Es tobt zwar ein Wahlkampf, der gelegentlich an eine Schlammschlacht grenzt. Doch die amtierende Regierung ist an diesem Wahlkampf nicht beteiligt. Denn sie besteht aus Richtern und Beamten, nicht aus Politikern.

Alexander Winterstein, der Sprecher von Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein, möchte deshalb nicht kommentieren, dass sich Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Altkanzler Christian Kern (SPÖ) in diesen Tagen wegen der Schredderaffäre Lügen vorwerfen. Er kündigt an, dass die Expertenregierung die Datenvernichtung per Schredder intern überprüfen wird. Ungefähr 300 Fragen des Parlaments dazu werde sie noch vor der Wahl am 29. September beantworten. Laut Bundesarchivgesetz sei es in Österreich vorgesehen und üblich sensible Daten zu löschen. Eine Gesetzesverschärfung werde geprüft.

Fünf Drucker-Festplatten vernichtet

Auch Deutschland hatte schon seine Datenaffäre. Beim Übergang der Regierung von Helmut Kohl zu Gerhard Schröder 1998 hatte ein unbekannter Administrator wohl im Auftrag der CDU-Mannschaft im Kanzleramt zwei Drittel der Daten des Kanzleramtes gelöscht. Das Verfahren gegen Verantwortliche wurde 2003 eingestellt.

Darauf dürfte auch Sebastian Kurz hoffen. Er gab inzwischen zu, dass die Vernichtung von fünf Drucker- Festplatten aus dem Kanzleramt vor dem Misstrauensvotum durch den Social-Media-Chef ein Fehler war. Dies „kann man ihm und uns zurecht vorwerfen“, sagte Kurz im ORF. Geschehen sei dies aus der Sorge, dass bei manchen Beamten „die Parteiloyalität höher ist, als die Lust, der Republik zu dienen“, so Kurz. Ein Vorwurf, den die Beamten zurückgewiesen haben und der auch von Bierlein nicht geteilt wird. Es stellt sich jedoch die Frage, wie die „Kronen Zeitung“ an die Kopie einer Rechnung aus dem Ende der Amtszeit von SPÖ-Kanzler Kern gelangte. Sie belegt das Schreddern von sieben Festplatten aus dem Kanzleramt vor dem Regierungswechsel, Dezember 2017.

Die Anhänger sind nur schwer zu mobilisieren

Die ÖVP und Sebastian Kurz als ihr Vorsitzender stehen in Umfragen mit mehr als 35 Prozent gut da. Die Distanzierung von den FPÖ-Hardlinern Herbert Kickl und Heinz-Christian Strache zahlt sich aus. Doch die Mobilisierung der Anhänger lässt noch zu wünschen übrig. Das Jammern über die „Schmutzkübelkampagne“, die in den vergangenen Wochen geführt werde, soll das ändern: „Die letzten Tage haben das Ausmaß an Grauslichkeit deutlich gemacht, das dieser Wahlkampf mit sich bringen wird“, schreibt Kurz auf Facebook. „Von links und rechts hagelt es fast täglich neue Untergriffe, Diffamierungen und Dreck aus der allertiefsten Schublade.“

Die Angriffe spielen sich vor allem im Internet ab. Ihre Urheber sind weniger die Kampagnenteams der übrigen Parteien, sondern Blogger, die Gerüchte streuen. Es soll Pornos und Fotos von Kurz beim Konsum von Kokain geben. Ein Rechercheinstitut „Zoom“ kündigte Aufklärung über Netzwerke an, die Kurz korrumpieren. Bekannt wurden diese Seiten erst, als sich die ÖVP heftig dagegen wehrte. Die türkisen Wahlstrategen wollen Vorteile daraus ziehen. Kurz werde so als „zu Unrecht Angegriffener“ inszeniert, sagt der Politologe Peter Filzmaier. Das hat schon einmal funktioniert, als 2017 die Silberstein- Affäre den Wahlkampf bestimmte und die SPÖ durch ihren israelischen Berater in die Defensive geriet. Kurz profitierte von seiner Opferrolle.

Programme und politische Zukunft sind kein Thema

Ebenfalls wie 2017 versucht Kurz als der tadellose weiße Ritter aufzutreten, obwohl sein Mantel inzwischen ein paar Flecken hat. Wie für die Schredderei bittet Kurz um Entschuldigung für Fehler im Umgang mit den Parteifinanzen und das um sechs Millionen Euro überzogene Wahlkampfkostenlimit. So etwas werde nicht wieder passieren, verspricht er.

Drei Monate nach der Ibiza-Affäre ist Österreich immer noch mit sich selbst beschäftigt. Programme und die politische Zukunft sind kein Thema. Nur die Koalitionsfrage wird immer wieder gestellt. Am Dienstag erklärte Kurz, dass das Innenministerium in Zukunft von seiner Partei besetzt werde. Eine erneute Koalition mit der FPÖ ohne Kickl und Strache sei jedoch denkbar.

 
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