Es geschah an einem Samstagnachmittag zur Hauptgeschäftszeit. Auf der Shankill Road in West-Belfast, dem Zentrum der protestantischen Arbeiterschaft, gehen die Menschen einkaufen und genießen das Wochenende. Dann zündet ein Mitglied der bewaffneten Organisation IRA in einem lokalen Fischladen eine Bombe. Neun unschuldige Menschen sterben. Frauen. Männer. Kinder.
Es ist dieses Attentat, das sich besonders in das Gedächtnis von Mark Neil eingebrannt hat. „Weil es eines der abscheulichsten ist“, sagt der 45-Jährige. Er ist gleich um die Ecke aufgewachsen und lebt bis heute hier, auf der protestantischen Seite der Friedensmauer.
Der Mann, der als Taxifahrer und Touristenführer arbeitet, hat den Terror, der sich durch die 70er, 80er und Anfang der 90er Jahre gezogen hat, hautnah miterlebt. Zwei Seiten standen sich in bitterer Feind- und gleichzeitig enger Nachbarschaft gegenüber: die katholische, republikanische Seite, die eine Abtrennung von Großbritannien und eine Vereinigung mit der katholischen Republik Irland anstrebte. Und die probritisch orientierten protestantischen Unionisten. „Die Gewalt ist immer ganz schnell ausgebrochen, und schon als Kinder haben wir in einer Mischung aus Furcht und Nervosität gelebt“, sagt Neil.
Es gehörte zu seinem Alltag, dass Freunde ermordet wurden. Dass Nachbarn durch Bombenanschläge ihr Leben verloren. Dass Bekannte angeschossen im Krankenhaus landeten. Mit dem ständigen Gefühl der Bedrohung wurde er erwachsen. Es war für beide Seiten riskant, in andere Viertel zu gehen. „Menschen wurden einfach sehr, sehr schnell getötet“, so Neil.
Der Wunsch nach Normalität
Doch obwohl die Gefahr allgegenwärtig war: „Der Terror wird Teil deines täglichen Lebens, man passt sich an.“ Was sollte man auch sonst tun? „Wir entwickelten fast so etwas wie eine Abwehrhaltung. So normal wie möglich zu leben, wurde schon als Sieg über die Terroristen betrachtet.“
Sobald Mark Neil die schrecklichen Bilder von Anschlägen wie jüngst in Brüssel sieht, kommen die Erinnerungen wieder hoch. Und die Angst. Immerhin fehlt in fast keinem der Propaganda-Videos des sogenannten Islamischen Staates die Kriegserklärung an Großbritannien. Auf der Insel hat man sich mitnichten an die Gewalt, aber doch an die Wortwahl gewöhnt. Premier David Cameron machte unlängst deutlich, ihm sei bewusst, dass die Terrororganisation dem Königreich „den Krieg erklärt“ habe.
Was aber heißt das für ein Land, in das jährlich Massen von Touristen reisen, in dessen Hauptstadt bald neun Millionen Menschen leben und wo Großereignisse den Kalender füllen?
Der Horror vom 7. Juli 2005 steckt den Briten immer noch im Nacken. Der Tag wurde zu einem nationalen Trauma. Vier Selbstmordattentäter der Terrorgruppe El Kaida sprengten sich in drei U-Bahn-Zügen und einem Doppeldeckerbus in London in die Luft. Sie ermordeten 52 Unschuldige. Seitdem bestimmt die Sicherheit alle Debatten.
Schon lange gilt für London die für längere Zeit höchstmögliche Sicherheitswarnstufe, die Zahl der Sicherheitskräfte wurde erhöht. Überwachungskameras hängen an fast jeder Straßenecke, an öffentlichen Plätzen, auf Bahnhöfen, Parkplätzen und in Kaufhäusern.
Hinzu kommen weitreichende Überwachungsgesetze. Im Frühjahr wird das Parlament wohl über ein Gesetz zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung der Behörden entscheiden.
Der für Terror-Abwehr zuständige Scotland-Yard-Beamte Mark Rowley sprach kürzlich von anhaltend starker Bedrohung durch einen islamistischen Terroranschlag: Der IS plane „gewaltige, spektakuläre“ Massenmorde auch in Großbritannien, dessen Royal Air Force in Syrien und im Irak die Terrormiliz bombardiert.
Spannungen herrschen noch
Zahlreiche Anschläge seien in den vergangenen Jahren vereitelt worden. Dabei helfe nicht nur die Insellage und die restriktive Waffenpolitik im Königreich, sondern auch die Erfahrung aus 40 Jahren mit dem Terrorismus, der sich ausgehend von Nordirland durch das Königreich zog.
Erst mit dem Karfreitagsabkommen von 1998 schlossen die Konfliktparteien in Nordirland offiziell Frieden, wenn auch heute noch Spannungen herrschen. Bis es wirklich Frieden gebe, werde es wohl noch ein oder zwei Generationen dauern, glaubt Neil. „Kinder und Jugendliche wie meine neunjährige Tochter und mein 16 Jahre alter Sohn fühlen nicht denselben Hass und dieselbe Verbitterung“, sagt der Nordire. „Sie sind unsere Chance für die Zukunft.“