Drei Jahre, sagt Jean-Claude, sind eine kurze Zeit. Zu kurz, um Wunden verheilen zu lassen, die sich tief in die Seele eingebrannt haben. Viel zu kurz, um Erinnerungen zumindest verblassen zu lassen, die unvergesslich schrecklich sind.
Vor drei Jahren, am 13. November 2015, besuchte Jean-Claude ein Konzert der US-Band „Eagles of Death Metal“ in der Pariser Musikhalle Bataclan. Er stand hinter einer Säule bei der Bar, als dumpfe Schüsse plötzlich die Musik unterbrachen. Drei bewaffnete Terroristen waren in den voll besetzten Saal eingedrungen und schossen wahllos auf die Besucher. Später stiegen zwei der Männer in die obere Etage und nahmen einige Geisel. Rund zweieinhalb Stunden sollte der Horror dauern. 90 Menschen starben, mehrere Hundert wurden verletzt. Und wohl alle 1500 Besucher fürs Leben gezeichnet; so wie Jean-Claude. „Die Säule hat mich gerettet“, sagt er. „Dabei dachte ich an diesem Abend, dass ich sterben würde.“ Eigentlich, fügt er leise hinzu, verstehe er bis heute nicht, warum gerade er, der sich dem Rentenalter nähert, überlebt hat. Und so viele junge Leute umkamen. Schuldgefühle quälen ihn.
Wenn Jean-Claude über diesen Abend spricht, kommen starke Emotionen hoch. „Manche Dinge, die ich gesehen habe, behalte ich für mich.“ Der Bataclan sei immer sein Lieblings-Konzertsaal gewesen, sagt der Rockliebhaber mit den tätowierten Armen. Seit der Wiedereröffnung am 12. November 2016 nach einjährigen Renovierungsarbeiten kam er fünf Mal wieder. „Natürlich denke ich bei jedem Besuch an das, was war“, sagt er.
Es herrscht nicht mehr dieselbe Leichtigkeit
Der 13. November 2015 markiert eine Zäsur in der jüngeren Geschichte von Paris. Schon im Januar zuvor hatten der Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“, der Mord an einer Polizistin und die Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt die Stadt erschüttert. Die von langer Hand geplante Mordserie im November zielte dann auf die Ausgeh- und Lebensfreude der Menschen und verunsicherte sie zutiefst – oft bis heute.
Die Pariser bestätigen es: Auch wenn das Leben längst wieder seinen normalen Gang aufgenommen und man sich an die verstärkten Sicherheitsmaßnahmen gewöhnt hat – es herrscht nicht mehr dieselbe Leichtigkeit. Die Touristen sind zurück, doch Barbetreiber klagen über einen dauerhaften Umsatzrückgang. Manche meiden Menschenansammlungen oder haben beim Metrofahren ein mulmiges Gefühl. Der 13. November bleibt in den Köpfen.
Ein in drei Gruppen aufgeteiltes Mordkommando von Männern aus Frankreich und Belgien verübte parallel Anschläge auf mehrere Ziele. Vor dem Fußballstadion Stade de France im Vorort Saint-Denis, wo die Mannschaften Deutschlands und Frankreichs ein Freundschaftsspiel bestritten, sprengten sich drei Angreifer in die Luft und töteten dabei einen Mann. Eine zweite Gruppe erschoss 39 Menschen auf Bar-Terrassen, während der Anschlag auf den Bataclan die meisten Opfer forderte.
Einem Mann sei es zu verdanken, dass es nicht viel mehr waren, sagt Jean-Claude: Didi, damals wie heute Chef des Security-Teams des Bataclans. Dass ihn die Medien als „Didi, den Helden“ bezeichneten, lässt den 38-Jährigen lächeln. „Aus solchen Lobeshymnen mache ich mir nichts. Ich habe spontan und instinktiv gehandelt, das ist alles.“ Er sei vor dem Eingang gestanden, als er Schüsse hörte und sah, wie drei Männer mit Kalaschnikows auf Gäste auf der Terrasse des Bataclan-Cafés feuerten. „Da wusste ich sofort, was los war.“
Statt sich in Sicherheit zu bringen, stürmte er ins Innere. „Ich kenne den Saal in- und auswendig. Mir war klar: Ich musste die Türen der Notausgänge öffnen, damit möglichst viele Gäste fliehen können.“ Unter denen, die dadurch unverletzt entkamen, befand sich auch Jean-Claude. Didi kehrte in die Halle zurück, um einen weiteren Notausgang zu öffnen. Mit einem Schwung an Menschen gelangte er nach draußen. Dort half er Verletzten, bis die Polizei den Saal gestürmt und die drei Mörder getötet hatte.
Nach der Nacht des Horrors kündigt sich neues Leben an
Didi erzählt so nüchtern von den Vorgängen, als handele es sich um die Szene aus einem Film, dessen mutiger Held nicht er selbst war. Erst spät gab er seiner Familie ein Lebenszeichen. Am nächsten Tag eröffnete ihm seine Frau, dass sie schwanger sei. „Ich kam aus einer Nacht des Horrors und des Todes – und sie kündigte mir das neue Leben an.“ Hunderte Nachrichten von Geretteten erreichten ihn später. In einer feierlichen Zeremonie ehrte ihn der damalige Innenminister Bernard Cazeneuve mit der Goldmedaille der Inneren Sicherheit. Aber auch Drohungen erhielt Didi. Sein Gesicht und seinen vollen Namen gibt er in den Medien nicht preis.
Dem Bataclan ist er treu geblieben. „Wenn er nicht wieder aufgemacht hätte, wäre das wie ein Sieg für die gewesen.“ Es muss weitergehen, auch wenn es nie mehr wie vorher sein wird – das sagt Jean-Claude ebenfalls. So wie es das Stadtmotto von Paris ausdrückt, das vor drei Jahren auf den Eiffelturm projiziert wurde: „Fluctuat nec mergitur“ – „sie wankt, aber sie geht nicht unter“.