Es gab schon angenehmere Tage im Leben des Stanislaw Tillich. Seit dem 28. Mai 2008 steht der 55-jährige Christdemokrat an der Spitze des Freistaats Sachsen. Damit ist der Sorbe mittlerweile der dienstälteste Ministerpräsident Deutschlands, zudem amtiert er seit dem 1. November als Präsident des Bundesrates. Auf sein Land und seine Landsleute lässt er nichts kommen. Die Sachsen, verkündet er gerne, seien seit je ein selbstbewusstes, stolzes Volk.
Doch seit den neuesten schweren Ausschreitungen sächsischer Bürger gegen Flüchtlinge in Clausnitz und dem von Gaffern beklatschten Brandanschlag gegen eine Unterkunft für Asylbewerber in Bautzen am Wochenende steht auch der Landesvater im Zentrum der Kritik und muss sich unangenehmen Fragen stellen: Warum sind ausgerechnet „seine“ Sachsen derart anfällig für Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus? Und, mehr noch, was ist in Sachsen schiefgelaufen, dass der Innenexperte der SPD-Fraktion im Bundestag, Burkhard Lischka, schon davor warnt, Sachsen müsse aufpassen, dass es sich nicht zu einem „failed state“, einem gescheiterten Staat mit schwachen staatlichen Strukturen, entwickle?
Tillich selber, den Parteifreunde als „Mann ohne Ecken und Kanten“ beschreiben, Kritiker hingegen als konfliktscheu und profillos kritisieren, will von Pauschalurteilen gegen die Sachsen nichts wissen und weist die massive Kritik an Fehlern und Versäumnissen der CDU, die in Dresden seit 1990 ununterbrochen regiert, entschieden zurück. „Ich werde es nicht zulassen, dass dieses Land und seine vielen anständigen Menschen durch einige wenige in Misskredit gebracht werden“, sagte er am Dienstag. Pauschale Verurteilungen gegen das gesamte Bundesland würden nicht weiterhelfen. Gleichzeitig rief er die gesamte Gesellschaft auf, sich gegen Rechtsextreme zu stellen. „Nicht allein die Polizei oder die Politik kann das bewältigen.“ Es brauche „mehr Zivilcourage“, um rechtsradikales Gedankengut einzudämmen.
Kritiker werfen dem Sorben aus der Niederlausitz hingegen vor, nicht gänzlich unschuldig an dem Klima im Freistaat zu sein. Jahrelang habe er die Augen verschlossen und die harte Auseinandersetzung gescheut. So erklärte Tillich noch vor einem Jahr: „Der Islam gehört nicht zu Sachsen“ und zeigte Verständnis für die Dresdner Pegida-Demonstranten. Es handle sich um „Bürger, die sich Sorgen machen“, und die man „nicht ausgrenzen“ dürfe. Gerne zitierte er auch den früheren Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, der den Sachsen attestiert hatte, sie seien „immun“ gegen Rechtsextremismus.
Ein Irrtum. Nachdem selbst die Wirtschaft davor warnt, der Ruf Sachsens könne Schaden nehmen, weil Aufträge wegbrechen und Fachkräfte fernbleiben, will Tillich gegensteuern. Die „Weltoffenheit Sachsens“, sagte er am Dienstag, sei eine wichtige Grundlage für die Zukunft des Landes. Die Landesregierung werde daher alles tun, dass weiterer Schaden vom Land abgewendet werde.