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BERLIN
Der stille Ruf nach der Obergrenze
Flüchtlinge am LaGeSo       -  Willkommensgruß: Ein Helfer stand vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Berlin. In dem Amt können Flüchtlinge sich registrieren lassen oder erste Unterstützungsleistungen erhalten.
Foto: Kay Nietfeld, dpa | Willkommensgruß: Ein Helfer stand vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Berlin. In dem Amt können Flüchtlinge sich registrieren lassen oder erste Unterstützungsleistungen erhalten.
Rudi Wais
Rudi Wais
 |  aktualisiert: 09.12.2015 03:45 Uhr

In der Flüchtlingskrise läuft der Bundesregierung allmählich die Zeit davon. Vier Wochen nach dem Spitzentreffen der drei Parteivorsitzenden ist nach wie vor unklar, wann die versprochene Verschärfung des Asylrechts in Kraft treten kann, die eine Einschränkung des Familiennachzugs, raschere Abschiebungen und Schnellverfahren für Flüchtlinge vorsieht, die in Deutschland keine Perspektive haben. Auch von den Milliardenhilfen für die Türkei, die den Strom der Flüchtlinge nach Europa bremsen soll, wird in Regierungskreisen keine schnelle Entlastung erwartet.

Damit kämen nach wie vor bis zu 70 000 Flüchtlinge pro Woche neu nach Deutschland, rechnet ein CDU-Präside vor. Vor allem für die Wahlkämpfer in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ist das eine besorgniserregende Prognose: Bis zu den Landtagswahlen im März müsste die Bundesrepublik nach dieser Rechnung noch einmal eine Million Menschen aufnehmen – also noch einmal so viele, wie im Lauf des Jahres 2015 schon gekommen sind.

Dass die Bundespolizei zuletzt „nur“ noch um die 3000 Flüchtlinge pro Tag gezählt hat, ist nach Einschätzung des Innenministeriums noch kein Indiz dafür, dass die Zahlen nun dauerhaft sinken, sondern eher eine Folge des schlechten Wetters in der Ägäis, das die Überfahrt von der Türkei nach Griechenland erschwere.

Das sonst so liberale und offene Schweden hat sich in einer ähnlichen Situation gerade erst entschieden, seine Grenzen mehr oder weniger dichtzumachen. In Berlin dagegen wird diese Option bisher nur in vertraulichen Runden diskutiert. Es gibt zwar durchaus Menschen mit Einfluss in der Union, die einem strengeren Grenzregime das Wort reden – dies öffentlich von der Kanzlerin zu fordern aber wagt im Moment noch keiner. Einer allerdings ist sich sicher: „Der Punkt, an dem wir Menschen schon bei der Einreise abweisen, wird kommen.“ Selbst Ayman Mayzek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, warnt inzwischen: „Moralisch kann es keine Obergrenze geben, technisch aber schon. Und diese Obergrenze scheint in Deutschland offenkundig bald erreicht zu sein.“

Obwohl inzwischen auch Angela Merkel davon redet, die Flüchtlingszahlen zu reduzieren, hat ihre Koalition noch kein Mittel gefunden, um dieses Ziel auch zu erreichen. Im Streit um das Asylrecht ist es die SPD, die von den Parteivorsitzenden geschnürte Paket schon wieder öffnen will, um die medizinische Hilfe für schwangere, minderjährige und behinderte Asylbewerber zu verbessern. Im Tauziehen mit der Türkei sind die Verabredungen nicht konkret genug, um schnell etwas an der Lage zu ändern.

An vielen Passagen bleibt das Papier im Ungefähren, ab wann die Türkei ihre Küstenwache verstärkt, wie sie gezielter gegen Schlepper vorgeht, aus welcher Kasse sie dafür Geld von der EU bekommt und wie sie die Situation der mehr als zwei Millionen Flüchtlinge in den Lagern in der Türkei verbessern will, muss erst noch geklärt werden.

Solche Prozesse dauerten eben ihre Zeit, sagt ein Sprecher des Innenministeriums beschwichtigend. Wann dem Kabinett ein Gesetzentwurf vorliegen wird, der den Familiennachzug für einen kleinen Teil der Asylbewerber erschwert und die neuen Schnellverfahren ermöglicht, vermag auch die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz nicht zu sagen. „Die Gespräche laufen nach wie vor“, betont sie nur – und dass es noch Beratungsbedarf gebe.

Dabei hatten Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Horst Seehofer nach ihrem Dreiergipfel noch so geklungen, als seien sie sich einig und die Verabschiedung des zweiten Asylpaketes nur noch eine parlamentarische Formalie. Nun allerdings, so scheint es, beginnt der parteipolitische Hickhack von Neuem, in dem sich beide Seiten wechselseitig die Verantwortung für die Verzögerungen zuschieben.

 
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