zurück
PALERMO
Der Staat auf der Anklagebank
Auf dem Weg ins Gericht: Italiens früherer Innenminister Nicola Mancino
Foto: Ropi | Auf dem Weg ins Gericht: Italiens früherer Innenminister Nicola Mancino
Von unserem Korrespondenten JULIUS MÜLLER-MEININGEN
 |  aktualisiert: 11.12.2019 15:31 Uhr

Es ist ein sehr unbequemer Platz für den Staat. Seit Montag sitzt er im Schwurgericht in Palermo mit auf der Anklagebank. Genauer gesagt sind es Vertreter der Institutionen, denen vorgeworfen wird, vor 20 Jahren gemeinsame Sache mit der Mafia gemacht zu haben. Es geht in diesem Prozess um die Schnittstelle zwischen Politik und organisiertem Verbrechen. Besonders in Italien ist dieses Thema ein Dauerbrenner.

Zehn Männer sind seit diesem Montag angeklagt, ab 1992 ein geheimes Abkommen zwischen italienischem Staat und sizilianischer Cosa Nostra geschlossen zu haben. Neben dem ehemaligen Innenminister Nicola Mancino, drei ehemaligen Carabinieri-Offizieren und mehreren Gestalten aus der Halbwelt zwischen Mafia und Politik sind auch vier, allesamt bereits inhaftierte und wegen anderer Verbrechen verurteilte Bosse angeklagt: der ehemalige Kopf der Cosa Nostra, Toto Riina, außerdem Leoluca Bagarella, Antonio Cina sowie der Kronzeuge Giovanni Brusca. Er drückte 1992 den Auslöser der Bombe, die den Ermittlungsrichter Giovanni Falcone und seine Eskorte auf der Autobahn bei Palermo in die Luft sprengte.

Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, Falcone und sein Kollege Salvatore Borsellino sind 1992 ermordet worden, weil sie von dem Geheimpakt zwischen Staat und Mafia erfahren hatten und sich diesem widersetzten. Dabei geht es in dem Prozess nicht um die Verantwortung für die Morde, sondern um Delikte wie Nötigung von Verfassungsorganen und Falschaussage. Hinter den vergleichsweise unspektakulären Anklagepunkten steckt eine wichtige Grundsatzfrage: Was ist das für ein Staat, in dem die Mafia die Bedingungen stellen kann?

Offenbar waren die Verhandlungen zwischen Bossen und Politikern ins Rollen gekommen, nachdem die Cosa Nostra mit Attentaten Druck auf einflussreiche Politiker ausgeübt hatte, wie auch auf den ehemaligen christdemokratischen Minister Calogero Mannino. Er soll laut Staatsanwaltschaft aus Furcht um sein Leben die Verhandlungen angestoßen haben, in die auch der ehemalige Bürgermeister von Palermo, der Mafioso Vito Ciancimino, sowie der Berlusconi-Intimus und mitangeklagte Senator Marcello Dell'Utri verwickelt gewesen sein sollen. Mannino wählte nun ein beschleunigtes Verfahren, der Prozess gegen ihn wurde abgetrennt.

Offenbar war der Pakt zwischen Staat und Mafia eine Reaktion auf den Druck der Cosa Nostra. Die hielt Italien zwischen 1992 und 1994 mit Morden und Sprengstoffattentaten in Schach. Ein Abkommen mit den Bossen schien einigen damals offenbar die beste Lösung. Im Gegenzug für das Ende der Attentate wurde der Cosa Nostra unter anderem die Lockerung der harten Haftbedingungen für Mafiosi in Aussicht gestellt.

Der Prozess ist ein Lehrstück über einen Staat, der mit Verbrechern Kompromisse macht. Aber es geht auch darum, 20 Jahre alte Geheimnisse, die das Gewissen der Republik belasten, endlich zu lüften. Immer noch gibt es zu viele Rätsel, die den Glauben vieler Italiener an die Integrität der Institutionen und ihrer Vertreter tief erschüttern.

Warum verschwand beim Attentat 1992 gegen Paolo Borsellino dessen rotes Notizbuch und wer hat es entwendet? Warum vergingen 1993 nach der Festnahme Toto Riinas und der Durchsuchung seiner Wohnung beinahe drei Wochen, in denen wichtige Spuren verwischt werden konnten? Wie konnte es geschehen, dass der Superboss Bernardo Provenzano erst 2006 nach 43 Jahren auf der Flucht fest genommen werden konnte?

Die Antwort klingt schon zu Prozessbeginn durch: Weil sich Staatsmänner in Italien immer wieder mit Verbrechern eingelassen haben. Erstmals sollen die Verantwortlichen nun deshalb zur Rechenschaft gezogen werden. Angesichts des kolossalen Misstrauens, das die Italiener mehrheitlich gegenüber den staatlichen Institutionen spüren, verbinden viele mit diesem Prozess auch Hoffnung: Zwar ist nicht wenig faul im Staat Italien, die Wahrheit bahnt sich am Ende aber doch ihren Weg ans Tageslicht.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Bernardo Provenzano
CDU
Cosa Nostra
Dell
Giovanni Falcone
Mafia
Schnittstellen
Silvio Berlusconi
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen