„Wenn jemand schwul ist, den Herrn sucht und guten Willen hat, wer bin ich, über ihn zu urteilen“, sagte Papst Franziskus bei einer Pressekonferenz auf dem Rückflug vom Weltjugendtag in Rio de Janeiro 2013. Sein Pontifikat war damals gerade erst vier Monate alt, die Weltöffentlichkeit verstand diese Worte als veränderte, offenere Haltung der katholischen Kirche gegenüber Homosexuellen, auch wenn der Papst sich mit diesem Satz im Rahmen des katholischen Lehramts bewegte. Danach sind nicht homosexuelle Personen, aber wohl homosexuelle Handlungen zu verurteilen.
Jetzt, wo der Fall des designierten französischen Botschafters beim Heiligen Stuhl, Laurent Stefanini, an die Öffentlichkeit gekommen ist, wendet sich das vielleicht am meisten missverstandene Zitat dieses Papstes gegen seinen Urheber. Stefanini wurde von der französischen Regierung am 5. Januar nominiert und ist bis heute nicht akkreditiert. Der Grund, so sind sich französische wie italienische Medien sicher, liegt in der Homosexualität des Kandidaten. Stimmen Worte und Taten des Papstes bei diesem für die Kirche sensiblen Thema etwa nicht überein?
Zündstoff hat die Thematik zudem, seit bei der außerordentlichen Bischofssynode im Oktober erstmals offen von einer „Willkommenskultur für Homosexuelle“ in der Kirche die Rede war.
Stefanini hingegen ist im Vatikan weniger willkommen. Einen Monat nach dem Akkreditierungsgesuch bestellte der Nuntius in Paris, Erzbischof Luigi Ventura, den designierten Botschafter zu einem informellen Gespräch ein und legte ihm den Rückzug seiner Kandidatur nahe, angeblich wegen Stefaninis Homosexualität.
Der Betroffene, ein praktizierender Katholik, der sich 1998 vom heutigen Pariser Erzbischof, Kardinal André Vingt-Trois, hatte firmen lassen und von diesem im Vatikan empfohlen worden war, zog seine Bewerbung nicht zurück mit dem Hinweis, der Élysée-Palast habe ihn nominiert.
Die französische Regierung hält bis heute an Stefanini fest, weil er „einer der besten Diplomaten und der beste für die Vatikanbotschaft“ sei, wie es offiziell heißt. Der 55-Jährige war zuletzt Protokollchef im Élysée-Palast und von 2001 bis 2005 erster Berater des französischen Botschafters am Heiligen Stuhl. Johannes Paul II. nahm Stefanini damals wegen seiner Verdienste in den Gregoriusorden auf.
Am vergangenen Samstag soll Stefanini nun von Papst Franziskus zu einem informellen Treffen im Vatikan bestellt worden sein. Franziskus habe dem Diplomaten gesagt, er habe nichts gegen ihn persönlich, wohl aber gegen die Haltung der französischen Regierung. Die habe jüngst nicht nur die „Ehe für alle“ in Frankreich legalisiert, sondern den Vatikan mit der Nominierung Stefaninis in Verlegenheit gebracht.
Es ist gängige Praxis des Heiligen Stuhls, Diplomaten in „irregulären Ehesituationen“ das Agrément zu verweigern, dazu zählen wiederverheiratete Geschiedene ebenso wie homosexuelle Partnerschaften. Bereits 2007 hatte der Heilige Stuhl dem designierten französischen Botschafter Jean-Loup Kuhn-Delforge die Akkreditierung verweigert, weil er in einer eingetragenen Partnerschaft mit einem Mann zusammenlebt. Stefanini hingegen ist ledig, steht aber zu seiner Homosexualität, ohne sie zu thematisieren. Eine „irreguläre Ehesituation“ läge somit aus Sicht des Vatikan gar nicht vor.
Gemutmaßt wird nun einerseits, Stefanini sei Opfer einer politischen Auseinandersetzung zwischen dem Heiligen Stuhl und der französischen Regierung. Andere hingegen unterstellen dem Papst höchstpersönlich Scheinheiligkeit.
So schreibt der gewöhnlich gut informierte Vatikan-Journalist Sandro Magister: Die Ablehnung Stefaninis als Botschafter stehe im „verblüffenden Widerspruch zur Zahl homosexueller Kleriker“, die in den „beiden vergangenen Jahren in der Kurie auf bedeutende Posten befördert wurden und in engem Kontakt mit dem Papst stehen“.
Auch der ehemalige französische Außenminister Bernard Kouchner, der sich in einem Interview zum Fall äußerte, wirft dem Vatikan Doppelmoral vor. „Der Vatikan scheint mir nicht in der besten Situation zu sein, Homosexuelle abzulehnen“, sagte er. Papst Franziskus verehre er hingegen weiterhin.