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OUARZAZATE
„Der Medicus“ zieht durch die Wüste
Bestseller: Nach 26 Jahren wird Noah Gordons weltbekannter Roman fürs Kino verfilmt. Die deutsche Produktion vereint die faszinierende Geschichte mit Schauspielstars wie Ben Kingsley. Ein Besuch am Set in Marokko.
Blinddarm, ade: Der Medicus (Tom Payne, Mitte) operiert den Schah (Olivier Martinez) mithilfe seines Lehrmeisters Ibn Sina (Ben Kingsley, rechts).
Foto: UFA Cinema/Stephan Rabold | Blinddarm, ade: Der Medicus (Tom Payne, Mitte) operiert den Schah (Olivier Martinez) mithilfe seines Lehrmeisters Ibn Sina (Ben Kingsley, rechts).
Von unserer Mitarbeiterin Gaby Herzog
 |  aktualisiert: 11.10.2013 20:23 Uhr

Tom Payne nimmt es mit Humor. „Bevor sie dir den Kopf abhacken, rücken sie noch einmal deinen Turban gerade“, raunt er seinem Filmkollegen Sir Ben Kingsley zu und grinst. Der verzieht keine Miene, starrt nur stumm vor sich hin, während die Kostümbildnerin die sieben Meter lange Stoffbahn kunstvoll um seinen kahlen Schädel drapiert. Auch als der Schauspieler fünf Minuten später in der glühenden Wüstensonne neben Payne auf dem Lehmboden kniet, der Scharfrichter das Schwert schwingt, blinzelt er nicht ein Mal. Der Oscar-Preisträger ist hoch konzentriert und vollständig in seine Rolle als stolzer persischer Gelehrter Ibn Sina geschlüpft.

Noch bis Ende September verfilmt die UFA-Cinema die Abenteuer des „Medicus“ in Deutschland und Marokko. Knapp 26 Jahre nach der Veröffentlichung des Bestsellers von Noah Gordon kommt die Erzählung im Dezember 2013 erstmals in die Kinos – damals lasen rund 21 Millionen Menschen weltweit den Historienroman. Allein in Deutschland wurde der 845-Seiten-Wälzer sechs Millionen Mal verkauft und stand 42 Wochen auf der Spiegel-Bestseller-Liste.

Die rein deutsche Kinoproduktion wird nun 26,5 Millionen Euro kosten und soll international verkauft werden. Die Zuschauer erwarten darin opulente Bilder und eindrucksvolle Massenszenen a la Hollywood. Zur Geschichte: Der Waisenjunge Rob Cole (gespielt vom britischen Nachwuchsschauspieler Tom Payne) zieht mit einem Bader-Chirurgen durch die Lande. In Europa ist die Heilkunst im dunklen Mittelalter noch von Religion und Aberglaube bestimmt. Man setzt auf Aderlass, Zaubermittelchen und fromme Gebete. Doch selbst im damals so fortschrittlichen Isfahan gibt es ein Tabu: Operationen am offenen Körper. Tom und Ibn Sina widersetzen sich dem Verbot. Als sie dabei erwischt werden, sollen sie hingerichtet werden.

Plötzlich sausen am Set Pfeile durch die Luft. Der Scharfrichter wird am Hals getroffen, gibt einen röchelnden Ton von sich und stürzt zu Boden. 50 Soldaten stürmen mit lautem Brüllen und blitzenden Krummsäbeln die Szene, zerren den Medicus Rob und Ibn Sina mit sich. „Cut!“, ruft Regisseur Phillipp Stölzl, der schon deutsche Produktionen wie „Nordwand“ und „Goethe!“ verantwortete. Sofort ist der Tumult beendet, die Männer setzen sich in den Schatten, nehmen einen Schluck aus ihren Wasserflaschen und beginnen, leise miteinander zu plaudern oder Facebook auf dem Handy zu checken.

Die Statisten in den Atlas-Studios in Ouarzazate, der marokkanischen Filmstadt am Rand des Atlas-Gebirges, sind Profis. Jeder von ihnen hat schon einmal in einem Film mitgespielt. „Gladiator“, „Alexander“, „Die Päpstin“ und „Das Königreich der Himmel“ wurden hier gedreht. Die Kulissen in der Steinwüste bleiben stehen, werden von den nächsten Produktionen verändert oder weitergebaut. Aus der Altstadt von Jerusalem wird so kurzerhand ein ägyptischer Basar, an einem chinesischen Stadthaus werden die Drachen-Ornamente abgeschraubt und verschnörkelte Läden vor die Fenster montiert – fertig ist der indische Maharadscha-Palast. „Immer wenn es besonders warm und staubig aussehen muss, kommen die Filmteams hierher“, sagt Mohammad Baalla. In seinem Kostüm aus fünf Filz-Umhängen sitzt der Statist, scheinbar hitzeresistent, auf den Treppenstufen vor einem riesigen Festungstor. „In Ouarzazate leben rund 53 000 Menschen – fast jeder hat etwas mit Film zu tun, ist Caterer, Fahrer, Kulissenbauer oder arbeitet in einem der vielen Luxushotels, in denen die Crews untergebracht sind“, erklärt Baalla. „Wir Laiendarsteller lassen uns lange Bärte wachsen, damit wir authentisch aussehen. Je mehr Falten und je weniger Zähne man hat, desto häufiger wird man gebucht“, sagt er und lacht breit. „Der Medicus“ ist schon Baallas 39. Film.

Kinostart ist der 25. Dezember 2013. Aber warum hat es knapp 26 Jahre gedauert, bis der Mega-Bestseller endlich verfilmt wurde? Lange hatte sich Autor und Medizinjournalist Noah Gordon grundsätzlich gegen eine Verfilmung gesperrt. Erst Ende der 90er Jahre konnte ihn Dietrich Grönemeyer, Arzt, Buchautor und Bruder von Musik-Star Herbert Grönemeyer, überzeugen, die Filmrechte zu verkaufen. 2004 sollte der Dreh unter Regie von Uli Edel beginnen – aber dann platzte die Finanzierung. Bernd Eichinger sprang ein, konnte das Projekt aber auch nicht retten. 2007 fielen die Rechte an den Autor zurück. Wolf Bauer und Nico Hofmann von der UFA Cinema nahmen Kontakt zu Gordon auf, der mittlerweile 86 Jahre alt ist und in New York lebt, und bekamen sein Okay. Mit Hilfe von Gordons Tochter Lisa entstand ein erstes Drehbuch.

Neben den beiden Heldendarstellern Tom Payne und Sir Ben Kingsley stehen internationale Stars wie Olivier Martinez als Schah Ala ad-Daula und Stellan Skarsgaard als Bader-Chirurg vor der Kamera. Elyas M'Barek, bekannt aus der Fernsehserie „Türkisch für Anfänger“, und Fahri Yardim, Co-Star im Hamburg-Tatort mit Til Schweiger, verkörpern Rollen als persische Adelige.

Noch vier Mal wird die Kampfszene, die laut Skript in der großen Moschee in Isfahan spielt, wiederholt. Dann ist Mittagspause. Sir Ben Kingsley zieht sich, ganz wie es einem Superstar gebührt, alleine in seinen klimatisierten Wohnwagen zurück. Mit gefalteten Händen sitzt er kerzengerade bei konstanten 18 Grad an einem grauen Camping-Tisch. Er hält Hof für die Journalisten, die ihn am Set besuchen. „Vergessen Sie bloß nicht, ihn 'Sir' zu nennen“, flüstert die Maskenbildnerin noch, nachdem sie ihm den Turban abgenommen und sich diskret entfernt hat. „Sonst dreht er sich auf dem Absatz um und geht.“ 2001 wurde Kingsley von Queen Elizabeth zum Ritter geschlagen – seither besteht er auf die Nennung seines Titels. Offenbar fühlte sich der Oscar-Preisträger von seinen Landsleuten nicht ausreichend gewürdigt. „Der Titel hat bei mir einige Narben geheilt, die ich seit meiner Jugend mit mir trage.“

Wer sein Verhalten für arrogant halte, der verstehe ihn falsch, versichert er. „Wenn ich am Set bin, lebe ich oft wie in einer Blase. Da bin ich so hoch konzentriert, dass ich nichts anderes mehr wahrnehme. Ich würde sagen, die Zeit, in der ich beim Dreh richtig lebendig bin – ist zwischen 'Action' und 'Cut'. Dann fließt die Geschichte und meine Energie kann sich entfalten.“

Die Narben aus seiner Jugend – damit meint Sir Ben sein schwieriges Verhältnis zu seinen Eltern. „Mein Vater war sehr abwesend. Ich habe ihn irgendwie geliebt, aber er war niemand, an dem man sich orientieren konnte.“ Mit 54 Jahren starb der indisch-stämmige Arzt „in einer Wolke aus Alkohol, Traurigkeit und Verbitterung“. Während der Alt-Star sich Gedanken über das Leben macht, genießt sein junger Kollege Tom Payne die Tage als Hauptdarsteller am Set. Wenn die Kamera aus ist, turtelt er mit seiner Freundin, die er für die Zeit des Drehs einfliegen lassen durfte. „Ich liebe es, die Hauptrolle zu haben. Alle kümmern sich um dich und abends ist in der Minibar immer ein kühles Bier oder auch zwei. Perfekt!“, sagt er.

Gemeinsam mit seinen Kollegen reiht er sich in die Schlange vor der Essensausgabe. „Wir müssen uns stärken. Am Nachmittag wird es richtig blutig“, sagt Payne und schaufelt sich würziges marokkanisches Hühnchen auf den Teller. Eine weitere Kampfszene? „Nein! Noch viel blutiger! Der Schah hat uns eben vor der Hinrichtung gerettet und lässt uns in seinen Palast bringen. Er hat eine Blinddarmentzündung und Medicus Rob ist der Einzige, der ihn operieren kann.“

„Der Medicus“

Der Bestseller des US-amerikanischen Autors Noah Gordon ist 1986 erstmals auf Deutsch erschienen. 604 Seiten umfasst der Roman.

Die Geschichte dreht sich um den Buben Rob Jeremy Cole, der im Jahr 1021 im Alter von neun Jahren von einem Bader angestellt wird. Gemeinsam reisen die beiden über die Dörfer, verkaufen Heiltrunke und behandeln Kranke. Rob lernt, sich vor der allmächtigen Kirche in Acht zu nehmen, die in den Badern und Chirurgen Hexer sieht, von denen schon so mancher auf dem Scheiterhaufen endete.

Die Auflage war in Europa größer als in Gordons Heimatland USA. Allein die deutsche Übersetzung verkaufte sich mehr als sechs Millionen Mal. Text: jha

„Je weniger Zähne man hat, desto häufiger wird man gebucht.“
Mohammad Baalla, Komparse am „Medicus“-Filmset
Und, bitte: Am Set in Marokko.
| Und, bitte: Am Set in Marokko.
 
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