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„Der Kohleausstieg ist machbar“
Das Gespräch führte Michael Kerler
 |  aktualisiert: 19.11.2017 02:54 Uhr

Die Energiewende ist ein Hauptstreitpunkt zwischen Union, FDP und Grünen in den aktuellen Gesprächen zur Regierungsbildung in Berlin. Energieexpertin Claudia Kemfert meint, dass sich Deutschland hier mehr Tempo erlauben kann.

Frage: Frau Professor Kemfert, in den Sondierungsgesprächen für eine Jamaika-Koalition im Bund ist Energie einer der Hauptstreitpunkte. Die Grünen wollen möglichst schnell die 20 dreckigsten Braunkohlekraftwerke abschalten. Ist denn ein Kohleausstieg in Deutschland prinzipiell machbar?

Claudia Kemfert: Ja, machbar und auch notwendig! Wenn man die klimaschädlichsten und ältesten Braunkohlekraftwerke abschalten würde, würde man sofort die 2020-Klimaziele des Stromsektors erfüllen. Derzeit herrscht ein Stromangebotsüberschuss durch Kohlestrom, wir schwimmen im Strom und verramschen ihn an der Börse. Man würde den Überschuss-Kohlestrom halbieren. Dabei bleibt Deutschland noch immer Strom-Exportland und muss keinen Strom aus Polen oder Frankreich importieren. Man würde nicht nur schlagartig die Klimaziele erfüllen, sondern gleichzeitig die Profitabilität des Marktes erhöhen und macht Platz für die erneuerbaren Energien.

In welchen Zeitrahmen halten Sie den Kohleausstieg für realistisch?

Kemfert: Der Stromsektor hat nur noch ein maximales Emissionsbudget von 2000 Millionen Tonnen CO2 zur Verfügung, um die Pariser Klimaziele zu erfüllen, es geht also maximal acht Jahre ein „Weiter so“ ohne Emissionsminderung im Kohlesektor. Um die Klimaziele zu erfüllen ist ein Kohleausstieg unausweichlich. Dieser muss bis 2030 abgeschlossen sein. Je früher man beginnt, desto einfacher wird es und desto mehr Flexibilität schafft man für die jüngeren Kraftwerke. Man hätte ausreichend Zeit, den Strukturwandel hin zu zukunftsfähigen Jobs auch in den betroffenen Regionen zu begleiten.

Kritiker sagen, dass gerade die Kohlekraftwerke wichtig sind, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Das Argument: Die erneuerbaren Energien schwanken, es muss aber die Grundlast gesichert werden.

Kemfert: Erneuerbare Energien können genauso versorgungssicher wie die alten, ineffizienten und unflexiblen Kraftwerke sein, sie können als Teamplayer die zukünftigen Bedürfnisse der Energieversorgung viel besser erfüllen: Wind und Sonne, und Biomasse und Wasserkraft können so gut aufeinander abgestimmt sein, dass sie jederzeit, also Tag und Nacht, versorgungssicher sind. Die Dynamik und die Dezentralität der erneuerbaren Energien ist sogar ein großer Vorteil: So entlastet man die Verteilnetze und schafft beste Ausgangsvoraussetzungen für Elektromobilität und die erneuerbare Energie im Gebäudebereich. Beide funktionieren nebenbei auch als Speicher im System. Eine Hauptbedingung für den Erfolg der Energiewende ist der dezentrale Ausbau aller erneuerbarer Energien als Teamplayer. Das derzeitige Energiesystem ist ineffizient und teuer.

Gibt es aber nicht diese dunklen, windstillen Tage, an denen Wind und Sonne wenig Energie liefern?

Kemfert: Ja sicher, maximal zwei Wochen im Jahr. Eine sichere Energieversorgung wird auch mit 100 Prozent erneuerbarer Energien möglich sein – ohne Kohle und Atomkosten, dafür dezentral: Biomasse, Wasserkraft, Geothermie brauchen keine Sonne und Wind, die funktionieren immer. Mit der Sektorkopplung kommen auch Speicher ins Spiel, die für die Mobilität wichtig sind – wie Batterien für Elektroautos oder Öko-Treibstoffe. Das Verfahren, mit Ökostrom Wasserstoff zu erzeugen – „Power to Gas“ – kann auch für Schiffe oder Flugzeuge interessant sein. Gebäude können nicht nur Energien beispielsweise mit der Solartechnik herstellen, sondern diese auch über die Wärmeversorgung speichern. So wird es weder dunkel noch kalt, in allen Wochen im Jahr.

Wie lässt sich aber die Stromlücke schließen, wenn nicht nur die Atomkraftwerke, sondern auch die Kohlemeiler vom Netz gehen?

Kemfert: Wichtig ist der deutliche Ausbau der erneuerbaren Energien, diese dürfen nicht gedeckelt werden. Wir haben erst ein Drittel der Wegstrecke hinter uns gebracht, jetzt brauchen wir einen langen Atem. Zudem dürfen wir die erneuerbaren Energien nicht gegeneinander ausspielen, was man mit der angeblich so wichtigen „Technologieoffenheit“ beabsichtigt. Stattdessen müssen wir ihre Teamplayerschaft in den Vordergrund rücken.

Ihr Kollege Clemens Fuest von Ifo-Institut wendet ein, dass ein deutscher Kohleausstieg für das Klima wenig bringt. Damit würden europaweit die Emissionszertifikate billiger und andere Länder würden umso mehr CO2 emittieren. Was antworten Sie ihm?

Kemfert: Dem Klima bringt der Kohleausstieg viel, da die Emissionen schlagartig sinken. Auch gibt es keine Verlagerung, da nahezu alle Kohlekraftwerke in Europa am Anschlag produzieren – es gibt somit keine „freien“ Kapazitäten, die hochfahren, wenn Deutschlands Kohlekraftwerke runterfahren. Der Grund: Der CO2-Preis ist ohnehin seit Jahren im Keller, das ist ja die Ursache des Klimaproblems.

Wir haben zu viele Emissionszertifikate im System, die erst abgeschafft werden müssten, damit eine veränderte Nachfrage im Preis überhaupt sichtbar wird. Wir können also Kohlekraftwerke abschalten, der CO2-Preis bleibt sowieso konstant niedrig und wird erst wieder höher, wenn das Emissionshandels-Instrument in Europa repariert wird – was ab 2025 der Fall sein wird.

Verbraucher und Industrie stöhnen bereits heute über den hohen Strompreis. Können wir uns da weitere Schritte überhaupt leisten?

Kemfert: Wir können es uns nicht leisten, weiter auf Atom und Kohle zu setzen, die deutlich höhere Kosten verursachen. Erneuerbare Energien werden ja immer billiger. Wenn das System einsatzfähig und optimiert ist, werden die Strompreise massiv sinken können. Selbst das Maximum der EEG-Umlage ist in Sichtweite: In fünf Jahren wird sie sinken können. Nicht die erneuerbaren Energien machen den Strompreis teurer, sondern das unnötig lange Festhalten am Vergangenen – und an Atom und Kohle. Je schneller wir vorwärtskommen und auf Innovationen und Flexibilität setzen, desto kosteneffizienter wird es.

Zur Person

Prof. Claudia Kemfert leitet die Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Sie ist Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance in Berlin. FOTO: Oliver Betke
 
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