Mehrere Zehntausend Besucher werden zum Katholikentag ab diesem Mittwoch in Münster erwartet. Zu dem bis Sonntag dauernden Treffen mit rund 1000 Veranstaltungen haben sich laut dem Veranstalter, dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken, rund 50 000 Dauerteilnehmer angemeldet. Der katholische Bestsellerautor und Politikberater Erik Flügge kritisiert derartige Großveranstaltungen als Geldverschwendung.
Frage: Herr Flügge, Sie sind SPD-Mitglied und Mitglied der katholischen Kirche. Haben Sie ein Faible für Organisationen, die in der Krise stecken?
Erik Flügge: In der Tat. Aber ich glaube: Sowohl die SPD als auch die katholische Kirche erfüllen wichtige Funktionen für die Gesellschaft. Sie prägen unsere Gesellschaft, sie tun ihr gut. Es ist ein Drama, dass beide gerade so schwächeln. Das Problem ist in beiden Fällen hausgemacht.
Leiden Sie an der SPD und an der katholischen Kirche und deren inneren Richtungskämpfen?
Flügge: In der SPD kann ich als Mitglied zumindest Einfluss nehmen auf den Kurs der Partei. Da ich kein Priester bin, kann ich das in meiner katholischen Kirche nicht. Ich kann nur Thesen zur Debatte stellen.
Wie ist Ihre These zum Katholikentag, der an diesem Mittwoch beginnt und auf dem Sie sein werden?
Flügge: Für mich ist der Katholikentag eine brutale Geldverschwendung.
Nach Veranstalterangaben kostet er etwa 9,3 Millionen Euro. Zwei Drittel davon trägt die Kirche selbst.
Flügge: Mich stört: Die Leute, die dort hingehen, sind doch ohnehin bereits in der Kirche engagiert. Und noch schlimmer: In Münster werden auch tausende Kirchenmitarbeiter herumlaufen – in ihrer Arbeitszeit. Diese Personalkosten wären besser in der Seelsorge investiert, nicht in dieser Selbstbespaßung.
Sind Sie da nicht sehr ungerecht? Ein Katholikentag ist auch eine Standortbestimmung mit Signalwirkung: Wir sind Kirche und dafür stehen wir!
Flügge: Der Katholikentag könnte tatsächlich einen Wert haben, wenn er wuchtige Impulse für eine Veränderung der Kirche geben würde.
Das tut er nicht?
Flügge: Nein. Von den vergangenen Katholikentagen ist die Botschaft ausgegangen, dass alles gleich bleibt. Oder dass man noch mehr um sich selbst kreist.
Seit Monaten wird darüber diskutiert, ob der kirchenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion,Volker Münz, an einer Podiumsdiskussion des Katholikentags teilnehmen sollte.
Flügge: Dies wird den Katholikentag komplett überlagern. Es wird in der öffentlichen Diskussion darum gehen: Wie stark wird die AfD in Münster provozieren – und wie unfähig wird der Katholizismus sein, mit dieser Provokation umzugehen? Der Katholikentag wird die gleiche Debatte abbilden, die täglich bundesweit über die AfD geführt wird. Gestern regte man sich über Beatrix von Storch auf, auf dem Katholikentag wird man sich über Münz aufregen und morgen über einen anderen AfD-Politiker. Muss die Kirche wirklich so viel Geld, Zeit und Personal in die Frage investieren, wie man mit der AfD umgehen sollte?
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken veranstaltet den Katholikentag. Dessen Präsident Thomas Sternberg verteidigte die Einladung von Münz: Die Podiumsveranstaltung sei richtig, das Ignorieren der AfD würde deren Mitgliedern nur die Möglichkeit bieten, sich als Märtyrer zu stilisieren.
Flügge: Er macht einen Riesenfehler: Nicht, weil man Angst davor haben sollte, mit der AfD zu diskutieren. Der Fehler ist, dass die Debatte über dieses eine Podium eben alles überlagert. Außer er hat Glück, und es geht ausschließlich um Markus Söders Kreuz-Anordnung. Aber auch das wäre ein Thema, das Herr Sternberg nicht selbst gesetzt hat.
Aber Münz ist doch nicht allein auf der Bühne. Mit ihm werden die kirchenpolitischen Sprecher aller im Bundestag vertretenen Parteien auftreten.
Flügge: Die ändern doch nichts daran, dass alle Medien auf die Provokationen von Münz drauf springen werden. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken wollte mutig sein, hat aber mit dieser Einladung nur dafür gesorgt, dass seine eigenen Thesen untergehen.
Sollten Katholikentage also abgeschafft werden?
Flügge: Die katholische Kirche muss umdenken: Sie muss sich nach dem allergrößten Anteil ihrer Mitglieder ausrichten – und das sind eben nicht die zehn Prozent, die zu einem Katholikentag gehen oder am Sonntag in die Kirche. Die zehn Prozent der aktiven Kirchenmitglieder verbrauchen das gesamte Geld, die gesamten Personalressourcen der Kirche – während die übrigen 90 Prozent nichts davon abbekommen.
So schreiben Sie das auch in Ihrem neuen Buch „Eine Kirche für viele statt heiligem Rest“. Irritiert es Sie dabei nicht, dass diese mutmaßlichen 90 Prozent die kirchlichen Angebote gar nicht so intensiv wahrnehmen? Nicht umsonst sind die Kirchen leer . . .
Flügge: Aber sie treten nicht aus! Und wenn man die Ausgetretenen befragt, dann sagen die: Ich habe von meiner Kirche nichts mehr gehört, ich bin ihr offensichtlich egal. Mein Co-Autor David Holte erzählte mir, wie aufwendig sein Austritt aus der Kirche war. Er musste erst recherchieren, wie es geht, musste dann zum Amtsgericht, musste 30 Euro zahlen. Er sagte: „Ich habe mehr Zeit in meinen Kirchenaustritt investiert als meine Kirche in mich.“
Erik Flügge wurde 1986 in Backnang in Baden-Württemberg geboren. Als Politikberater begleitete er unter anderem Wahlkämpfe des niedersächsischen SPD-Spitzenpolitikers Stephan Weil. Sein Buch „Der Jargon der Betroffenheit: Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt“ wurde 2016 zum Bestseller.