Nach 43 Jahren im Parlament bringt den dienstältesten Minister der Bundesregierung, Wolfgang Schäuble, so leicht nichts aus der Ruhe – es sei denn, ein griechischer Ministerpräsident und sein Finanzminister spielen mit ihm ihr surreales Spiel.
Nach den geplatzten Verhandlungen mit Athen erlebten Millionen von Fernsehzuschauern am Wochenende einen Schäuble, wie sie ihn bis dahin nicht gekannt haben. Abgekämpft, fahrig, die Krawatte ein wenig schief, der Blick ausdruckslos ins Nichts gerichtet. „Wir haben uns unendliche Mühe gegeben“, sagt dieser Schäuble und dass das jähe Ende der Verhandlungen so nun wirklich nicht vorgesehen gewesen sei. Auch das Adjektiv „deprimierend“ fällt an dem Abend.
Mittlerweile hat der Finanzminister sich zwar wieder etwas gefangen. Für einen überzeugten Europäer wie ihn allerdings waren die vergangenen Wochen auch eine persönliche Zumutung.
Rein körperlich, weil er noch mehr zwischen Berlin und Brüssel unterwegs war als sonst, aber auch politisch, weil das Europa, das sein griechischer Kollege Gianis Varoufakis anstrebt, so gar nichts mehr mit dem Europa zu tun hat, das Schäuble und der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl einst als Ideal vor Augen hatten. Ein Europa der Solidarität, das ja. Aber eben auch ein Europa der Solidität.
Obwohl er sonst keiner ist, der seine Gefühle zeigt, hat Schäuble aus seiner Abneigung gegen Varoufakis noch nie einen Hehl gemacht. Wenn er, der Jurist aus dem Badischen, den Wirtschaftsprofessor aus Athen einen „berühmten Ökonomen“ nannte, schwang damit keine Anerkennung mit, sondern bitterböse Ironie. „Es kann nicht sein“, wetterte der Amateurökonom Schäuble einmal, „dass jemand seinen Kredit nicht bedienen kann und dann den Bankdirektor beschimpft, dass die Konditionen nicht stimmen“.
In Athen haben sie ihm deshalb vorgeworfen, er wolle Griechenland aus persönlicher Rache aus dem Euro drängen. Tatsächlich ist es vor allem eine kulturelle Kluft, die beide trennt.
Hier Schäuble, ein Mann mit geradezu preußischen Tugenden, der sein persönliches Schicksal stets dem großen, gemeinsamen Ganzen untergeordnet hat und gerade seinen vielleicht letzten großen politischen Kampf kämpft. Dort Varoufakis, der im offenen Hemd auf dem Motorrad ins Büro fährt und die Aufregung um sich und seine Politik wie ein Beau zu genießen scheint.
Hier das alte, noch funktionierende Europa. Dort womöglich ein neues, in dem Loyalitäten nicht zählen und ein kleines Land mit 18 anderen Schlitten fährt.
Auch deshalb pochte der deutsche Finanzminister wie kein anderer darauf, dass die Vereinbarungen zwischen Athen und seinen Gläubigern auch eingehalten werden. Für Schäuble haben Ministerpräsident Alexis Tsipras und Varoufakis eine Bringschuld, nicht das übrige Europa.
Gleichzeitig aber hält er die Tür für Gespräche offen, in der Hoffnung, dass er die dann vielleicht mit einem neuen Finanzminister einer neuen griechischen Regierung führt.
Was hilft es ihm, dass er der erste deutsche Finanzminister seit 1969 ist, der keine neuen Schulden mehr machen muss, wenn gleichzeitig die Eurozone zu erodieren beginnt? Mag sein, dass er etwas angeschlagen ist, aufgeben wird er deshalb aber nicht.