zurück
BERLIN/GÖTTINGEN
Der höhere Freibetrag für Alleinerziehende entlastet kaum
Rudi Wais
Rudi Wais
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:06 Uhr

„Sie sind echte Helden unserer Leistungsgesellschaft.“ SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann strahlte zufrieden, als er nach der Klausur mit den Kollegen aus der Union in Göttingen Vollzug melden konnte: Rückwirkend zum 1. Januar erhöht die Koalition den Freibetrag für Alleinerziehende bei der Einkommenssteuer um 600 Euro im Jahr. Tatsächlich davon profitieren wird allerdings nur eine Minderheit der mehr als 1,6 Millionen Eltern, die ihre Kinder ohne Partner aufziehen. „Große Entlastungswirkung hat das nicht“, sagt Solveig Schuster, die stellvertretende Vorsitzende des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter im Gespräch mit dieser Redaktion.

Von einem Steuerfreibetrag profitieren naturgemäß nur die, die auch Steuern zahlen – und genau das ist für viele Alleinerziehende das Problem. Während von den klassischen Familien heute nur acht Prozent auf Hartz IV angewiesen sind, leben bei den Alleinerziehenden fast 40 Prozent von staatlicher Fürsorge, viele andere arbeiten überdies nur in Teilzeit oder in schlecht bezahlten Jobs, so dass sie häufig gar keine oder nur sehr wenig Steuern zahlen und folgerichtig von einem höheren Freibetrag nichts haben.

Unterm Strich, ahnt Verbandsfrau Schuster, werden es selten mehr als 150 Euro im Jahr sein, die erwerbstätige Alleinerzieher jetzt mehr zur Verfügung haben. Im vergangenen Jahr haben nach Auskunft der Augsburger SPD-Abgeordneten Ulrike Bahr etwa 40 Prozent der Alleinerziehenden den Freibetrag ganz oder teilweise in Anspruch genommen.

15 Euro mehr im Monat

Bei den wenigen Begünstigten, die so gut verdienen, dass sie unter den Spitzensteuersatz fallen, könnte sich die Entlastung nach einer ersten, groben Schätzung des Bundes der Steuerzahler auf bis zu 300 Euro im Jahr addieren. Genau berechnen lässt sich das aber noch nicht, da rückwirkend zum Jahresanfang ja auch der Grund- und der Kinderfreibetrag angehoben werden und die Steuertabellen erst entsprechend angepasst werden müssen. Nach einer Modellrechnung des Familienministeriums dürfte eine Alleinerziehende mit einem Kind und einem jährlichen Bruttoeinkommen von 36 000 Euro künftig jeden Monat knapp 15 Euro mehr in der Tasche haben. Bei einem Einkommen von 24 000 Euro wären es noch elf Euro.

Bisher konnten Alleinerziehende zusätzlich zu anderen Freibeträgen 1308 Euro im Jahr von der Steuer absetzen – als eine Art Ausgleich für das Ehegattensplitting, von dem nur verheiratete Paare profitieren. Dass der neue, nach elf Jahren erstmals erhöhte Freibetrag von 1908 Euro nun für das zweite und jedes weitere Kind noch um 240 Euro im Jahr angehoben wird, feiern die Unterhändler der Koalition in ihrem Beschluss zwar als politischen Erfolg: „Je mehr Kinder zu betreuen sind, desto anstrengender wird es.“ Der Verband der Alleinerziehenden allerdings hält diese Staffelung für eine Mogelpackung.

„Wir sehen das eher kritisch“, sagt Schuster. Wer mehr als zwei Kinder alleine großzuziehen habe, könne seinem Beruf häufig gar nicht mehr nachgehen, schon gar nicht in Vollzeit – entsprechend wirkungslos sei der Freibetrag dann auch. Der Würzburger CSU-Abgeordnete Paul Lehrieder, Vorsitzender des Familienausschusses, verteidigt die Entscheidung trotzdem: „Ich finde es gut, dass wir das hinbekommen haben.“ Mittlerweile ist in jeder fünften Familie in Deutschland nur noch ein Erwachsener für die Kinder da. Tendenz: steigend. Neun von zehn Alleinerziehenden sind dabei Frauen.

Finanzieren muss Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) die Steuerausfälle von rund 80 Millionen Euro im Jahr aus ihrem eigenen Etat – was allerdings kein großes Problem sein dürfte, da das umstrittene Betreuungsgeld längst nicht in allen Bundesländern so populär ist wie in Bayern. Von den für das laufende Jahr eingeplanten 900 Millionen Euro werden laut Lehrieder etwa 130 Millionen Euro gar nicht abgerufen.

Höherer Freibetrag

Die Fraktionsspitzen von Union und SPD hatten sich am Donnerstag darauf verständigt, den seit 2004 bei 1308 Euro verharrenden Freibetrag für Alleinerziehende rückwirkend zum 1. Januar um 600 Euro auf 1908 Euro im Jahr anzuheben. Der Bund würde damit rund 80 Millionen Euro zusätzlich schultern – das Geld soll aus dem Etat des Familienministeriums kommen. Der Bundestag muss aber noch zustimmen. Bei jedem weiteren Kind soll der Freibetrag für Alleinerziehende um zusätzliche 240 Euro steigen. In Deutschland gibt es laut Ministerium rund 1,6 Millionen Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, 90 Prozent davon sind Frauen. Text: dpa

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Rudi Wais
Alleinerziehende Mütter
Bund der Steuerzahler
Deutscher Bundestag
Einkommensteuer
Familienministerien
Manuela Schwesig
Paul Lehrieder
SPD
Steuerfreibeträge
Steuern und staatliche Abgaben
Thomas Oppermann
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen