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Der Hass auf das Kreuz
Seit der Entmachtung der Muslimbrüder richtet sich die Wut von Islamisten gegen koptische Christen. In der Stadt Minia wurden Kirchen, Bibliotheken und Läden angezündet. Amnesty International fordert, die christliche Minderheit in Ägypten besser zu schützen.
Spur der Zerstörung: Arbeiter schweißen das Kreuz über dem Eingang des Jesuitenzentrums in Minia wieder an, das Islamisten heruntergerissen und durch die Straßen geschleift hatten.
Foto: Katharina Eglau | Spur der Zerstörung: Arbeiter schweißen das Kreuz über dem Eingang des Jesuitenzentrums in Minia wieder an, das Islamisten heruntergerissen und durch die Straßen geschleift hatten.
Von unserem Korrespondenten Martin Gehlen
 |  aktualisiert: 09.10.2013 19:42 Uhr

Vor acht Wochen dröhnten hier an der Uferpromenade von Minia noch die Musikboxen, saßen junge Leute zusammen und hallte ihr Lachen über den Nil. Jetzt herrscht Totenstille, und Magdy al-Ahmed starrt den ganzen Tag auf die beiden schwimmenden Wracks, die er im Auftrag ihrer koptischen Besitzer bewacht. Jeden Morgen geht er herunter zum Schiffsanleger und schließt sich mit einer dicken Eisenkette ein. Es fällt ihm schwer, über die halbe Schicksalsstunde zu sprechen an jenem 14. August, als sich nach der blutigen Räumung der beiden Muslimbrüder-Protestcamps in Kairo mit mehr als 500 Toten in ganz Ägypten der Furor der Islamisten auch hier entlud. Erst flogen Steine, dann brachen die Rasenden die Zäune nieder, Minuten später schlugen aus den beiden Restaurantschiffen Mermaid und Dahabiya meterhoch die Flammen. Der 33-jährige Kellner flehte um sein Leben, die Peiniger ließen ihn gehen. Nebenan, in der Mermaid verbarrikadierten sich Koch und Kellner in Panik in der Toilette und verbrannten bei lebendigem Leibe – der eine Christ, der andere Muslim.

Hochburg radikaler Islamisten

Nirgendwo in Ägypten tobte der Hass gegen die Christen so wie in Minia. Nirgendwo wurden nach dem Sturz von Mohammed Mursi so viele Kirchen, Klöster, Schulen, Waisenhäuser, Gemeindezentren und koptische Läden angezündet wie in der oberägyptischen Nilprovinz, wo einst Pharao Echnaton zusammen mit Nofretete seine berühmte Hauptstadt Amarna erbaute.

Die Zeiten, als Minia zusammen mit Luxor und den Pyramiden in Giza zu den wichtigsten Touristenattraktionen Ägyptens gehörte und jährlich drei Millionen Besucher anzog, sind seit einer Generation Geschichte. In den 90er Jahren wandelte sich die Stadt neben Assiut zu einer Hochburg radikaler Islamisten. Ein Drittel der Einwohner ist heute arbeitslos, die Hälfte kann weder lesen noch schreiben.

Bei der Präsidentenwahl 2012 stimmten 88 Prozent für Mohammed Mursi. Und so rückten hier nach dessen Sturz besonders viele bärtige Schlägerhorden aus, um Rache zu nehmen. Letzte Woche verübten Bewaffnete sogar einen Mordanschlag auf Minias Bischof Makarios, als er im Dorf Sarow die Familie eines Christen besuchen wollte, der bei den Unruhen erstochen worden war. Hals über Kopf musste sich der Geistliche in einem Haus in Sicherheit bringen, erst nach zwei Stunden ließen die Attentäter von ihm ab und verschwanden.

Pater Biman steckt der Schock totaler Hilflosigkeit noch genauso in den Knochen wie der hartnäckige Brandgeruch in den verschmorten Gemäuern des Jesuiten-Campus. „In den Gesichtern stand der pure Hass, als wenn ich von einem anderen Stern komme und kein Recht zum Leben habe“, berichtet er. Dabei hat das kirchliche Gymnasium einen weit über Minia hinaus reichenden Ruf. In der Obhut des Ordens, der im Vorjahr erst sein 125-jähriges Bestehen im Ort feierte, stand die älteste Bibliothek der Stadt. Das Gros der Bestände war muslimische Literatur, von den 10 000 Büchern geblieben ist nur Asche. Das vierstöckige Sozialzentrum, deren Hilfesuchende zu 85 Prozent Muslime waren, ist eine einsturzgefährdete Ruine. Computer, Schreibtische, Drucker und Schränke – alles schleppten die Plünderer davon. Im Hof reihen sich die Skelette von Schulbussen und Autos. Die wertvollen Rollstühle für Schwerstbehinderte sind verkohlter Schrott.

„Für ein islamisches Ägypten“ sprayten die Angreifer auf die Steinpfeiler am Eingang. Das große Kreuz über dem Tor, dass sie heruntergerissen und unter höhnischem Gejohle durch die Straßen geschleift hatten, haben Arbeiter inzwischen wieder angeschweißt. Doch nach wie vor ziehen Abend für Abend Hunderte Islamisten drohend vor dem Eisentor auf und ab, schleudern krachend Steine gegen das Metall und schmähen die Christen mit gereckten Fäusten – Zustände, die Amnesty International am Mittwoch in einem detaillierten Bericht scharf kritisierte und eine unabhängige Untersuchung sowie Schutz der Christen forderte. Diese „muss auch die Rolle der Sicherheitskräfte ins Auge fassen. Manche Angriffe dauerten Stunden und wiederholten sich an folgenden Tagen.“ Und man frage sich, warum die Polizei nicht in der Lage gewesen sei, die Untaten zu verhindern oder zu beenden.

„So etwas hat es in der Geschichte der Stadt noch nie gegeben“, sagt Gouverneur Salah Zeyada. Seit sechs Wochen ist der frisch pensionierte Polizeigeneral in Minia der Statthalter der neuen Machthaber. Besucher empfängt er bis nach Mitternacht, direkt neben seinem Büro hat er sich in einer kleinen Kammer ein Bett aufstellen lassen. Rund um die Uhr bewachen Soldaten mit einem mächtigen Radpanzer das Haupttor, in sämtlichen Fensternischen seines Amtssitzes mit Nil-Blick liegen Sandsäcke. Auf seinem Schreibtisch greift der kettenrauchende General mal zum iPad und mal zum Koran. Das Gespräch oszilliert zwischen nüchternen Einsichten und düsteren Verwünschungen. „Wir haben diese Fanatiker selbst produziert – sie haben kein Geld, keine Ausbildung und wurden von der Regierung stets links liegengelassen“, räumt Zeyada ein, der auf dem Zenit seiner Mubarak-Karriere Polizeichef im Hafen von Alexandria war. Dann entfahren dem 60-Jährigen aber auch Sätze wie „diese Leute sind Müll, sie sind keine Menschen“. Auf eine Million schätzt er die Zahl der Muslimbrüder. „Die können wir nicht alle umbringen. Aber wir müssen gegen alle entschieden vorgehen, die morden, brennen und unsere Leben zerstören wollen.“

So wie Suleiman Jumali. Er lächelt stolz, seine Flinte in der Hand, die Dorfkirche stets im Auge. Hier kennt ihn jeder, als Dorfpolizist von El Berba – eine Autostunde von Minia entfernt – braucht er keine Uniform. Vor 20 Jahren gab es kaum Strom und fließend Wasser. Heute hat El Berba eine Gesundheitsstation und einen Kindergarten, Alphabet-Kurse für Frauen und ein Programm mit Kleinkrediten – kirchliche Sozialdienste, die allen 15 000 Dorfbewohnern zugute kommen, egal, an welchen Gott sie glauben.

Bauernwehr als Schutz

„Bleibt ihr in euren Häusern, wir Muslime übernehmen den Schutz“, ließ Bürgermeister Hashem Abdel Hamid den Christen von El Berba per Mund-zu-Mund Botschaft ausrichten, als sich vom Nachbardorf eine Kolonne mit Mursi-Parolen und grünen Stirnbändern näherte. Hashem Abdel Hamid strahlt Autorität und Tatkraft aus, eine mächtige Gestalt mit dunkelblauem Gewand und getönter Nickelbrille. Schon sein Ur-Ur-Großvater war Ortsvorsteher hier. Per Handyrundruf trommelte er rasch 70 Bauern von den umliegenden Feldern zusammen. Die aufgepeitschten Demonstranten drehten ab, zwei Wochen lang rund um die Uhr bewachte seine zusammengewürfelte Bauernwehr anschließend die Dorfkirche. „Wir sind alle zusammen aufgewachsen“, sagt Bürgermeister Hamid. „Was für eine Schande für uns, wenn der Kirche und den Christen hier etwas passiert wäre.“

Prozess gegen Mursi

Ägyptens gestürzter Präsident Mohammed Mursi muss sich ab dem 4. November wegen Anstiftung zum Mord vor Gericht verantworten. Wie die amtliche Nachrichtenagentur MENA am Mittwoch berichtete, wird Mursi zusammen mit 14 weiteren Angeklagten der Prozess gemacht. Ihnen wird der gewaltsame Tod mehrerer Demonstranten bei Protesten vor dem Präsidentenpalast im Dezember 2012 zur Last gelegt. Bei den Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern Mursis waren am 5. Dezember mindestens sieben Menschen getötet worden. Hintergrund der Proteste war ein umstrittenes Dekret des islamistischen Präsidenten, mit dem er sich weitreichende neue Befugnisse sichern wollte. Die Lage eskalierte, als Muslimbrüder eine Sitzblockade von Mursi-Gegnern vor dem Präsidentenpalast auflösten. Unter den 14 Mitangeklagten sind mehrere Vertraute Mursis sowie hochrangige Mitglieder der Muslimbruderschaft. Text: afp

 
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