Alexis Tsipras setzt auf Sieg. Er will Europa bezwingen, will die „Barbarei“ beenden, die Griechenlands Gläubiger den Hellenen antun. Tsipras spricht von „Umsturz“ und „Revolution“. Reden kann der ehemalige Studentenfunktionär.
Am heutigen Dienstag kommt Tsipras nach Berlin, wo er mit den Genossen der deutschen Linkspartei spricht. Das erhoffte Treffen mit der Kanzlerin, die Tsipras verächtlich als „Madame Merkel“ bezeichnet, in Griechenland eine Anrede aus dem Rotlichtmilieu, wird allerdings nicht zustande kommen. Auf den Termin im Kanzleramt muss Tsipras warten, bis er Ministerpräsident ist.
Das dauert vielleicht nur noch vier Wochen. Nachdem sein Bündnis der radikalen Linken (Syriza) aus der griechischen Parlamentswahl vom 6. Mai mit knapp 17 Prozent als zweitstärkste politische Kraft hervorging, hofft Tsipras beim nächsten Urnengang am 17. Juni auf den ersten Platz.
Die Meinungsforscher machen ihm Mut: In den meisten Umfragen liegt Syriza mit Stimmenanteilen von bis zu 28 Prozent vor allen anderen Parteien. Die Abstimmung von Anfang Mai sei nur „der erste Schritt zu einer Linksregierung“ gewesen, erklärt der Syriza-Chef siegessicher, den zweiten werde das Volk in vier Wochen tun.
Tsipras ist erst 37 Jahre alt, aber alles andere als ein politischer Anfänger. Der Sohn aus gutem Hause war schon als 16-Jähriger in der Kommunistischen Jugend politisch aktiv, organisierte Streiks und Schulbesetzungen. Später studierte er Ingenieurwissenschaften. 2006 gewann er einen Sitz im Athener Stadtrat, seit Februar 2008 führt er das Linksbündnis Syriza.
Tsipras weiß, was die meisten Griechen jetzt hören wollen. Der Sparkurs treibt das Land immer tiefer in die Rezession, jeden Tag gehen rund 900 Arbeitsplätze verloren. Die Krise zermürbt die Menschen. Die Griechen sind verzweifelt – und empfänglich für Verführungen.
Acht von zehn Wählern sind gegen das Sparprogramm, fast ebenso viele wollen aber am Euro festhalten. Das scheint nicht zusammenzupassen. Aber Tsipras sagt: es geht. Er will den Schuldendienst sofort einstellen und die Kreditverträge mit der EU sowie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) aufkündigen. Dass die Euro-Partner darauf mit der Einstellung der Hilfszahlungen reagieren, was relativ schnell dazu führen würde, dass Griechenland Drachmen drucken muss, um Staatsbedienstete und Rentner zu bezahlen, glaubt Tsipras nicht. Denn dann gerate die ganze Währungsunion ins Wanken, erklärt er seinen Landsleuten. Schon deshalb könnten die Geldgeber Griechenland gar nicht fallen lassen. Und wenn sie es doch tun, dann werde Griechenland die ganze EU mit in die Tiefe reißen, warnt Tsipras die Europäer.
Tsipras suggeriert seinen Landsleuten, das kleine Griechenland sitze am längeren Hebel – weil es so viel Schulden hat. Tsipras pokert hoch. Und er glaubt, dass er dieses politische Vabanquespiel gar nicht verlieren kann.
Tsipras kommt an. In einer am Wochenende veröffentlichten Umfrage bekam er bei der Frage nach dem geeignetsten Ministerpräsidenten die meisten Nennungen. Der Populist Tsipras bedient alle. Er verspricht Renten von 80 Prozent des letzten Gehalts, höhere Löhne und ein Arbeitslosengeld von 75 Prozent des Tariflohns, fünf Jahre lang. Die bereits gezahlte Sonderabgabe auf Immobilien will er nicht nur abschaffen sondern das Geld sogar zurückerstatten.
Die Linken begeistert Tsipras mit revolutionären Sprüchen, die Wähler der Mitte umgarnt er mit einem Bekenntnis zum Euro, das glühender kaum klingen könnte: „Wir werden alles dafür tun, dass Griechenland in der Eurozone bleibt.“ Doch das ist in seiner Partei nicht mehrheitsfähig. Sieben der zwölf Gruppierungen, die das Bündnis bilden, wollen den Euro nicht.
„Wir wollen den Austritt aus der Eurozone und den Bruch mit der EU“, sagt Panagiotis Lafazanis, der zum Syriza-Führungszirkel gehört. „Die Währung ist für uns kein Tabu“, erklärt auch Syriza-Finanzexperte Giannis Milios. „Was wäre schon dabei, wenn wir mit der Drachme bezahlen?“, fragt die Syriza-Abgeordnete Aphrodite Theopeftatou.
Syriza besteht aus überwiegend kommunistischen politischen Sekten wie der trotzkistischen „Internationalen Werktätigen Linken“, der maoistischen „Kommunistischen Organisation Griechenlands“ oder der „Gruppe Rosa“ (für Rosa Luxemburg). Die Mehrzahl dieser Gruppen hat nichts mit der EU am Hut.
Auch die ordnungs- und wirtschaftspolitischen Pläne des Radikallinken Tsipras klingen bizarr: Er will den ohnehin aufgeblähten Staatsdienst um weitere 100 000 Beschäftigte vergrößern, Privatisierungen rückgängig machen, die Banken und andere strategisch wichtige Unternehmen verstaatlichen. Die Arbeitsmarktreformen will er zurückdrehen, Kleinsparer für die Verluste beim Schuldenschnitt entschädigen und die Gelder aus der EU-Regionalförderung nicht mehr für Infrastrukturprojekte einsetzen, sondern für Sozialleistungen. Wenn Tsipras gefragt wird, wie solche Ideen ins heutige Europa passen, antwortet er freundlich, Europa müsse sich eben ändern. Man sieht: Der junge Grieche hat sich viel vorgenommen.
Vor dem Hintergrund der politischen Turbulenzen in Athen hatten sich die wichtigsten westlichen Industriestaaten und Russland am Wochenende für einen Verbleib Griechenlands in der Eurozone ausgesprochen. „Alle G8-Mitgliedstaaten wollen, dass Griechenland in der Eurozone bleibt“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) redete den Griechen ins Gewissen. Die griechischen Politiker müssten den Wählern erklären, dass die Europäische Union Griechenland helfen wolle. Es gebe aber keine Hilfe ohne Voraussetzungen. Ob das Sparprogramm in die Tat umgesetzt würde, hänge allein von den griechischen Politikern ab.
Mit Material von dpa