Es war kurz nach zwölf Uhr mittags, als Giorgio Napolitano mit einer Limousine vor seiner Privatwohnung im römischen Viertel Monti eintraf. Der ehemalige italienische Staatspräsident, der am Mittwochvormittag seinen lange erwarteten Rücktritt eingereicht hatte, winkte noch einmal den Neugierigen, um dann mit seiner Ehefrau hinter einer schweren Holztür zu verschwinden.
In seiner außergewöhnlich langen, neunjährigen Amtszeit hatte sich der bald 90 Jahre alte Politiker international als Garant der politischen Stabilität Italiens profiliert. Sein Rücktritt aus Altersgründen überlässt die Politik in Rom nun wieder ihren ureigenen Wirren.
Die Regierung von Premier Matteo Renzi ist auf dem Weg, wichtige Verfassungsreformen zu verabschieden. Der Rücktritt Napolitanos, der sich als eine Art Wachhund über den Reformkurs verstand, stellt nun das institutionelle Gleichgewicht auf die Probe. 2013 hatten sich die Parteien zunächst nicht auf einen Nachfolger einigen können. Der gebürtige Neapolitaner und ehemalige Kommunist erklärte sich schließlich zu einer zweiten Amtszeit bereit, die er angesichts seines fortgeschrittenen Alters nur bis zum Ende der italienischen EU-Ratspräsidentschaft wahrnehmen wollte. Die Suche nach einem Nachfolger lässt sich auch diesmal schwierig an. „Diese Wahl ist so unvorhersehbar wie die eines Papstes“, kommentierte die Turiner Zeitung „La Stampa“. „Nur, dass der Heilige Geist nicht mithilft.“
Der erste Wahlgang der 1009-köpfigen Vollversammlung beider Parlamentskammern sowie einer Reihe regionaler Abgeordneter ist für den 29. Januar angesetzt. Bis zur Wahl vertritt Senatspräsident Piero Grasso den Staatspräsidenten, der die in Italien besonders delikate Befugnis hat, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen.
Napolitano, im Volk halbernst auch „König Giorgio“ genannt, übte sein Amt aktiv im Sinne des Fortkommens einer Reformpolitik aus und setzte in der kritischen Phase der Finanzkrise 2011 etwa die Technokraten-Regierung unter Mario Monti ein. Die entscheidende politische Figur der kommenden Wochen ist aber einmal mehr Ministerpräsident Matteo Renzi, der Napolitano per Twitter-Kurznachricht für seine Verdienste dankte („Grazie presidente“). Die Zeitung „La Repubblica“ sieht für Renzi nun die delikateste Phase der Legislatur gekommen.
Der 40 Jahre alte Premierminister ist seit Februar 2014 im Amt und konnte bereits einige Teilerfolge bei seinen Reformbemühungen erzielen. Immer wieder sieht er sich aber Protesten des linken Flügels der von ihm geführten „Demokratischen Partei“ (PD) ausgesetzt, so auch bei den anstehenden Abstimmungen über das neue Wahlgesetz. Diese Widerstände könnten nun auch die Wahl des Napolitano-Nachfolgers erschweren. Renzi ist dabei auch auf die Stimmen anderer Parteien wie etwa der Berlusconi-Bewegung Forza Italia (FI) angewiesen, die ebenfalls Auflösungserscheinungen zeigt. Sollte es dem Premier aufgrund der internen Widerstände nicht gelingen, rasch einen eigenen Kandidaten durchzusetzen, droht erneut ein institutionelles Chaos.
Zu den aussichtsreichen Kandidaten zählen der ehemalige PD-Vorsitzende und Ex-Bürgermeister von Rom, Walter Veltroni, aber auch Interims-Präsident Piero Grasso (PD), ein ehemaliger Antimafia-Staatsanwalt. EZB-Präsident Mario Draghi schloss eine Kandidatur aus. Ex-Ministerpräsident Romano Prodi, der auch EU-Kommissionsvorsitzender war, gilt wegen seiner internationalen Versiertheit als ideale Besetzung. Seine politischen Wettkämpfe mit Berlusconi und seine Zugehörigkeit zum alten, Ministerpräsident Renzi kritisch gegenüberstehenden Partei-Establishment, werden aber als Hindernisse für seine Wahl gewertet.