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„Der Facebook-Skandal ist eine Zeitenwende“
Das Gespräch führte Michael Pohl
 |  aktualisiert: 14.04.2018 02:55 Uhr

Seit dem Ausspähungs-Skandal gilt die neue EU-Datenschutz-Regelung weltweit als Vorbild: Keiner hat das Projekt so vorangetrieben wie der Grüne Jan Philipp Albrecht. Der 35-Jährige, der Umweltminister in Schleswig-Holstein werden soll, gilt wegen seiner beharrlichen Überzeugungsarbeit als maßgeblicher Autor der europäischen Datenschutz-Grundverordnung.

Frage: Mark Zuckerberg hat sich für den Skandal der Ausspähung von 87 Millionen Facebook-Kunden entschuldigt und den europäischen Datenschutz als Vorbild bezeichnet. Nehmen Sie dem Facebook-Chef seine Entschuldigung ab?

Jan Philipp Albrecht: Nein. Facebook ist eines der größten Unternehmen der Welt. Weder die Politik und Verbraucher können sich hier mit Entschuldigungen abspeisen lassen. Bei Rechtsverstößen geht es um lückenlose Aufklärung und schonungslose Ermittlungen. Facebook muss alle Fakten den Behörden offenlegen. Es ist typisch für Mark Zuckerberg, dass er nur langsam reagiert und die Dinge nur stückweise ans Licht kommen lässt. Das zeigt, dass Facebook die Entschuldigung nicht ernst meint. Die Politik muss den Internetkonzernen klarmachen, dass sie sich an Recht und Gesetz halten müssen und nicht an irgendwelche eigenen Vorstellungen.

Viele sprechen bereits von einer drohenden „Algokratie“: Werden Systeme wie Facebook und Big Data zur Gefahr für die Demokratie, indem mit Algorithmen das Verhalten der Menschen beeinflusst wird?

Albrecht: Dienste wie Facebook sind im Grunde keine Gefahr für die Demokratie. Aber sie werden dann gefährlich, wenn die Gesellschaft für sie ihre sonst gültigen Grundregeln und Gesetze über Bord wirft. Dieses Problem erleben wir seit langer Zeit: Viele Unternehmen aus dem Silicon Valley halten sich seit Jahren nicht an die geltenden Datenschutz-Gesetze. Sie schlachten persönliche Kundendaten aus und geben sie an andere weiter, um damit Geld zu verdienen. Das ist eine Gefahr für die Demokratie, weil die Selbstbestimmung der Bürger und die Kontrolle im digitalen Zeitalter verloren gehen.

Was bedeutet der Facebook-Skandal für die Politik?

Albrecht: Das ist eine Zeitenwende. Denn das ist ja nur die Spitze des Eisbergs, es hat schon viele solcher Skandale gegeben. Jetzt merken immer mehr Menschen, welchen Risiken sie direkt ausgesetzt sind. Aber auch die politische Debatte ist bereits deutlich vorangekommen: Europa hat mit der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung jetzt einen weltweit vorbildlichen Gesetzesstandard für Datenschutz geschaffen.

Sind die politisch Verantwortlichen beim Thema Digitalisierung zu fortschrittgläubig und naiv?

Albrecht: Glaubt jemand, es wäre ein Fortschritt, wenn das, was man im Silicon Valley die vergangenen 20 Jahre gemacht hat, der Entwurf für die Zukunft sein soll? Ich glaube, der datengierige Silicon-Valley-Kapitalismus hat ausgedient. Die Zukunft liegt in der anderen Richtung: Datenschutzfreundliche Technologien, die Anonymität im digitalen Zeitalter ermöglichen und die Kontrolle des Einzelnen zu stärken. Wenn die CSU-Digital-Staatsministerin Dorothee Bär die Art des Silicon Valleys als Vorbild anpreist, ist das ein Rückschritt.

Haben die Internetkonzerne mit dem rasanten Tempo der Digitalisierung die Politik abgehängt?

Albrecht: Die Politik hat zu lange gebraucht, um zu erkennen, dass es sich bei Konzernen wie Facebook, Microsoft, Apple oder Google nicht um irgendwelche Start-Ups handelt, sondern um harte Konzerngiganten, vor denen selbst die deutsche Industrie Angst haben muss, weil sich eine neue Wirtschaftsebene gebildet hat. Die Internetkonzerne haben es lange geschafft, der Politik vorzugaukeln, sie wären zarte Pflänzchen, die man nicht regulieren darf, weil sonst alle diese Dienste gleich wieder pleitegehen würden. Damit muss endlich Schluss sein.

Die europäische Datenschutzverordnung gilt ab 25. Mai. Was bedeutet sie für den Fall Facebook?

Albrecht: Schon jetzt gelten strenge Datenschutzrichtlinien, doch ab dem 25. Mai drohen den Unternehmen harte Sanktionen bei Verstößen. Der Datenschutz steht dann nicht mehr nur auf dem Papier, sondern wird auch durchgesetzt: Unternehmen wie Facebook können sich nicht mehr hinter einer schwachen irischen Datenschutzaufsicht verstecken. Das ändert aber nichts daran, dass mögliche Rechtsverstöße von Facebook jetzt aufgeklärt und gegebenenfalls bestraft werden müssen.

Welchen Vorteil hat der Verbraucher vom neuen EU-Datenschutz?

Albrecht: Es gibt viel mehr Transparenz: Die EU-Bürger haben Anspruch darauf, zu erfahren, wie ihre Daten verwendet und herausgegeben werden. Die Datenschutzerklärungen müssen künftig einfach und verständlich sein. Das schafft bessere Vergleichsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Anbietern. Es gibt für Verbraucher zudem bessere juristische Möglichkeiten vor Gericht, zum Beispiel massenhafte Schadenersatzklagen. Das ist ein scharfes Schwert, zusätzlich zu den hohen Strafen, die EU-Behörden künftig verhängen können. Das kann in Milliardenhöhen gehen und sorgt dafür, dass man das Thema Datenschutz in den Konzernvorständen endlich ernst nimmt.

Die Große Koalition will den Datenschutz teilweise lockern, um die Digitalisierung zur fördern.

Albrecht: Es geht um die Frage, wie wir auf europäischer Ebene das sogenannte Tracking, die Spuren der Verbraucher im Internet, einheitlich regulieren. Hier versuchen die Internetkonzerne, aber auch viele Werbe- und Medienunternehmen, den bestehenden Schutz, den wir in Deutschland haben, abzuschwächen. Auch die neue Bundesregierung will hier gegen den Willen der EU-Kommission den Datenschutz lockern. Ich glaube, angesichts des Facebook-Skandals wäre dies ein absolut falsches Signal, das man den Verbrauchern geben kann.

 
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