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Der Bulle von Rom
Italiens Retter in der Not: Franco Gabrielli hat schon die Bergung des Unglücksschiffs „Costa Concordia“ koordiniert. Jetzt ist er als Polizeichef für die Sicherheit während des Heiligen Jahres zuständig, das heute beginnt. Und muss im Vatikan die Nerven beruhigen.
Rom ist in Aufregung wegen des Heiligen Jahres: „Dieses Jubiläum ist kein Problem für die Stadt“, sagt Polizeipräfekt Franco Gabrielli. Das Foto zeigt ihn 2013 bei der Bergung des Unglücksschiffes „Costa Concordia“, die Gabrielli damals koordinierte.
Foto: Insidefoto, Imago | Rom ist in Aufregung wegen des Heiligen Jahres: „Dieses Jubiläum ist kein Problem für die Stadt“, sagt Polizeipräfekt Franco Gabrielli.
Julius Müller-Meiningen
 |  aktualisiert: 17.12.2015 03:50 Uhr

Mit gefalteten Händen sitzt der Mann auf dem Podium und lauscht sichtbar angetan seinen katholischen Vorrednern. Es geht um Barmherzigkeit, es geht um den Papst. Es geht um ein Ereignis, dem sich die Stadt Rom eher wie ein Schiffbrüchiger auf einem kleinen Stück Holz, denn in Vorfreude auf ein freudiges Ereignis genähert hat. Als Papst Franziskus im März das außerordentliche Heilige Jahr der Barmherzigkeit ausrief, da schlugen nicht wenige Verantwortliche die Hände über dem Kopf zusammen. Mafiaskandal in der Stadtverwaltung, verschmutzte, löchrige und vermüllte Straßen, Verkehrsbetriebe im Dauerchaos, die schönste Stadt der Welt am Rande des Nervenzusammenbruchs. Jetzt kommt auch noch die Terrorangst hinzu. Aber Franco Gabrielli, der Polizeipräfekt der Stadt Rom, sagt auf einmal: „Dieses Jubiläum ist kein Problem für die Stadt, sondern eine große Chance.“

„Schutzengel des Heiligen Jahres“

Wie er das genau meint, weiß man nicht. Nur: Was hätte er anderes sagen sollen neben Kardinälen und Bischöfen, denen man kurz vor Beginn des Giubileo ihre Stoßgebete förmlich anhört. Soll man dem Mann glauben, der vom Vatikansprecher als „Schutzengel des Heiligen Jahres“ bezeichnet wurde? Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, der bei dieser Buchvorstellung wenige Tage vor Beginn des Großereignisses neben Gabrielli auf dem Podium sitzt, guckt den Polizeichef mit ernster Mine an, ein Gesicht wie aus Stein, der Mund ein gerader, besorgter Strich. Auch Erzbischof Rino Fisichella, vatikanischer Organisator des Heiligen Jahres, blickt finster drein. Man könnte meinen, dass seit den Attacken von Paris bei den Verantwortlichen im Vatikan die Hoffnung auf den Allmächtigen einem Hoffen auf Gabrielli immer ähnlicher geworden ist.

Am Mittwochabend war plötzlich das Licht ausgegangen. Nur die Laternen der Via della Conciliazione leuchteten noch. Am Ende der Straße, wo sich sonst in aller Pracht der hell angestrahlte Petersdom mit seiner großen Kuppel auftut, war nur noch ein tiefes Dunkel. Ein Kurzschluss? Ein Test? Vielleicht sogar im Hinblick auf die Terrorgefahr? Viele Römer erinnern sich noch an die Fotomontagen aus der Dschihadisten-Zeitschrift „Dabiq“ mit der schwarzen Fahne auf dem Obelisken am Petersplatz samt den Drohungen, Rom, den Vatikan, den Hort des Katholizismus zu erobern. Aber es war nur eine spektakuläre Lichtershow, die da für den Start des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit geprobt wurde. Die Anspannung in Rom ist mit Händen zu greifen.

Der Papst wünscht „offene Türen“

Heute will Papst Franziskus das von ihm selbst angekündigte Heilige Jahr mit der Öffnung der Heiligen Pforte im Petersdom beginnen. Auch der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat sein Kommen angekündigt. Das außerordentliche Jubiläum ist der Barmherzigkeit gewidmet, und doch steht es nach den Terrorattacken von vor drei Wochen in Paris vor allem unter dem Eindruck starker Sicherheitsvorkehrungen.

„Offene Türen“ wünschte sich der Papst, aber dieser Tage wurden Dutzende zusätzliche Metalldetektoren und Gepäckscanner an den Zugängen zum Petersplatz angebracht.

Die Umgebung des Vatikans gleicht in diesen Tagen einer militarisierten Zone. Fahrzeuge von Polizei, Carabinieri und Militär stehen bestens sichtbar in Nähe des Petersplatzes. Die Einsatzkräfte sind mit Maschinenpistolen bewaffnet. 2000 Polizisten sollen ab sofort im Einsatz sein, dazu 300 Soldaten und etliche Beamte in Zivil. Seit Sonntag sind nicht nur der Transport von Waffen, Munition, Sprengstoff und giftiger Substanzen, sondern auch Feuerwerkskörper in der Stadt verboten. Seit der vergangenen Nacht sind für 24 Stunden Benzintransporte untersagt. Über Rom herrscht heute Flugverbot. Die Beteuerungen der Verantwortlichen, irgendwelchen diffusen Ängsten nicht nachzugeben, werden von den extremen Sicherheitsvorkehrungen kontrastiert.

Es wirkt so, als könnte sich das bis 20. November 2016 dauernde Jahr der Barmherzigkeit in Rom vielmehr in ein Jahr der Verunsicherung verwandeln. Der Zulauf zu den Generalaudienzen des Papstes ist gering, zuletzt kamen gerade einmal 10 000 Menschen. Auch die Schätzungen, dass zwischen 20 und 30 Millionen Touristen bis Ende des Jubiläums anreisen, wurden zurückgeschraubt. Viele Urlauber und Pilger stornieren ihre Reisen. Auch zum Auftakt erwartet Polizeipräfekt Gabrielli keinen großen Zulauf. Von 50 000 bis zu 100 000 Pilgern ist die Rede. Ein Klacks im Vergleich zu sonstigen Großereignissen hier.

Gabrielli ist so etwas wie die Risikoversicherung für das geschrumpfte Massenevent. Der 55 Jahre alte Polizeichef ist vor allem bekannt, seit er in seiner Funktion als Chef des italienischen Katastrophenschutzes die Bergung und Aufrichtung des im Januar 2012 vor der Insel Giglio havarierten Kreuzfahrtschiffes „Costa Concordia“ koordinierte. Sein Umgang mit der Öffentlichkeit ist hemdsärmelig und unkompliziert.

Als „Sbirro“, also als „Bulle“, bezeichnet sich der gebürtige Toskaner selbst. Gabrielli ist und fühlt sich in erster Linie als Polizist und als einer, der nach Jahren in der Terrorismus- und Mafiabekämpfung sowie beim Geheimdienst Gefahrenlagen einzuschätzen weiß. „Als mich mein Sohn fragte, wie er sich nach den Angriffen in Paris verhalten sollte, habe ich ihm gesagt, er soll sein Leben so wie bisher weiterleben“, sagt Gabrielli. Er muss, vielleicht mehr noch als die Prävention vor einem Angriff, in erster Linie die Emotionen in den Griff bekommen, das merkt man jeder seiner Äußerungen an. Die Terrorgefahr zum Heiligen Jahr sei zwar existent, aber nicht näher bestimmbar. Die Institutionen seien dazu dar, Anschläge zu verhindern. Wer in Panik verfalle, der tue den Kriminellen einen Dienst. Das ist der Sermon des derzeit wichtigsten Mannes in der Stadt.

Als 2009 in den Abruzzen die Erde bebte, war es Gabrielli, der einen Teil der Rettungs- und Wiederaufbauarbeiten koordinierte. Wechselnde Regierungen konnten seinem Aufstieg nichts anhaben. Im April 2015 ernannte ihn Premier Matteo Renzi zum Polizeichef der Stadt Rom, die sich seit bald einem Jahr in einen großen Mafiaskandal verwickelt sieht und beinahe führungslos dahinschippert. Der tapfere, aber ungeschickte Bürgermeister Ignazio Marino wurde aus dem Amt geekelt. Die Regierung schickte einen Kommissar aus Mailand, der die Verwaltung bis zu den Wahlen im Frühsommer leitet. Gabrielli, teilweise von den Zeitungen ironisch als „Erzengel Gabrielli“ verspottet, musste sich vorwerfen lassen, dass er aus politischen Gründen die Stadtverwaltung nicht auflöste, wie es angesichts der Ausmaße des Bestechungsskandals eigentlich Gesetz wäre. Diese Polemiken sind inzwischen so gut wie vergessen, es geht jetzt um mehr. Auch, dass von den großen Infrastrukturprojekten, die zum Heiligen Jahr die Stadt auf Vordermann bringen sollten, nur der Bau von ein paar Dutzend neuen Bürgersteigen übergeblieben ist, interessiert kaum noch jemanden.

„Wir sind uns der Bedrohung bewusst“

Gabrielli hat es, natürlich nicht im Alleingang, geschafft, ein gesunkenes Kreuzfahrtschiff wieder aufzurichten. Eine Stadt gegen etwaige Terroranschläge zu rüsten und diese am besten schon im Vorfeld zu verhindern, sollte da keine Überforderung sein, meinen viele. „Ich bekomme viele Anfragen von Schuldirektoren, die wissen wollen, ob es angebracht ist, mit ihren Klassen zum Heiligen Jahr nach Rom zu kommen“, erzählt Gabrielli. Bürger, Pilger und Touristen könnten beruhigt sein. Und doch gelte: „Wir sind uns der Bedrohung bewusst.“ Die Pilger sollten auf den Petersplatz so wenige Gegenstände wie möglich mitbringen, damit die Kontrollen rasch abgeschlossen werden können. Demonstrativ, so heißt es, werde der Polizeipräfekt heute auf dem Petersplatz sein und nicht im Lagezentrum der Polizei.

2000 Überwachungskameras

Auch im Vatikan herrscht höchste Alarmbereitschaft. Der Kommandeur der Vatikan-Gendarmerie, Domenico Giani, sagt: „Wir wissen nichts über konkrete Bedrohungen des Papstes, das bedeutet aber nicht, dass diese nicht existieren können.“ 2000 über die Stadt verteilte Überwachungskameras sollen Täter abschrecken, U-Bahn-Stationen werden vom Militär bewacht. Krankenhäuser haben ihre Notfallpläne aktualisiert, die beiden Flughäfen werden stark kontrolliert. Gabrielli kündigte sogar einen Mechanismus zur Überwachung und zum Abschuss von Drohnen an. Die Körperkontrollen vor dem Kolosseum und Sankt Peter wirken ernsthafter als noch vor kurzem. Teilweise geht die Aufregung der sonst eher unaufgeregten Römer so weit, dass in der Ewigen Stadt nun sogar Anti-Terrorkurse angeboten werden. Ab Samstag können Taxi- und Busfahrer, Mitglieder der Lokalpolizei und Freiwillige sich von einer Privatorganisation zu nicht näher definierten Wachposten ausbilden lassen.

Wenn die Römer einer einzigen Person ihre Sicherheit anvertrauen müssten, dann wäre Gabrielli gewiss in der engeren Wahl. Aus der Hauptstadtperspektive weist er allerdings einen gravierenden Mangel auf. Er hängt nicht einem der beiden lokalen Fußballteams an, sondern Juventus Turin. Angesichts der Ausnahmesituation treten auch in Rom sonst existenzielle Fragen wie diese in den Hintergrund.

Was das Heilige Jahr so besonders macht und wie es auch in unserer Region zu spüren ist

Die Tradition der Heiligen Jahre reicht bis ins Jahr 1300 zurück. Dabei gewährt der Papst den Gläubigen unter bestimmten Bedingungen einen vollständigen Erlass ihrer Sünden. Bislang wurden 26 ordentliche Heilige Jahre gefeiert, die alle 25 Jahre stattfinden. Zuletzt hatte Papst Johannes Paul II. vor 15 Jahren ein solches ausgerufen. Damals strömten etwa 30 Millionen Gläubige nach Rom. Das von Franziskus ausgerufene „Jubiläum der Barmherzigkeit“ ist ein außerordentliches Heiliges Jahr. Es soll die Menschen zu Umkehr und Hinwendung zu Gott aufrufen und den Blick auf Bedürftige richten. Das Heilige Jahr beginnt am heutigen Dienstag und endet am 20. November 2016. Beide Termine sind katholische Feiertage: Die Eröffnung fällt mit dem Hochfest der Unbefleckten Empfängnis Mariens zusammen, das Ende mit dem Christkönigsfest.

Der Papst will mit dem Heiligen Jahr auch an das Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils am 8. Dezember 1965 erinnern. Damals waren wegweisende Reformen beschlossen worden. Heute richten sich zunächst alle Blicke nach Rom. Die Öffnung der sogenannten Heiligen Pforte des Petersdoms, einer üblicherweise zugemauerten Kirchentür, markiert den offiziellen Auftakt des Heiligen Jahres. Fünf Tage später stehen den Gläubigen auf Wunsch des Papstes auch in Kathedralen und Wallfahrtsorten weltweit Heilige Pforten offen, um einen Sündenerlass zu erlangen. Papst Franziskus hat die Barmherzigkeit zu einem zentralen Thema seines Pontifikats gemacht. Das Motto des Papstes auf seinem Wappen lautet „miserando atque eligendo“ („aus Barmherzigkeit gewählt“), und auch in seinem ersten Angelus-Gebet nach seiner Wahl zum Kirchenoberhaupt betonte er die Bedeutung der Barmherzigkeit. Franziskus verfügte, dass während des Heiligen Jahres auch Häftlinge in der Gefängniskapelle einen Ablass ihrer Sünden erlangen können. Zudem ernannte er 800 Priester zu „Missionaren der Barmherzigkeit“, die besondere Vollmachten erhalten, um Gläubige von Sünden loszusprechen, von denen normalerweise nur der Papst freisprechen kann.

Dieser erlaubt es im Heiligen Jahr auch Priestern, Frauen von der „Sünde der Abtreibung“ loszusprechen. Im Bistum Würzburg eröffnet Bischof Hofmann das Heilige Jahr am Sonntag, 13. Dezember, um 18.30 Uhr im Kiliansdom mit einem Pontifikalgottesdienst. Anschließend ziehen die Gläubigen in einer Prozession in die Franziskanerkirche, wo die Würzburger „Pforte der Barmherzigkeit“ feierlich geöffnet wird. Weihbischof Ulrich Boom öffnet am Sonntag, 13. Dezember, bei einer Vesper um 16 Uhr in der Aschaffenburger Kapuzinerkirche die dortige „Pforte der Barmherzigkeit“. Boom ist vom Ständigen Rat der Deutschen Bischofskonferenz zum Beauftragten für das Außerordentliche Heilige Jahr der Barmherzigkeit berufen worden. Damit übernimmt der Würzburger Weihbischof (im Bild) die Koordination der bundesweiten Aktivitäten zum Heiligen Jahr. Auch auf dem Kreuzberg in der Rhön wird es im Heiligen Jahr eine „Pforte der Barmherzigkeit“ geben. Diese wird mit Beginn der Wallfahrtssaison am Dienstag, 3. Mai 2016, in der Wallfahrtskirche am Kreuzberg geöffnet. Der Sonntag der Barmherzigkeit (Weißer Sonntag) soll außerdem im Bistum Würzburg als besonderer Tag begangen werden.

Die Feste in der Diözese Würzburg wie die Kiliani-Wallfahrtswoche stehen unter dem Thema Barmherzigkeit, ebenso die Priesterwallfahrt zum Heiligen Jahr vom 30. Mai bis 4. Juni 2016. Text: afp, dpa kna, clk / Foto: P. Rauch

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Foto: Filippo Monteforte, afp | Alle schauen auf Rom: der Petersdom im Morgengrauen.
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