Es ist eine symbolische Aktion, wie sie heute bewusst gewählt wird: Dort, wo sich früher Erzfeinde bis aufs Blut bekriegten, reichen die höchsten Vertreter der einstigen Gegner einander die Hand – vor den Augen Jugendlicher beider Länder. So kamen am Freitag der französische Staatschef Emmanuel Macron und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum ehemaligen Kriegsschauplatz Hartmannswillerkopf bei Watwiller im Elsass, um dort gemeinsam die erste deutsch-französische Erinnerungsstätte einzuweihen.
Den Grundstein dazu hatten noch ihre Vorgänger, François Hollande und Joachim Gauck, im Sommer 2014 anlässlich des 100-jährigen Gedenkens an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges gelegt – ebenfalls im Beisein Dutzender junger Leute, mit denen die Präsidenten jeweils das Gespräch suchten. Sie waren teilweise kaum jünger als die Soldaten, die sich hier ein Jahrhundert früher gegenseitig niedergemetzelt hatten.
Emmanuel Macron legt seit seinem Amtsantritt großen Wert auf bedeutungsschwere Gesten, die Bezug zur Geschichte schaffen. Nicht zufällig lud er den deutschen Präsidenten einen Tag vor dem 11. November ein, an dem Frankreich des Endes des Ersten Weltkrieges gedenkt. Ihm sei die gemeinsame Aktion sehr wichtig, betonte er noch am Vormittag, nach einem ersten Gespräch mit Steinmeier in Paris. „Lange hat Frankreich in dieser Region ein nationales Gedenken gepflegt. Damit erhielten wir Spannungen aufrecht. Heute bauen wir an einer gemeinsamen Geschichte, weil sie der Sockel einer gemeinsamen Zukunft ist.“
Der Hartmannswillerkopf in der Region Elsass-Lothringen gehört zu Frankreichs bedeutendsten Gedenkorten an den Ersten Weltkrieg. Da er zunächst eine wichtige strategische Rolle spielte, tobten zwischen Dezember 1914 und Januar 1916 auf und um den 965 Meter hohen Gipfel erbitterte Kämpfe zwischen deutschen und französischen Truppen. Insgesamt 30 000 Menschen starben, was der heute so friedlich in der Natur liegenden Erhebung den Namen „Menschenfresser“ einbrachte.
„Nicht dieser Berg ist ein Menschenfresser – der Nationalismus ist ein Menschenfresser“, erklärte Frank-Walter Steinmeier. Mörderisch sei nicht der Berg gewesen, sondern „der Irrglaube an die Überlegenheit der eigenen Nation über andere Nationen, für den Millionen junger Männer in den Krieg zogen und darin umkamen“. Beide Präsidenten blickten gemeinsam hinunter auf die Waldlandschaft, aus der Novembernebel aufstieg, besuchten die Krypta und durchschritten die Soldatenfriedhöfe, wo sich Kreuze in langen Linien aneinanderreihen.
Eine nationale Erinnerungsstätte existierte an dem historischen Ort bereits, die ab 2009 renoviert und ausgebaut wurde. Nun gibt es mit dem neuen Historial auch ein bislang einzigartiges deutsch-französisches Museum zum Ersten Weltkrieg, konzipiert von einem binationalen Wissenschaftsrat. Es setzt sich vor allem mit dem Alltagsleben der Soldaten auseinander, aber auch der deutsch-französischen Verständigung nach den beiden Weltkriegen. Zur Eröffnung wurde eine Tapisserie des deutschen Pop-Art-Künstlers Thomas Bayrle enthüllt – das Abbild eines Totenschädels auf einer beeindruckenden Fläche von 20 Quadratmetern.
Beide Präsidenten betonten, dass historisches Gedenken immer auch in die Zukunft weisen müsse. „Europa! Dieses Europa, die in Frieden vereinte Europäische Union, ist die Antwort auf die Verheerungen zweier Weltkriege“, sagte Steinmeier. Er lobte Macron für dessen Europa-Rede vor einigen Wochen in der Pariser Universität Sorbonne, die vor Reformvorschlägen nur so strotzte. Mit Herzblut hatte der französische Staatschef für eine intensivere Zusammenarbeit in allen Bereichen geworben, von der Verteidigung über Steuerfragen bis hin zu einer Vertiefung der Eurozone mit einem gemeinsamen Budget und Euro-Finanzminister – ein Vorschlag, der in Berlin auf ein geteiltes Echo stößt. Steinmeier rief Macron hingegen „d?accord“ zu, „einverstanden“: „Ich stehe, wie die große Mehrheit meiner Landsleute, an Ihrer Seite. Ihr Schwung aus Frankreich – den spüren wir in Berlin. Und ich bin sicher: Wir werden ihn mit Elan aufnehmen.“ Denn europäische Solidarität widerspreche nicht europäischer Souveränität, sie ergänze, ja vergrößere sie sogar.