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Der Arabische Frühling ist weiblich
In dem Königreich kämpfen Frauen mit Ideen, Humor und Facebook um ihre Rechte
Unter dem Schleier: Frauen müssen in Saudi-Arabien in der Öffentlichkeit einen Schleier und Umhang tragen.
Foto: Katharina Eglau | Unter dem Schleier: Frauen müssen in Saudi-Arabien in der Öffentlichkeit einen Schleier und Umhang tragen.
Von unserem Korrespondenten Martin Gehlen
 |  aktualisiert: 08.01.2016 11:06 Uhr

Flamenco wird von Männern und Frauen getanzt, Frauen jedoch tanzen ihn häufiger“, tönt aus dem Dunkeln tapfer eine Lautsprecherstimme in Arabisch und Englisch. Das Auditorium tuschelt leise und erwartungsfroh. Immerhin, das puritanisch-wahhabitische Königreich Saudi-Arabien gönnt sich an diesem Abend eine ganz besondere Premiere: die erste Flamenco-Vorstellung seit Menschengedenken in der Heimat des Propheten.

Mit dem weltberühmten andalusischen Körperzauber allerdings hat das, was dann im König-Fahd-Kulturzentrum in Riad auf die Bühne kommt, nur sehr entfernt zu tun. Die staatlichen Moralzensoren haben ganze Arbeit geleistet – anderthalb Stunden ohne Paartanz, keine einzige Frau auf der Bühne, nach einem Dutzend einsamer Männersolos fällt der Vorhang.

Die Flamenco-Band spielt die ganze Zeit hinter einem zusätzlichen grauen Sichtschutz – denn eine Frau gehört mit zum Ensemble, die nach saudisch-islamischer Sitte dort nichts zu suchen hat. Selbst beim Schlussapplaus bleibt die Künstlerin den Blicken entzogen, nur einer der Musiker deutet unbeholfen hinter sich in das Bühnendunkel, wo sich seine Kollegin vermutlich irgendwo verborgen hält. „Das haben wir bei unserem letzten Spanienurlaub aber viel besser gesehen“, schimpfen zwei Frauen in fein bestickten Abayas (Umhängen) und streben zu ihren Luxuslimousinen, die samt Fahrer draußen auf dem riesigen Parkplatz warten.

Drinnen gleicht das Auditorium einem Mikrokosmos der saudischen Gesellschaft. In der Mitte des Parketts auf gedrechseltem Podest thronen die männlichen Hochwürden der Prinzenfamilien. Ihre breiten Ehrensessel hinter Marmortischchen und vergoldeten Papierserviettendosen nehmen dem halben Zuschauerraum die Bühnensicht. Auf den regulären Polstern um sie herum sitzen nur Männer. Alle Frauen müssen hoch in den Rang, durch einen separaten Eingang des Marmorpalastes zu ihren luftigen Plätzen eskortiert.

Am Ende lächeln Spaniens Botschafter und Mitgastgeber Pablo Bravo tapfer in die Kamera des saudischen Staatsfernsehens und sprechen inmitten des opulenten Buffets für den männlichen Teil der Gäste von einem „inspirierenden Erfolg, der bald wiederholt werden sollte“. Zu dem Zeitpunkt haben die meisten Zuschauerinnen von oben das Gebäude bereits kopfschüttelnd verlassen.

Saudi-Arabien und seine Frauen – während im öffentlichen Raum weiter um jeden Zentimeter Freiheit gerungen wird, ist im virtuellen Raum die Zukunft bereits angebrochen. Junge Frauen aller Schichten vernetzen sich auf Twitter und Facebook und entdecken die Macht sozialer Medien. Strenge Islamisten geraten im Cyberspace immer mehr in die Defensive, müssen sich ihre frommen Dogmen von kundigen Kontrahentinnen auseinanderpflücken lassen. Die Aura der gottgleichen Unangreifbarkeit schwindet, das Monopol ihrer Interpretation der heiligen Schriften wankt, Prestige und Autorität bröckeln. Auf Twitter werden sie als Menstruations-Scheichs oder Plazenta-Scheichs verhöhnt, weil ihre frommen Vorschriften ausschließlich um Regel und Geburten kreisen.

„70 Prozent aller Fatwas beschäftigen sich mit Frauen – mit ihren Haaren, Kopftüchern, mit Händeschütteln und Menstruation“, sagt Kholoud al-Fahad aus der Ölstadt Dahran im Osten des Landes. Kürzlich konterte die 32-jährige Kunstwissenschaftlerin per Twitter einem Scheich, der wieder einmal per Fatwa Sportunterricht für junge Mädchen verbot, weil deren Körperbewegungen andere Mädchen zu lesbischen Gelüsten reizen könnten. „Du liegst nur auf deinem Sofa, fantasierst ständig über Sex und denkst, alle anderen Menschen sind genauso.“ Er habe 19 000 „Follower“ auf Twitter retournierte indigniert der heilige Mann. Lady Gaga hat fünf Millionen, kam prompt als elektronische Retourkutsche.

Dass Frauen in Saudi-Arabien nicht Auto fahren dürfen, darüber wundert sich inzwischen die halbe Welt. Dieses absurde Verbot ist allerdings nur ein kleiner Ausschnitt im großen System der traditionell-religiösen Entrechtung.

Fünf Aktivistinnen haben sich an diesem Abend im Haus von Aziza al-Yousef bei Tee und Gebäck versammelt, per iPhone ist auch eine Mitstreiterin aus Dschidda zugeschaltet. „Das Kernproblem ist das Vormundsrecht des Mannes und das Fehlen jeglicher Rechtssicherheit für uns“, erläutern die Frauen und dann prasseln nur so die Beispiele aus ihrer Welt, die sie als total verdreht empfinden. Der Mann kann das Reisen erlauben oder verbieten, das Studieren oder das Arbeiten. Er muss bei allen ärztlichen Eingriffen zustimmen, sogar wenn bei einer Geburt die werdende Mutter eine Spritze gegen die Schmerzen wünscht. Bei der Heirat gibt es kein gesetzliches Mindestalter, eine 13-Jährige kann zur Hochzeit mit einem 50-jährigen Mann gezwungen werden, was in Saudi-Arabien nicht selten passiert. Oder eine 80-jährige Oma muss ihren 16-jährigen Enkel als männlichen Vormund ertragen, eine verwitwete Frau ihren minderjährigen Sohn. Eine Frau kann nicht alleine eine Wohnung mieten oder ein Konto eröffnen.

Letztes Jahr im Juni, an dem per Facebook ausgerufenen Aktionstag „Saudische Frauen ans Steuer“ wagte sich auch Aziza al-Yousef ans Lenkrad. 400 000 Klicks hatte das Youtube-Video von ihrem Ausflug im schwarzen Toyota Avalon – viel Beifall aus dem Cyberspace, aber auch Hunderte gehässige und bösartige Kommentare. Auf allen Festen ihrer aufgeklärten Großfamilie ist sie seitdem der Star. Die 52-jährige Mutter von fünf Kindern besitzt einen Catering-Betrieb mit 19 Fahrzeugen und träumt von einem eigenen Volkswagen Beetle mit Perlmutt-Lackierung. Als junge Frau lebte sie mit ihrem Mann Mohsen al-Haidar in den USA. Als das Paar zurückkam, hatte es eine zerlegbare Satellitenschüssel im Gepäck – damals noch ein Sakrileg.

Der Scheich der Moschee nebenan wetterte so penetrant gegen das angeblich sündige Blech, dass Mohsen schließlich entnervt von seinem Dach aus den Lautsprecher mit einem Schuss zum Schweigen brachte.

Doch die Männerwelt im Wüstenstaat gerät ins Wanken. Saudi-Arabien hat inzwischen 120 000 Stipendien vergeben, die Hälfte an junge Frauen. Auch daheim in Riad hat die größte Frauenuniversität des gesamten Nahen Ostens ihre Arbeit aufgenommen. Am Ende können hier 40 000 junge Frauen auf einmal studieren – und sie werden ihr Land verändern.

Schon jetzt liegt nach Angaben des Zentralamtes für Statistik die Scheidungsrate im Königreich bei 62 Prozent und ist damit eine der höchsten der Welt – ein Indikator für wachsende Unzufriedenheit. Nicht nur die vielen Kinderehen werden bereits nach wenigen Monaten wieder aufgelöst. Immer mehr junge Frauen verlangen von ihren Männern, dass sie einer Berufstätigkeit zustimmen. Tun sie es nicht, geht die Ehe auseinander.

Nach einer britischen Studie haben inzwischen 56 Prozent aller saudischen Frauen einen Hochschulabschluss, aber nur 14 Prozent einen Job – weltweit ein Negativrekord. Als die nationale Fluglinie „Saudi Arabian Airlines“ kürzlich 24 Computerstellen speziell für Frauen ausschrieb, gingen innerhalb von 24 Stunden über 1000 qualifizierte Bewerbungen ein.

Kein Wunder, dass viele Männer und Väter verunsichert reagieren. Ergingen sich vor zwei Jahren offizielle saudische Gesprächspartner im informellen Teil der Unterhaltungen gerne in stolzen Schilderungen der logistischen Rekordleistungen während des jährlichen Hadsch, gibt es jetzt nur ein Thema – ihre halbwüchsigen Töchter. Vor dem Arabischen Frühling war die islamisch-männliche Welt daheim noch völlig in Ordnung, die weiblichen Nachkommen klaglos verschleiert, glaubensstreng und unauffällig. Plötzlich aber reden die jungen Frauen nur noch „über Menschenrechte, Politik und ihre Freiheit“.

Und sie wollen weg – zum Studium ins Ausland und am liebsten gleich nach New York. „Ich bin sehr beunruhigt“, stöhnt ein hoher General, der seine Familie als „meine eigene kleine Diktatur“ bezeichnet. Seine Tochter habe bisher noch nicht einmal eine Buchhandlung alleine aufgesucht. Jetzt aber lässt sie einfach nicht mehr locker mit ihrem Wunsch nach der großen, weiten Welt. Ein anderer Vater, der sonst Terroristen jagt, seufzt: „Wir erleben ohne Zweifel tief greifende Umwälzungen. Und mir ist klar, dass sie unaufhaltsam sind.“

 
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