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Der Alterswilde
Heiner Geißler: Der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler prägte die Bundespolitik über viele Jahre mit. Bis zuletzt meldete er sich noch zu aktuellen Themen zu Wort.
Heiner Geißler gestorben       -  Der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler starb im Alter von 87 Jahren.
Foto: Markus Scholz, dpa | Der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler starb im Alter von 87 Jahren.
Martin Ferber
Martin Ferber
 |  aktualisiert: 25.09.2017 03:31 Uhr

Von wegen milde, friedlich und altersweise. Die Lust an der Auseinandersetzung und das Vergnügen, Freund und Feind gleichermaßen mit seinen Volten zu verblüffen, hatte Heiner Geißler bis zuletzt nicht verloren, auch wenn er längst aus der aktiven Politik ausgeschieden war. Doch auch als Polit-Rentner mischte sich der streitbare frühere CDU-Generalsekretär immer wieder ein und überraschte mit unorthodoxen Vorschlägen.

Am Dienstag starb er im Alter von 87 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit in seinem Heimatort Gleisweiler im pfälzischen Landkreis Südliche Weinstraße – nur wenige Wochen nach dem Tod von Helmut Kohl, mit dem Geißlers Leben und Wirken schicksalhaft auf das Engste verbunden war, im Positiven wie im Negativen. Ohne seinen Förderer Kohl hätte er wohl nie Karriere gemacht – doch nach dem Bruch 1989 kam es zum Zerwürfnis zwischen den beiden, ohne Versöhnung. Am Requiem für Kohl im Dom von Speyer nahm Geißler gleichwohl teil.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Politiker aller Parteien würdigten Geißler als aufrechten Demokraten und profilierten Politiker. Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) schrieb auf Twitter, Geißler habe die CDU geprägt: „Soziale und ökologische Verantwortung, Menschlichkeit. Ich bin tief erschüttert. Sein Vermächtnis bleibt.“ Auch die SPD würdigte Geißler. „Er war für seine Partei und für viele Bürger unseres Landes eine prägende politische Gestalt der ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik. An der Auseinandersetzung mit seiner pointierten Sicht auf die Linke und die Sozialdemokratie ist die Diskussionskultur Deutschlands gewachsen“, betonte Außenminister Sigmar Gabriel.

Streitbar, mutig und dennoch immer mit einem gewissen Schalk im Nacken – so kannte man ihn. Und so sah er sich selber, auch wenn er kurz vor seinem Tod selbstkritisch einräumte: „Ich hätte noch mehr Krach schlagen müssen.“ Dabei hat es in seinem langen Wirken an Krach nicht gefehlt. Der am 3. März 1930 in Oberndorf am Neckar geborene Jurist, der das Jesuitenkolleg St. Blasien im Schwarzwald besuchte und vier Jahre als Novize dem Jesuitenorden angehörte, galt Zeit seines Lebens als unbequem und aufmüpfig, als scharfzüngiger Querdenker, Vordenker und Provokateur.

Früh schon schloss er sich der CDU an und gründete mit Erwin Teufel und anderen 1956 den Kreisverband Rottweil der Jungen Union, 1965 zog er erstmals als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Reutlingen in den Deutschen Bundestag ein, ab 1980 vertrat er den Wahlkreis Südpfalz. Geißler gehörte zu den „jungen Wilden“ in der CDU, die sich in der Spätphase der Adenauer-Ära aufmachten, den reichlich verkrusteten und bieder wirkenden Kanzlerwahlverein zu modernisieren.

Als Sozialminister von Rheinland-Pfalz von 1967 bis 1977 unter den CDU-Ministerpräsidenten Peter Altmeier, Helmut Kohl und Bernhard Vogel brachte er das erste Kindergartengesetz und das erste Sportfördergesetz in der Geschichte auf den Weg, zudem war er Gründer und Initiator der ersten Sozialstationen. Sein Mentor Helmut Kohl ernannte ihn nach der „Wende“ 1982 zum Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit. In seine Amtszeit fielen die Neuordnung des Zivildienstes, das Erziehungsgeld und der Erziehungsurlaub und die Anerkennung von Erziehungsjahren in der Rentenversicherung.

Zwölf Jahre, von 1977 bis 1989, war der begeisterte Bergsteiger und Drachenflieger CDU-Generalsekretär, niemand amtierte länger als er. Unter seiner Ägide entstand das Grundsatzprogramm der CDU, mit dem er die Partei modernisierte, zudem ging er keinem Konflikt mit dem politischen Gegner aus dem Weg. So warf er den Sozialdemokraten und Grünen vor, die „fünfte Kolonne Moskaus“ zu sein, und im Zusammenhang mit den Protesten am Nato-Doppelbeschluss und der Stationierung von Pershing-Raketen attackierte er die Friedensbewegung mit den Worten, „Pazifismus der dreißiger Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht“.

Da Heiner Geißler zu den CDU-Politikern um Lothar Späth und Rita Süssmuth gehörte, die Helmut Kohl 1989 auf dem Bremer Parteitag als Parteichef stürzen wollten, verlor er sein Amt als Generalsekretär. Von da an galt Geißler in der CDU als „Ausgestoßener“, Kohl verzieh ihm seine Beteiligung an dem geplanten „Putsch“ nie, Geißler wurde zu einem der schärfsten Kritiker Kohls und nannte die CDU 1995 eine „führerkultische Partei“.

Auch als Rentner blieb er beschäftigt. Regelmäßig vermittelte er als Schlichter in festgefahrenen Tarifkonflikten, 2007 schloss er sich gar den Globalisierungsgegnern von „attac“ an und kritisierte die kapitalistische Wirtschaftsordnung als „falsch und inhuman“, da die Interessen der Finanzmärkte vor denen der Menschen rangierten. Und noch einmal im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit stand er, als er in den Jahren 2010 und 2011 als Schlichter im Konflikt um das Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“ fungierte.

 
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