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Deniz Yücel ist in Freiheit
Haftentlassung: Auf einmal ging alles ganz schnell. Nach mehr als einem Jahr in einem türkischen Gefängnis ist der „Welt“-Korrespondent auf freiem Fuß. Vor dem Gefängnis wartete schon seine Ehefrau.
Turkish German journalist Deniz Yücel released from jail Yucel and his wife hug infront of prison       -  Glücklich über die Entlassung aus dem Gefängnis in der Türkei: Der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel umarmt seine Ehefrau Dilek Mayatürk Yücel, die er während der Haft geheiratet hatte.
Foto: Gokhan Danaci, Imago | Glücklich über die Entlassung aus dem Gefängnis in der Türkei: Der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel umarmt seine Ehefrau Dilek Mayatürk Yücel, die er während der Haft geheiratet hatte.
Susanne Güsten       -  Susanne Güsten war Korrespondentin in der Türkei.
Susanne Güsten
 |  aktualisiert: 11.12.2019 18:36 Uhr

Eiskalt fegt der Wind über die Ödnis außerhalb von Istanbul, wo das Hochsicherheitsgefängnis Silivri wie eine Festung aufragt. Die Wolken hängen tief und grau über Silivri. An den Zufahrtsstraßen, vor dem Tor und an allen Türen stehen schwer bewaffnete und maskierte Posten. Personal, Besucher, Anwälte und Sicherheitspersonal bevölkern die Anlage wie eine Kleinstadt, komplett mit Verkehr, Fußgängern, Teehäusern und einer Moschee. Um 15.30 Uhr fährt eine schwarze Limousine mit diplomatischen Kennzeichen durch den Haupteingang in das Gefängnis ein – und kommt nicht mehr heraus.

Denn der Mann, der von der Limousine abgeholt wird, soll möglichst ohne großes Spektakel das riesige Gefängnisgelände verlassen. Für den 44-jährigen Deniz Yücel, den deutsch-türkischen Türkei-Korrespondenten der „Welt“, bringt der schwarze Wagen die Freiheit. Zehn Minuten, nachdem die Limousine durch das Gefängnistor rollt, veröffentlicht Yücels Anwalt Veysel Ok auf Twitter ein Foto: Yücel, in Jeans und schwarzer Jacke, umarmt seine Frau Dilek, die ihn mit einem Strauß Petersilie begrüßt: eine Erinnerung an ihren ersten gemeinsamen Urlaub. Nur Ok und deutsche Diplomaten beobachten das Wiedersehen auf einer menschenleeren Verbundsteinstraße zwischen Knastgebäude und Gefängniszaun. Einige Stunden später passiert Yücel die Passkontrolle am Istanbuler Flughafen.

Vorne, wo die Journalisten auf Yücel warten, verkündet der Oppositionsabgeordnete Baris Yarkadas, Yücel sei durch einen Hinterausgang aus dem Gefängnis gebracht worden. Dass großer Rummel bei Yücels Entlassung vermieden werden soll, hängt vielleicht mit dem zusammen, was sich sonst noch so abspielt in Silivri an diesem Tag. In den Minuten, in denen Yücel seine Zelle verlassen und seine Frau umarmen kann, verurteilt ein im Gefängniskomplex tagendes Gericht die Journalistenbrüder Ahmet und Mehmet Altan sowie die Kolumnistin und Ex-Parlamentsabgeordnete Nazli Ilicak zu lebenslangen Haftstrafen.

„Deutscher müsste man sein“

Gnadenloser könnte der Kontrast zwischen dem Fall Yücel und dem Schicksal vieler türkischer Journalisten an diesem Tag nicht ausfallen. Bei Mehmet Altan hatte sogar das türkische Verfassungsgericht im Januar bereits die Freilassung angeordnet, doch das untergeordnete Gericht weigerte sich einfach, Altan gehen zu lassen. Jetzt soll er zusammen mit seinem Bruder und Ilicak lebenslang ins Gefängnis, weil er mit seiner journalistischen Arbeit den Putschversuch gegen Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan im Jahr 2016 begünstigt haben soll.

„Gärtner“ des Terrorismus hat Erdogan unbotmäßige Journalisten genannt und damit gezeigt, wie Regierungskritiker auch dann zu Gewalttätern erklärt werden können, wenn sie nichts anderes tun, als Zeitungsartikel zu schreiben.

„Deutscher müsste man sein“, kommentieren Erdogan-Gegner auf Twitter, als sich die Nachricht von der Freilassung Yücels verbreitet. Dass der „Welt“-Korrespondent einen Tag nach den Gesprächen des türkischen Premiers Binali Yildirim mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin freikommt, zeigt in glasklarer Offenheit, wie sehr die türkische Justiz zu einer Befehlsempfängerin der Führung in Ankara geworden ist, heißt es da. Schließlich saß Yücel ein ganzes Jahr ohne Anklageschrift ein. Doch in dem Moment, in dem Yildirim in Berlin von der Hoffnung auf ein baldiges Ende des Falles spricht, zaubert die Staatsanwaltschaft in Istanbul plötzlich eine Anklage gegen Yücel aus dem Hut.

Darin wird bis zu 18 Jahre Haft wegen Terrorpropaganda und Volksverhetzung verlangt – Standardvorwürfe gegen inhaftierte türkische Journalisten. Doch bei Yücel ordnet der zuständige Richter sofort die Freilassung ohne Auflagen an. Kein Wunder, dass so manche der rund 150 türkischen Journalisten hinter Gittern sich dieselben Berliner Schutzengel wünschen, wie Yücel sie hatte.

Indem sie Yücel ziehen lässt, räumt die türkische Regierung nach ihrem Verständnis eines ihrer größten Probleme im Verhältnis zu Deutschland aus dem Weg. Alle Schwierigkeiten mit Berlin seien bereinigt, sagt Yildirim am Tag von Yücels Freilassung. Das ist möglicherweise ein wenig optimistisch. Kanzlerin Angela Merkel hatte am Donnerstag bei ihrem Treffen mit Yildirim betont, die Türkei müsse mehr tun, um die Beziehungen zu Europa wieder ins Lot zu bringen. Rechtsstaatliche Reformen sind ein wichtiger Bestandteil der deutschen und europäischen Forderungen. Doch gerade der Fall Yücel zeigt, wie sehr der türkische Rechtsstaat zerschlagen worden ist.

Innenpolitischer Preis

Zudem könnte die wohl von oben angeordnete Flexibilität der türkischen Justiz für Yildirim und Erdogan einen innenpolitischen Preis haben. In türkischen Internetforen läuft am Freitag als Dauerschleife eine Szene aus einem Fernsehinterview Erdogans aus 2017: Und wenn sich die Deutschen auf den Kopf stellen, Yücel kommt nicht frei, sagt der Präsident da. „In meiner Amtszeit auf keinen Fall“, sagt Erdogan und nennt den Reporter einen „Terroristen“ und „Agenten“. Es gebe genügend Beweise gegen ihn. Doch nun wird Yücel eben doch sang- und klanglos freigelassen.

 
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