Angesichts massiver Anfeindungen gegen Flüchtlinge und ihre Unterstützer hat der Jenaer Extremismusforscher Wolfgang Frindte ein rigideres Vorgehen von Polizei und Justiz angemahnt. „Was wir momentan erleben, ist ein Angriff auf unsere Demokratie“, sagt er im Interview.
Wolfgang Frindte: Das frage ich mich auch, und das Geschehen bereitet mir große Sorge. Es kommt etwas an die Oberfläche, was wir schon seit 20 Jahren wissen: Dass der Rechtsextremismus nicht nur ein Randphänomen ist, sondern weite Teile der Bevölkerung betrifft. Zum anderen sortieren sich Rechtsextremisten und Rechtspopulisten neu. Seit Pegida zeigen die Leute ihren Hass offen auf der Straße und im Internet. Wir erleben einen Schulterschluss zwischen den alten und den neuen Rechtsextremen. Dabei ist der Rechtsextremismus keineswegs nur ein Jugendproblem, sondern geht durch alle Alters- und Bildungsschichten. Was wir momentan erleben, ist ein Angriff auf unsere Demokratie.
Frindte: Salonfähig waren Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus schon vorher, wie Untersuchungen belegen. Was Pegida erreicht hat, ist, den Salon weit nach außen zu öffnen. Menschen haben keine Hemmung mehr, in Kameras hinein ihre Wut und ihren Hass über Flüchtlinge zu äußern. Was früher vielleicht am Stammtisch gesagt wurde, wird jetzt auf dem Marktplatz herausgebrüllt.
Frindte: Der Kern beläuft sich – das zeigen Untersuchungen immer wieder – auf etwa 15 Prozent. Wenn man die Menschen dazu nimmt, die zwar selbst nicht Gewalt gegen Flüchtlinge anwenden, aber dies befürworten, dann sind das bis zu 30 Prozent. Denn unsere bisherigen anonymen Befragungen bringen uns da nicht mehr voran. Wenn man sich Internetseiten, Facebook-Einträge und Blogs anschaut, gibt es genügend Hinweise, dass es nicht mehr nur die traditionellen Rechtsextremen sind, sondern wir auch die Alltagsfremdenfeinde, die diese Gewalt akzeptieren, unbedingt dazuzählen müssen.
Frindte: Sie zeigen Zustimmung und Unterstützung den Flüchtlingen und ihren Helfern gegenüber. Die Rechtsextremen erreicht man damit nicht, wie die Fernsehbilder vom Besuch der Kanzlerin zeigen. Allerdings frage ich mich: Warum hat man überhaupt so viel Toleranz der Intoleranz gegenüber?
Frindte: Die Demokratie muss wehrhafter werden. Einerseits vermisse ich einen konzertierten Aufstand der Anständigen. Andererseits sind Polizei und Justiz gefordert. Beim Besuch der Kanzlerin in Sachsen etwa wurde sie von Demonstranten als Vaterlandsverräterin beschimpft. Wenn ich meinen Nachbarn über den Gartenzaun solche Dinge zurufe, hat er das Recht, mich wegen Verleumdung und Beleidigung zu verklagen. Warum ist das hier nicht sofort passiert? Wir brauchen keine härteren Strafen oder neue Gesetze. Aber Polizei und Justiz müssen viel stärker die vorhandenen Möglichkeiten nutzen, um Angriffe der Rechtsextremen abzuwehren. Es geht um unsere Freiheit und um die, die um unseren Schutz nachsuchen.
Der Sozial- und Kommunikationspsychologe Wolfgang Frindte lehrt und forscht an der Universität Jena unter anderem zum Rechtsextremismus. Jüngst hat er den Sammelband „Rechtsextremismus und ,Nationalsozialistischer Untergrund'“ herausgegeben.
Auftritt gegen Neonazis
Mit einem Spontanauftritt beim Forstrock-Festival in Jamel haben „Die Toten Hosen“ das Künstlerpaar Birgit und Horst Lohmeyer in seinem Kampf gegen örtliche Neonazis unterstützt. Mit dem Auftritt verhalf die Punkband dem Festival zu einem Besucherrekord: Etwa 1300 Menschen kamen zu dem zweitägigen Musikfest in dem Dorf bei Wismar, das das Künstlerpaar auf seinem alten Forsthof seit 2007 als Signal für Demokratie und Toleranz veranstaltet. Das waren doppelt so viele wie im Vorjahr. Frontmann Campino betonte, der Auftritt sei „eine Geste der Hochachtung“ für die Lohmeyers und alle, „die sich nicht wegdrehen, wenn die Nazis Plätze für sich reklamieren“. Jamel in Westmecklenburg sorgt seit Jahren durch das aggressive Auftreten einer Gruppe von Neonazis für Schlagzeilen. Für ihr Engagement gegen rechte Gewalt und Intoleranz wurden Birgit und Horst Lohmeyer am Samstag außerdem mit dem Georg-Leber-Preis für Zivilcourage der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt geehrt.
2011 hatte der Zentralrat der Juden in Deutschland das Paar bereits mit dem Paul-Spiegel-Zivilcourage-Preis ausgezeichnet. 2012 folgte der Bürgerpreis der deutschen Zeitungen. Text: dpa