zurück
„Demokratie muss wehrhafter sein“
reda
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:01 Uhr

Angesichts massiver Anfeindungen gegen Flüchtlinge und ihre Unterstützer hat der Jenaer Extremismusforscher Wolfgang Frindte ein rigideres Vorgehen von Polizei und Justiz angemahnt. „Was wir momentan erleben, ist ein Angriff auf unsere Demokratie“, sagt er im Interview.

Frage: Die Flüchtlingsdebatte scheint aus dem Ruder zu laufen: Es gibt Bomben- und Morddrohungen, Unterkünfte werden in Brand gesteckt und gegen Flüchtlinge wird gehetzt. Was ist los in diesem Land?

Wolfgang Frindte: Das frage ich mich auch, und das Geschehen bereitet mir große Sorge. Es kommt etwas an die Oberfläche, was wir schon seit 20 Jahren wissen: Dass der Rechtsextremismus nicht nur ein Randphänomen ist, sondern weite Teile der Bevölkerung betrifft. Zum anderen sortieren sich Rechtsextremisten und Rechtspopulisten neu. Seit Pegida zeigen die Leute ihren Hass offen auf der Straße und im Internet. Wir erleben einen Schulterschluss zwischen den alten und den neuen Rechtsextremen. Dabei ist der Rechtsextremismus keineswegs nur ein Jugendproblem, sondern geht durch alle Alters- und Bildungsschichten. Was wir momentan erleben, ist ein Angriff auf unsere Demokratie.

Das heißt, Pegida und Co. haben die Fremdenfeindlichkeit bis in die Mitte der Gesellschaft salonfähig gemacht?

Frindte: Salonfähig waren Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus schon vorher, wie Untersuchungen belegen. Was Pegida erreicht hat, ist, den Salon weit nach außen zu öffnen. Menschen haben keine Hemmung mehr, in Kameras hinein ihre Wut und ihren Hass über Flüchtlinge zu äußern. Was früher vielleicht am Stammtisch gesagt wurde, wird jetzt auf dem Marktplatz herausgebrüllt.

Wie groß ist der Anteil Rechtsextremer in Deutschland?

Frindte: Der Kern beläuft sich – das zeigen Untersuchungen immer wieder – auf etwa 15 Prozent. Wenn man die Menschen dazu nimmt, die zwar selbst nicht Gewalt gegen Flüchtlinge anwenden, aber dies befürworten, dann sind das bis zu 30 Prozent. Denn unsere bisherigen anonymen Befragungen bringen uns da nicht mehr voran. Wenn man sich Internetseiten, Facebook-Einträge und Blogs anschaut, gibt es genügend Hinweise, dass es nicht mehr nur die traditionellen Rechtsextremen sind, sondern wir auch die Alltagsfremdenfeinde, die diese Gewalt akzeptieren, unbedingt dazuzählen müssen.

Vor wenigen Tagen hat sich nun auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem Besuch im sächsischen Heidenau durchgerungen. Was bringen solche Stippvisiten in der aktuell aufgeheizten Situation?

Frindte: Sie zeigen Zustimmung und Unterstützung den Flüchtlingen und ihren Helfern gegenüber. Die Rechtsextremen erreicht man damit nicht, wie die Fernsehbilder vom Besuch der Kanzlerin zeigen. Allerdings frage ich mich: Warum hat man überhaupt so viel Toleranz der Intoleranz gegenüber?

Frage: Was muss denn aus Ihrer Sicht geschehen um den „Angriff auf die Demokratie“ abzuwehren?

Frindte: Die Demokratie muss wehrhafter werden. Einerseits vermisse ich einen konzertierten Aufstand der Anständigen. Andererseits sind Polizei und Justiz gefordert. Beim Besuch der Kanzlerin in Sachsen etwa wurde sie von Demonstranten als Vaterlandsverräterin beschimpft. Wenn ich meinen Nachbarn über den Gartenzaun solche Dinge zurufe, hat er das Recht, mich wegen Verleumdung und Beleidigung zu verklagen. Warum ist das hier nicht sofort passiert? Wir brauchen keine härteren Strafen oder neue Gesetze. Aber Polizei und Justiz müssen viel stärker die vorhandenen Möglichkeiten nutzen, um Angriffe der Rechtsextremen abzuwehren. Es geht um unsere Freiheit und um die, die um unseren Schutz nachsuchen.

Der Sozial- und Kommunikationspsychologe Wolfgang Frindte lehrt und forscht an der Universität Jena unter anderem zum Rechtsextremismus. Jüngst hat er den Sammelband „Rechtsextremismus und ,Nationalsozialistischer Untergrund'“ herausgegeben.

Auftritt gegen Neonazis

Mit einem Spontanauftritt beim Forstrock-Festival in Jamel haben „Die Toten Hosen“ das Künstlerpaar Birgit und Horst Lohmeyer in seinem Kampf gegen örtliche Neonazis unterstützt. Mit dem Auftritt verhalf die Punkband dem Festival zu einem Besucherrekord: Etwa 1300 Menschen kamen zu dem zweitägigen Musikfest in dem Dorf bei Wismar, das das Künstlerpaar auf seinem alten Forsthof seit 2007 als Signal für Demokratie und Toleranz veranstaltet. Das waren doppelt so viele wie im Vorjahr. Frontmann Campino betonte, der Auftritt sei „eine Geste der Hochachtung“ für die Lohmeyers und alle, „die sich nicht wegdrehen, wenn die Nazis Plätze für sich reklamieren“. Jamel in Westmecklenburg sorgt seit Jahren durch das aggressive Auftreten einer Gruppe von Neonazis für Schlagzeilen. Für ihr Engagement gegen rechte Gewalt und Intoleranz wurden Birgit und Horst Lohmeyer am Samstag außerdem mit dem Georg-Leber-Preis für Zivilcourage der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt geehrt.

2011 hatte der Zentralrat der Juden in Deutschland das Paar bereits mit dem Paul-Spiegel-Zivilcourage-Preis ausgezeichnet. 2012 folgte der Bürgerpreis der deutschen Zeitungen. Text: dpa

„Was früher am Stammtisch gesagt wurde, wird jetzt auf dem Marktplatz herausgebrüllt.“
Wolfgang Frindte
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Ausländerfeindlichkeit
Bundeskanzlerin Angela Merkel
Campino
Demokratie
Die Toten Hosen
Flüchtlinge
Georg Leber
Interviews
Nationalsozialistischer Untergrund
Neonazis
Pegida
Rechtsextremisten
Zentralrat der Juden in Deutschland
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen