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BRÜSSEL
Dem Terrornetzwerk auf der Spur
Unsicherheit in Belgien: Die Anschläge waren nicht das Werk von Einzelgängern. Es existierte eine Zelle oder sogar ein Netzwerk. Offenbar waren noch mehr Attentate ähnlich denen in Paris geplant, doch die Terroristen schlugen überstürzt zu.
Sicherheitskräfte       -  Sicherheitskräfte sind in der Nähe des Flughafens in Brüssel im Einsatz. Allein in der belgischen Hauptstadt gab es gleich mehrere Polizeiaktionen, bei denen laut Staatsanwaltschaft sechs Verdächtige festgenommen wurden. Foto: Laurent Dubrule
| Sicherheitskräfte sind in der Nähe des Flughafens in Brüssel im Einsatz. Allein in der belgischen Hauptstadt gab es gleich mehrere Polizeiaktionen, bei denen laut Staatsanwaltschaft sechs Verdächtige festgenommen ...
Detlef Drewes
Detlef Drewes
 |  aktualisiert: 07.04.2016 03:32 Uhr

Es sind verstörende Nachrichten, die die ohnehin schon trauernden Menschen in Brüssel in diesen Tagen aushalten müssen. Am Freitag wurde klar, dass nach den Anschlägen mit 31 Toten und rund 300 Verletzten die Identifizierung einiger Vermisster vor allem in der gesprengten Metro noch Tage, wenn nicht Wochen dauern wird. Zwar gelang der Polizei schnell die Identifizierung von drei der fünf Attentäter. Zumindest einer davon ist noch auf freiem Fuß: der Mann, der die größte Bombe am Flughafen transportierte, die nicht detonierte.

Immer deutlicher aber wird auch, dass es sich keineswegs um fanatische Einzelgänger handelte, sondern dass sich in Belgien über längere Zeit hinweg zumindest eine Terrorzelle, wenn nicht sogar ein regelrechtes Netzwerk entwickelt hat. Unter wessen Führung? Sicher scheint, dass Abdelhamid Abaaoud (28) eine Führungsfigur war. Er gehörte zunächst zu jener Terrorzelle, die die Polizei im Januar 2015 im ostbelgischen Verviers unmittelbar nach den Anschlägen auf die französische Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ und den jüdischen Supermarkt in Paris zerschlagen wollte und dabei zwei Männer tötete. Abaaoud konnte fliehen.

Im August desselben Jahres plante und organisierte er das Attentat auf den Thalys-Schnellzug von Amsterdam nach Brüssel, für die Pariser Anschläge gilt er als Hauptverantwortlicher. Er selbst kam bei der Aktion in der französischen Hauptstadt ums Leben.

Einer seiner wichtigsten Helfer dürfte Salah Abdeslam (26) gewesen sein, der erst in der Vorwoche verhaftet wurde und der bisher als Organisator der Pariser Attentate gilt. Inzwischen ließ er über seinen Anwalt Sven Mary (43) mitteilen, er sei jetzt doch bereit, nach Frankreich ausgeliefert zu werden. Die Behörden sind sich noch unsicher, ob der plötzliche Sinneswandel nicht auch damit zu tun haben könnte, dass Abdeslam seine Beteiligung an den Brüsseler Anschlägen verschleiern will.

„Keine Führungsfiguren“

Es sei „kaum vorstellbar“, hieß es am Freitag aus Ermittlerkreisen, dass die Brüsseler Attentäter die Aktion alleine und ohne Abdeslam ausgearbeitet hätten.

„Die Persönlichkeitsprofile“ der beiden Brüder Ibrahim El Bakraoui (29), der am Flughafen Brüssel eine Bombe zündete, und Khalil El Bakraoui (27), der die Metro sprengte, würden sie nicht als Führungsfiguren einer Terrorzelle qualifizieren. Hinzu kommt, dass der zweite von drei Attentätern am Flughafen, Najim Laachraoui (24), als der „Sprengmeister“ der Terroristen galt. Spuren seiner DNA fanden die Ermittler auf den Bomben in Paris, was seine Zusammenarbeit mit Abdeslam und Abaaoud belegt. Nun war er in Brüssel beteiligt.

Die Anschläge in der belgischen Hauptstadt müssen von langer Hand vorbereitet, die Ziele ausgespäht worden sein. Dass Laachraoui und Abdeslam gemeinsame Sache machten, liegt zumindest nahe. Allerdings gibt es Indizien, dass die Bomben von Brüssel eigentlich erst am Ostermontag gezündet werden sollten – vor allem aber, dass wie in Paris auch noch Restaurants, Bars und Touristentreffpunkte mit Sturmgewehren angegriffen werden sollten. Die Verhaftung Abdeslams löste offenbar eine überhastete, frühere Terror-Aktion aus.

Vor allem Ibrahim El Bakraoui sei nervös geworden, heißt es. Sein Testament, das die Fahnder auf einem Laptop unweit seiner Wohnung in der Brüsseler Gemeinde Schaerbeek fand, belegt das: „Ich weiß nicht mehr weiter. Ich war zur Fahndung ausgeschrieben und wollte nicht neben ihm im Gefängnis enden.“ Sind die Worte „mit ihm“ eine Anspielung auf Abdeslam? Hat die unerwartete Festnahme des 26-Jährigen in Molenbeek als letztem Mitglied eines Führungstrios (Abbaoud, Abdeslam, Laachraoui) die „Soldaten“ des Netzwerkes so verunsichert?

Der Generalstaatsanwalt schweigt

Belgiens Generalstaatsanwalt Frédéric van Leeuw gibt sich erwartungsgemäß schweigsam, um laufende Ermittlungen nicht zu stören. Doch er hat zunehmend Probleme, den Eindruck zu erwecken, dass die Behörden die Fäden in der Hand halten. Erst am Freitag enthüllte der niederländische TV-Sender NOS, dass Abdeslam nach den Anschlägen in Paris keineswegs 126 Tage verschwunden war. Schon am 7. Dezember habe es einen Hinweis an die Polizei in Mechelen gegeben, wo er sich versteckt halte. Doch die Behörden gaben den Tipp nicht weiter.

Die bisherigen Erkenntnisse sind Puzzle-Teile, aber sie ergeben ein Bild: Denn tatsächlich hat die Terrorzelle, die sich in Brüssel gebildet hat und aus vielen im Ortsteil Molenbeek aufgewachsenen jungen Männern bestand, offenbar seit langer Zeit ihre Aktionen geplant. Ihr gehörte auch der französische Syrien-Rückkehrer Mehdi Nemmouche an, der im Mai 2014 einen Anschlag auf das Jüdische Museum in der Brüsseler Hauptstadt verübte und dabei vier Menschen erschoss.

Der Marokkaner Ayoub al Khazzani war vor seinem Anschlag auf den Thalys-Schnellzug zunächst in Molenbeek untergetaucht. Die Gruppe hatte sich aber längst über das ganze Land ausgedehnt. Neben einem Haus im südbelgischen Auvelais mietete der Brüsseler Flughafen-Attentäter Laachraoui ein Versteck in Charleroi bei Brüssel an, wo die Pariser Attentäter untertauchen konnten. Hinzu kam die Wohnung in Verviers. Dass diese nur einen Steinwurf weit von der belgischen Atomanlage Tihange entfernt ist, gehört zum Gesamtbild dazu. Seit langem fürchten Terrorfahnder, dass Terroristen einen Anschlag auf ein Kernkraftwerk planen könnten – möglicherweise mit Hilfe eines eingeschleusten „Schläfers“.

Als in diesen Tagen mehrstündiges Videomaterial auftauchte, das den Tagesablauf eines leitenden Tihange-Mitarbeiters minutiös zeigt, machte sich große Unruhe breit. Inzwischen wurden vier Mitarbeitern die Zutrittsausweise ins Atomkraftwerk abgenommen. Die Alarmbereitschaft bleibt hoch.

 
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