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ILLKIRCH
Dem Korpsgeist bei der Bundeswehr auf der Spur
Bundeswehr: Ursula von der Leyens Problem heißt Franco A. Der Oberleutnant gab sich als Flüchtling aus, schrieb eine rassistische Arbeit und plante womöglich einen Anschlag. Bei der Bundeswehr fiel das alles nicht auf. Was läuft schief?
Bundesverteidigungsministerin von der Leyen  in Illkirch       -  Ein Soldat der deutsch-französischen Brigade steht vor dem Stabsgebäude des Jägerbataillons 291 der Bundeswehr in Illkirch bei Straßburg (Frankreich). Dort war der terrorverdächtige Oberleutnant stationiert.
Foto: Patrick Seeger, dpa | Ein Soldat der deutsch-französischen Brigade steht vor dem Stabsgebäude des Jägerbataillons 291 der Bundeswehr in Illkirch bei Straßburg (Frankreich). Dort war der terrorverdächtige Oberleutnant stationiert.
Von Gregor Mayntz, Martin Ferber und Sonja Krell
 |  aktualisiert: 13.05.2017 04:05 Uhr

Jetzt also Illkirch. Als wäre die Liste der Skandale bei der Bundeswehr nicht schon lang genug: Bad Reichenhall, wo im März Fälle von Sex-Mobbing und Volksverhetzung bei den Gebirgsjägern öffentlich wurden; die Elitekaserne im baden-württembergischen Pfullendorf, wo sadistische Aufnahmerituale und Doktorspielchen mit Soldatinnen bis Januar wohl zum Alltag gehörten; Sondershausen, wo zwei Ausbilder Rekruten gequält haben sollen. Es sind Geschichten von Schikane, Erniedrigung und Herabwürdigung. Geschichten, die mancher Altgediente noch abtun mag. Als das, was jeder Soldat einmal mitgemacht hat.

Doch der Fall Franco A. sprengt diese Muster. Es ist der Fall eines Oberleutnants, der ein bizarres Doppelleben führt. Der es schafft, sich als syrischer Flüchtling registrieren zu lassen, obwohl er kein Wort Arabisch spricht. Eines Soldaten, der an einer Militärakademie eine Masterarbeit schreibt, in der er über Rassenreinheit fabuliert und gegen Migranten hetzt – und es trotzdem schafft, sich herauszureden. Der in der Kaserne im französischen Illkirch, wo er zuletzt stationiert war, Hakenkreuz-Kritzeleien an den Wänden und auf einem Sturmgewehr hinterlässt – ohne, dass sich jemand daran stört.

Dass der 28-Jährige gemeinsam mit einem Komplizen einen Anschlag geplant haben soll, dass ein Bundeswehroffizier mit rechtsextremer Gesinnung so lange seinen Dienst tut, ohne dass sich jemandem daran stört – all das klingt auch eine Woche, nachdem Franco A. verhaftet wurde, unfassbar.

Ursula von der Leyen, die Verteidigungsministerin, ist da längst zum Angriff übergegangen. Hat der eigenen Truppe ein „Haltungsproblem“ bescheinigt, „Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen“ und „falsch verstandenen Korpsgeist“. Kündigt an, dass die Affären in der Truppe rigoros aufgeklärt werden müssten. „Das Dunkelfeld auszuleuchten, das wird mühsam, das wird schmerzhaft, das wird nicht schön werden.“ Die CDU-Politikerin sagt eine Reise in die USA ab. Jetzt aber Illkirch.

Der Airbus sollte längst gelandet sein. Doch nun dreht er Kurve um Kurve. Vor der Landung will von der Leyen klären, was an jüngsten Schlagzeilen rund um Franco A. dran ist. Und das dauert. Vergangene Woche, nach der Festnahme des 28-Jährigen, bescheinigte man ihm in der deutsch-französischen Brigade noch einen untadeligen Ruf. „Unbescholten, sehr fleißig, hochintelligent“, sei der Kamerad, meldeten seine Vorgesetzten. Einer, dem eine große Karriere als Berufssoldat offenstand. Gerade machte er eine Einzelkämpferausbildung im unterfränkischen Hammelburg. Das Gegenteil eines Rassisten oder Rechtsterroristen. In diese Richtung weisen indes die Ermittlungen des Bundeskriminalamtes. Auch eine Vernehmung durch den Militärgeheimdienst MAD bestätigt den Verdacht, dass der Offizier als rechtsextremistischer Einzeltäter eingestuft werden muss.

Und doch gibt es viele Fragen. Die Sache mit der Pistole etwa, die Franco A. am 20. Januar in Wien gefunden und im betrunkenen Zustand eingesteckt haben will und die er dann auf der Flughafentoilette versteckte. Warum er nicht die Behörden informiert, sondern zwei Wochen später erneut nach Wien fliegt, um sie aus dem Versteck zu holen, wirft mindestens so viele Fragen auf, wie sein zweites Leben als „David Benjamin“. Am 19. Dezember 2015 beantragt er unter diesem Namen Asyl als syrischer Flüchtling, erhält später auch Schutz. Ab Februar 2016 wohnt er sowohl in einer Flüchtlingsunterkunft im Kreis Erding als auch in Illkirch.

Viel schwerer aber wiegt das, was aus den Bundeswehr-Akten hervorgeht – und zugleich die Verteidigungsministerin in Bedrängnis bringt. Schon im Januar 2014 gab es Hinweise auf eine rechtsextreme Gesinnung des Offiziers. Da hatte Franco A. dem Chef seiner französischen Division eine Masterarbeit vorgelegt. Dieser schildert damals dem Leiter der deutschen Studentengruppe, die Arbeit sei geprägt von Rassismus und Verschwörungstheorien über das Aussterben der europäischen Rassen. Seinem deutschen Kollegen rät er: „Wenn es ein französischer Lehrgangsteilnehmer wäre, würden wir ihn ablösen.“ So steht es in einem Aktenvermerk der Bundeswehr, aus dem der „Spiegel“ zitiert.

Franco A. wird zu einem langen Gespräch gebeten. Der Soldat gibt an, die Arbeit unter massivem Zeitdruck geschrieben zu haben. Die Angelegenheit wird nach oben weitergereicht. Ans Streitkräfteamt nach Köln. Dessen Kommandeur entscheidet sich, der Empfehlung seines Rechtsberaters zu folgen und dem hoffnungsvollen jungen Mann die Karriere nicht zu verbauen. Er wird ermahnt. Punkt. Keine Meldung an den MAD, nicht mal ein Eintrag in die Personalakte. Franco A. schreibt eine zweite Masterarbeit. Und seine Karriere nimmt seinen Weg.

Und es tauchen weitere Fragen auf: Hat Franco A. die möglichen Anschläge allein geplante? Hatte er Mitwisser? Wie die „Zeit“ berichtet, steht auch ein zweiter Soldat im Fokus der Ermittler. Auch er soll in Illkirch stationiert gewesen sein. Zugleich ist die Rede von vier Soldaten, die zu einer Gruppe um Franco A. gehört haben sollen, darunter auch ein Reservist aus Österreich. Ein rechtsextremes Netzwerk in der Bundeswehr?

Am Mittwochnachmittag dann liefern Kameras die Bilder, die die Verteidigungsministerin braucht: Von der Leyen landet in Straßburg, von der Leyen erreicht die Kaserne, von der Leyen betritt ein Dienstgebäude, von der Leyen tritt vor die Kameras und verkündet, sie sei auch gekommen, um den Soldaten den Rücken zu stärken. Denn die Kritik an „der Bundeswehr“ und deren „Haltungsproblemen“ war als Pauschalkritik verstanden worden. Nun rudert sie kräftig zurück. Die ganz große Mehrheit der Soldaten arbeite tadellos, deshalb seien „alle stolz auf sie“.

Keine Bilder gibt es mit von der Leyen im großen Aufenthaltsraum des Jägerbataillons 291. „Der Raum ist zu klein“, heißt es. Er heißt „Bunker“, weil die Bar als Weltkriegsbunker dekoriert ist. An den Wänden werden zweifelhafte Traditionen wach gehalten. Und das in einem Bataillon, das erst 2010 gegründet wurde. „Umso fragwürdiger“ sei diese Vergangenheitspflege, meint die Ministerin. Und so macht von der Leyen am Ort des Geschehens klar, dass die Wehrmacht, mit Ausnahme von Widerstandskämpfern, keinesfalls identitätsstiftend für die Bundeswehr sein könne.

An einem Seiteneingang beschreibt sich das Jägerbataillon, in dem Franco A. stationiert war, als „tapfer, treu und gewissenhaft“ und auch „tolerant und aufgeschlossen gegenüber anderen Kulturen und moralisch urteilsfähig“. Ein anderer Zettel auf einer anderen Türe spricht eine andere Sprache. „Eintritt verboten. Versiegelt“, steht auf dem Eingang zum „Bunker“.

Mit dem Heeresinspekteur spricht von der Leyen viele Details durch, etwa über die Kontaktleute von A., mit denen er chattete und bei denen nun die Staatsanwaltschaft zu klären hat, wie sie mit ihm zusammen hängen, was sie wussten, was sie planten. Und die Fehlleistungen der Vorgesetzten? Personelle Konsequenzen will sie „nicht ein- und nicht ausschließen“, derzeit stecke man aber erst „mitten in der Aufklärung“.

Für heute hat von der Leyen ein Krisengespräch mit rund 100 Generalen und Admiralen in Berlin anberaumt. Sie will klären, warum Informationen zu Verfehlungen an einzelnen Bundeswehrstandorten mehrfach nicht den Weg ins Ministerium gefunden haben. Und sie will eine Verständigung über gemeinsame Werte suchen, aber auch nach möglichen „Bruchstellen“ in der Disziplinarordnung fahnden.

Eines ahnt die Ministerin auf dem Kasernenhof von Illkirch indes: „Es wird noch einiges hochkommen.“

Der Fall Franco A. und die Bundeswehr

1. Juli 2008: Franco A. beginnt seinen Grundwehrdienst in Idar-Oberstein. 11. September 2009: Versetzung zur Deutschen Stabsgruppe in Frankreich, Studium der Staats- und Sozialwissenschaften an der französischen Militärakademie Saint-Cyr. Dezember 2013: Franco A. reicht seine Masterarbeit bei der französischen Prüfungskommission ein. Darin beklagt er unter anderem eine bewusste „Durchmischung“ der Völker Europas. 8. Januar 2014: Der französische Schulkommandeur informiert A.

s Vorgesetzten über schwere Mängel in der Masterarbeit. Er sagt: Wenn ein Franzose so etwas geschrieben hätte, müsste er gehen. A. beteuert, er verfolge kein extremistisches Gedankengut. Der Vorgesetzte wendet sich an einen Rechtsberater des Streitkräfteamts. Ein Gutachter des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr stellt fest, es handele sich bei der Arbeit um „einen radikalnationalistischen, rassistischen Appell“. Ein disziplinarisches Vorermittlungsverfahren wird eingestellt, nachdem sich Franco A. zum Inhalt seiner Arbeit geäußert hat, die er angeblich unter Zeitdruck verfasst hat. 9. Juli 2015: Ernennung zum Berufssoldaten

19. Dezember 2015: Franco A. meldet sich in Offenbach als Asylsuchender „David Benjamin“. Er wird später einer Unterkunft im Landkreis Erding zugewiesen. 1. Februar 2016: Versetzung zum Jägerbataillon 291 in Illkirch (Frankreich). 16. Dezember 2016: Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. 3. Februar 2017: Vorübergehende Festnahme von A. durch österreichische Polizei nach Waffenfund auf einer Toilette am Flughafen Wien.

14. Februar 2017: BKA leitet Informationen zur Doppel-Identität von A. an MAD weiter. Truppe soll wegen laufender Ermittlungen nicht unterrichtet werden. 26. April 2017: Franco A. wird in Hammelburg verhaftet.

28. April 2017: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen erteilt den Auftrag, das dienstliche Umfeld von A. zu durchleuchten. Untersuchungen unter anderem in Hammelburg. dpa

 
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