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BERLIN
Debatte um Koran-Verteilung
Von unserem Korrespondenten Rudi Wais
 |  aktualisiert: 07.01.2016 14:54 Uhr

Das Gesetz ist auf der Seite der Salafisten – das weiß auch Volker Beck. „Man kann nicht verbieten, dass Menschen den Wachturm verteilen, das Buch Mormon oder eben den Koran“, sagt der Geschäftsführer der Grünen im Bundestag. Wie ihm geht es vielen Abgeordneten quer durch die Parteien: Sie empfinden die Versuche der missionierenden Fundamentalisten, den Koran in den Fußgängerzonen deutscher Städte millionfach unters Volk zu bringen, als gezielte Provokation und müssen doch tatenlos dabei zusehen. Der Unterfranke Frank Hofmann, einer der Innenexperten der SPD, weiß nur eines: „So funktioniert Integration nicht.“

Radikale islamische Gruppe

Nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden sind die Salafisten mit mehreren Tausend Anhängern inzwischen die am stärksten wachsende radikale islamische Gruppe in Deutschland. In ihren Schriften und ihrem Auftreten allerdings „achten sie sehr genau darauf, dass sie strafrechtliche Grenzen nicht überschreiten“, sagt Wolfgang Bosbach (CDU), der Vorsitzende des Innenausschusses. Vom Verfassungsschutz beobachtet werden die Anhänger eines Gottesstaates, in dem die Scharia gilt, nach Auskunft des Innenministeriums allerdings erst seit November 2010.

Ein salafistischer Verein mit dem verführerischen Namen „Einladung zum Paradies“ habe sich auch unter dem Druck der anschließenden Ermittlungen und bundesweiter Durchsuchungen aufgelöst, betont ein Ministeriumssprecher – und beteuert, man nehme auch die aktuellen Bestrebungen „sehr ernst“.

Tatsächlich sind die Salafisten in Deutschland aktiver denn je – vor allem in Hessen und Nordrhein-Westfalen, wo ihre Wortführer Ibrahim Abou Nagie und Mohamad Mahmoud leben. Die Korane, die ihre Anhänger jetzt verteilen, seien für sie nur ein Vehikel, warnt Bodo W. Becker, der Sprecher des Bundesamtes für Verfassungsschutz, im Kölner Stadtanzeiger. „Es geht hier um salafistische Propaganda und die Rekrutierung von Anhängern.“ Einschreiten können die Behörden allerdings nur, wenn an einem Stand gezielt zur Gewalt aufgerufen wird.

„Im Rechtsstaat gilt nicht das Rosinenprinzip“, sagt die FDP-Innenexpertin Gisela Piltz. Die Verfassung, namentlich die darin verankerte Religionsfreiheit, „bindet die staatliche Gewalt in jedem Fall, auch, wenn es einem nicht gefällt“.

Mit Hilfe des Internets, hat Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) schon bei der Vorlage des letzten Verfassungsschutzberichtes gewarnt, missbrauchten Salafisten vor allem die Begeisterungsfähigkeit von Jugendlichen: „Ihre netzwerkartigen Strukturen bilden die Basis für gefährliche Radikalisierungsprozesse.“ So sei der Anschlag am Frankfurter Flughafen im März vergangenen Jahres, bei dem zwei amerikanische Soldaten getötet wurden, das Werk eines von Salafisten inspirierten Einzeltäters gewesen. Auch die Attentäter der von den Behörden enttarnten „Sauerlandgruppe“ hatten nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz Kontakte zur salafistischen Szene – unter anderem im 2005 verbotenen „Multikulturhaus“ in Neu-Ulm und dem im Herbst 2007 aufgelösten „islamischen Informationszentrum“ in Ulm.

Nicht jeder Salafist sei ein Terrorist, sagt Thomas Oppermann, der Geschäftsführer der SPD-Fraktion. „Aber die Gruppe der Salafisten hat ein ambivalentes Verhältnis zur Gewalt und bietet einen Nährboden für Terrorismus.“ So wurden am Karfreitag in einem vierminütigen Hassvideo im Internet zwei Journalisten des Berliner „Tagesspiegel“ und der „Frankfurter Rundschau“ nach kritischen Berichten über salafistische Gruppierungen namentlich genannt, als „Affen und Schweine“ verhöhnt und massiv bedroht: „Wir besitzen eine Menge an Daten von dir, zum Beispiel wissen wir, wo du wohnst, wir kennen deinen Fußballverein, wir besitzen deine Mobilfunknummer.“

Gegen den Macher des inzwischen aus dem Netz genommenen Stückes laufen nach Auskunft des Innenministeriums bereits strafrechtliche Ermittlungen. Der Mann, der sich „Sabri“ nennt, soll schon mehrfach für Ibrahim Abou Nagie gearbeitet haben.

Salafisten in Bayern

Bei der Verteilung von Millionen Koran-Exemplaren in Deutschland haben die Salafisten nach Einschätzung von Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ausländische Geldgeber im Hintergrund. „Bundesweit haben wir etwa 3800 Salafisten, in Bayern etwa 450“, so Herrmann. Anderen Angaben zufolge hat der Salafismus, der als Sammelbecken für gewaltbereite Islamisten gilt, in Deutschland rund 2500 Anhänger. In Bayern halten sich die Salafisten mit Aktionen bislang zurück. Bislang gab es zwei Infostände in München und Nürnberg. Einen Gratis-Koran, den man nur aus Höflichkeit angenommen hat und nicht behalten möchte, sollte man nicht einfach in den Müll werfen. „Am besten man gibt ihn in der nächsten Moschee ab“, sagt Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Viele Muslime sehen es nämlich als beleidigend an, wenn man das Buch achtlos auf den Boden oder in den nächsten Mülleimer wirft – so wie man es vielleicht mit einem geschenkten Kugelschreiber machen würde. „Man sollte mit großem Respekt damit umgehen“, rät Steinberg. TEXT: DPA

 
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