Als „nicht ideal“ bezeichnete der britische Premierminister David Cameron die Umstände, unter denen der viertägige Parteitag der konservativen Torys begonnen hat. Ein verhüllender Ausdruck für den derzeitigen Zustand der regierenden Partei. Er färbt die Hiobsbotschaften schöner, als sie in Downing Street seit Wochen ankommen.
Zwar hätten die Konservativen in vielerlei Hinsicht Grund, sich während ihrer Konferenz ein ums andere Mal auf die Schulter zu klopfen. Die Arbeitslosenquote sinkt und dem Internationalen Währungsfonds zufolge wird das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr höher sein als das der anderen großen Industrieländer. Zum Schulterklopfen kommen Cameron und Co. dennoch nicht.
Überläufer zur Ukip
Vergangenen Freitag lief mit Mark Reckless ein Tory-Abgeordneter zur europaskeptischen Unabhängigkeitspartei Ukip über. Bereits Ende August kehrte der Parlamentarier Douglas Carswell Camerons Partei den Rücken und trat ebenfalls den Rechtspopulisten bei. Damit müssen Nachwahlen ausgerufen werden, die Abtrünnigen könnten erste Unterhausmandate für die Ukip erkämpfen.
Dann stürzte am Wochenende der für die Zivilgesellschaft zuständige Staatssekretär Brooks Newmark über einen Sexskandal. Das Kabinettsmitglied trat zurück. Erst vor rund zwei Wochen ging das schottische Referendum gerade noch glimpflich für David Cameron und die Unionisten aus. Das Land stand kurz vor dem Auseinanderbrechen und nur weitreichende Zugeständnisse von Westminster überzeugten viele Unentschiedene, nicht für die Unabhängigkeit zu stimmen. Die Zusagen vonseiten des Premiers an die Schotten wurden parteiintern scharf kritisiert, viele Tories sind unzufrieden damit, dass Cameron dem nördlichen Landesteil so hastig mehr Souveränität versprochen hat.
Doch der dominierende Streitpunkt dreht sich um Europa. Die antieuropäischen Hinterbänkler im Unterhaus lassen sich kaum noch kontrollieren, zunehmend überträgt sich die europakritische Stimmung im Land und die Angst vor dem Aufstieg der Ukip auf die Atmosphäre in der Partei. Cameron möchte die EU nicht verlassen, aber er steht unter Druck und will mit seiner Annäherung an populistische Meinungen übergelaufene Wähler und aufmüpfige Kollegen wieder einfangen. Der Effekt? Seine ohnehin schwache Position in der Partei wird nur noch schwächer.
„Eine inbrünstige Besessenheit mit der EU, die objektiv gesehen fast das kleinste unserer vielen Probleme ist, hat die Tories infiziert und jeden Geist von Loyalität zerstört“, schrieb der „Guardian“.
Tatsächlich haben sich beide Ukip-Überläufer aufgrund ihrer Enttäuschung über Cameron und dessen Europa- und Einwanderungspolitik zu diesem Schritt entschieden. Reckless befürwortet einen „Brexit“, einen Austritt Großbritanniens aus der EU. Diesen will Cameron im Jahr 2017 zur Wahl stellen, davor aber will er bessere Konditionen in Brüssel ausgehandelt haben.
Problem Zuwanderung
Daran zweifeln viele EU-Skeptiker. Nachdem der Premier versprochen hatte, die Immigration auf jährlich 100 000 zu beschränken, sind allein 2013 mehr als 170 000 Menschen, vor allem aus Süd- und Osteuropa über den Ärmelkanal gekommen. Solche Zahlen gießen Öl ins mittlerweile lodernde Feuer der Ukip.
Bislang sehen Umfragen die Tories für die Parlamentswahl knapp hinter der oppositionellen Labour-Partei. Cameron ist aber persönlich beliebter als der Chef der Sozialdemokraten, Ed Miliband. Der Parteitag der Konservativen birgt eine letzte Chance zum Wandel, hin zu Solidarität und einer einheitlichen Linie. Sonst könnten sich die Tories am Ende selbst aus der Regierung werfen.