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Das zweite Erdbeben kam beim Aufräumen
Von unserem Korrespondenten Julius Müller-Meiningen
 |  aktualisiert: 29.05.2012 20:00 Uhr

Es hieß, die Normalität kehre langsam zurück in die Emilia-Romagna. Doch nun erleben die Menschen in der italienischen Region innerhalb weniger Tage ihren zweiten Albtraum. „Es ist ein Desaster“, sagte der Polizeikommandant von San Felice sul Panaro. „Alles ist eingestürzt, es herrscht Chaos“, berichtete ein Feuerwehrmann aus dem Ort Concordia.

Fünf schwere Erdstöße erschütterten am Dienstagvormittag Nordostitalien und insbesondere die Provinz Modena. Der bisher stärkste um neun Uhr früh erreichte einen Wert von 5,8 auf der Richterskala. Gegen Mittag wurde ein Beben mit Stärke 5,6 gemeldet. Wieder stürzten Dutzende Gebäude, Kirchen und Türme ein. Wieder gab es Tote. Mehrere Menschen werden unter den Trümmern vermisst. Nach dem neuen Erdbeben in der Emilia-Romagna ist die vorläufige Bilanz noch verheerender als vor zehn Tagen. Damals waren sieben Menschen ums Leben gekommen.

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Besonders dramatisch wirkt die neuerliche Katastrophe angesichts der Routine, die sich in der Gegend gerade wieder eingespielt hatte. „Letzte Nacht haben wir zum ersten Mal wieder zu Hause geschlafen, dann kam das nächste Beben“, sagte ein Bewohner des Dorfes Sant'Agostino im italienischen Fernsehen. Gerade noch begutachteten Experten die Schäden, die das Beben vom 20. Mai angerichtet hatte.

Die Helfer hatten Zeltlager für etwa 7000 Obdachlose aufgebaut. Die Menschen richteten sich auf ruhigere Tage ein, obwohl auch in den vergangenen Tagen immer wieder Erdstöße zu spüren waren. Am Dienstagvormittag bebte die Erde dann beinahe so heftig wie vor neun Tagen, als das Beben Stärke 6,0 erreichte. Das neue Epizentrum bei Medolla liegt nur fünf Kilometer westlich des früheren Epizentrums in San Felice sul Panaro. „Der Staat wird in kürzester Zeit alles nur Erdenkliche tun“, versicherte der italienische Ministerpräsident Mario Monti.

Diesmal sind die Schäden noch gravierender, weil das zweite Erdbeben viele der bereits beschädigten Strukturen endgültig vernichtete. So stürzte die Este-Festung in Finale Emilia ein, die bereits beim ersten Beben beschädigt worden war. Der Pfarrer des Doms der Ortschaft Carpi soll von den herabstürzenden Trümmern der Kirche getötet worden sein, berichteten italienische Medien. Wieder war das Beben bis nach Mailand, Venedig und in den Piemont zu spüren. Wieder sind Kulturschätze vernichtet, auch aus der Stadt Mantua wurden Schäden an Kirchen und am berühmten Palazzo Ducale gemeldet. In der vom Erdbeben am Stärksten betroffenen Gegend, aber auch in Mailand wurden Schulen evakuiert. Der Zugverkehr in Norditalien kam teilweise zum Erliegen. Am Nachmittag sagte die italienische Nationalmannschaft ihr Freundschaftsspiel gegen Luxemburg in Parma wegen des Erdbebens ab.

Und wieder werden Tote gezählt, die beim Einsturz von Fabrikhallen erdrückt wurden. Drei Arbeiter starben, als am Dienstagmorgen eine Fabrikhalle in San Felice sul Panaro einstürzte, drei weitere beim Einsturz eines Firmengebäudes in Mirandola bei Modena. Der Fall ist besonders tragisch: Die Gebäude der Firma Bbg waren auf ihre Sicherheit hin überprüft und erst am Montag wieder geöffnet worden.

Nun stehen auch die Behörden, in erster Linie der italienische Zivilschutz, in der Kritik. Die Verantwortlichen hatten vielen Menschen in der Gegend zugesichert, sie könnten wieder in ihre Wohnungen zurückkehren. Auch Firmengebäude wurden freigegeben, einige davon stürzten am Dienstag ein.

Erdbeben-Experten waren sich nicht darüber einig, ob das zweite Beben in dieser Stärke vorhersehbar gewesen sei. Alessandro Amato, Seismologe des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie (Ingv) sagte: „Bei einer so komplizierten geologischen Struktur waren andere schwere Erdbeben denkbar.“ Gianvito Graziano, Präsident des nationalen Geologen-Rats (Gng) behauptete hingegen: „Die Wahrscheinlichkeit, dass sich in dieser Gegend ein derartiges Erdbeben wiederholt, war ziemlich gering.“

Seit über 400 Jahren war die Gegend zwischen Modena, Bologna und Ferrara nicht mehr von Erdbeben betroffen. Dies gilt unter Experten als Zeichen dafür, dass keine großen Beben unmittelbar bevorstehen.

Die Region Emilia-Romagna gilt nicht als besonders von Erdbeben bedrohtes Gebiet. Gefährdet sind in Italien vor allem die Regionen Friaul, Umbrien, Abruzzen und Kampanien. Die Apenninenhalbinsel liegt zwischen der afrikanischen und der eurasischen Platte, die in Bewegung sind und Italien im Lauf von Millionen Jahren gegen den Balkan drücken. „Die italienische Halbinsel positioniert sich in geologischer Hinsicht neu, das geschieht im Lauf von Jahrhunderten“, sagte der Geophysiker Giovanni Gregori. Experten gingen davon aus, dass die Erdstöße anhalten.

 
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