Als die Mitglieder der türkischen Gendarmerie am Mittwoch an den Strand von Akyarlar in der Nähe des Badeortes Bodrum kamen, stockte ihnen der Atem. „Alle dachten sofort an die eigenen Kinder“, berichtete ein Unteroffizier später der Zeitung „Hürriyet“. Am Strand lag die Leiche des dreijährigen Aylan Kurdi. Der Offizier hob den Jungen auf, „so, wie wir unsere eigenen Kinder in den Arm nehmen“. Das Foto des kleinen Aylan aus Syrien, der bei der Überfahrt nach Griechenland ertrunken war, ging unterdessen um die Welt. Aylans Geschichte macht deutlich, wie aussichtslos die Lage der Flüchtlinge ist, welche Gefahren sie auf sich nehmen – und wie rücksichtslos die Schlepper vorgehen.
Die Familie Kurdi war von Schleppern in Akyarlar auf ein Schlauchboot gesetzt worden, das sie zur nahen griechischen Insel Kos bringen sollte. Türkische Medien zitierten Überlebende der Reise mit der Aussage, die Schleuser hätten 17 Menschen in das Boot gequetscht, in dem nur Raum für zehn Insassen war. Um Platz zu sparen, nahmen die Schlepper den Flüchtlingen die Schwimmwesten ab – möglicherweise war das das Todesurteil für den kleinen Aylan. Das völlig überladene Boot kenterte, der kleine Junge, sein Bruder, seine Mutter und andere Bootsinsassen ertranken. Das jüngste Opfer war ein neun Monate altes Baby.
Vater Abdullah Kurdi war mit seiner Familie aus der umkämpften nordsyrischen Stadt Kobane geflohen. Die Kurdis hofften auf ein besseres Leben in Europa, nachdem ein Asylgesuch in Kanada abgewiesen wurde. Verwandte hatten sich in Kanada für die Kurdis eingesetzt, doch bürokratischer Streit zwischen den türkischen und kanadischen Behörden machte alle Hoffnungen zunichte.
Deshalb entschied sich die Familie für die Schlepper und für die gefährliche Überfahrt nach Griechenland, die teurer war, als Flugtickets nach Kanada gewesen wären. Nun will Andullah Kurdi die Leichen seiner Söhne und seiner Frau zurück nach Kobane bringen und dort beisetzen.
Erdogan kritisiert Europas Politik
Für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ist der Tod des kleinen Aylan ein weiteres Beispiel für die gewissenlose Haltung der Europäer in der Flüchtlingsfrage. Während die Türkei fast zwei Millionen Syrer, mehr als 200 000 Iraker und 100 000 Afghanen aufgenommen hat, streiten die Europäer über Verteilungsschlüssel und Unterbringung. Das Mittelmeer werde so zu einem „Friedhof“, sagte Erdogan. Europa versündige sich an den Flüchtlingen.
Ob sich nach Aylans Tod und der weltweiten Bestürzung über das Foto seiner Leiche am Strand viel ändern wird, ist kaum zu erwarten. Am Donnerstag verstärkten die türkischen Behörden zwar vorübergehend die Sicherheitsvorkehrungen an der Küste bei Bodrum und nahmen einige mutmaßliche Schleuser fest. Doch damit allein wird das Problem nicht gelöst. „Es gibt immer noch mehr Flüchtlinge, die auf die Überfahrt warten“, sagte der Gendarmerie-Offizier, der Aylan am Strand gefunden hatte. „Wir tun, was wir können, aber es reicht nicht“, denn die Flüchtlinge wissen keinen anderen Ausweg. „Sie sagen uns: ,Wenn wir nicht gehen, sterben wir eben in Syrien.'“