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Das Tragische an der Krankheit ALS
Vortrag Stephen Hawking       -  Auch Astrophysiker Stephen Hawking leidet an der Krankheit ALS.
| Auch Astrophysiker Stephen Hawking leidet an der Krankheit ALS.
Thomas Brandstetter
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:54 Uhr

Weltweit kippen sich derzeit Menschen Eiswasser übern Kopf. Was zu einem Internet-Jux wurde, war vor ein paar Wochen in den USA als „Ice Bucket Challenge“ erfunden worden, um auf die tödliche Krankheit ALS aufmerksam zu machen und Geld für die Forschung zu bekommen. Aber was genau steckt hinter den drei Buchstaben? Ein Gespräch mit Privatdozent Dr. Stephan Klebe, dem Leiter der ALS-Sprechstunde an der Klinik für Neurologie des Würzburger Uniklinikums, über die tragische Erkrankung Amyotrophe Lateralsklerose und Therapiemöglichkeiten.

Frage: Was halten Sie von der „Ice Bucket Challenge“?

Dr. Stephan Klebe: Dass eine seltene Krankheit wie die Amyotrophe Lateralsklerose durch diese Aktion eine so große Aufmerksamkeit bekommt, ist erst mal gut, und wenn das Spendenaufkommen dadurch gesteigert werden kann, ist das natürlich auch schön.

Aber ist der Jux dem tragischen Hintergrund dieser tödlichen Erkrankung überhaupt angemessen?

Klebe: Es ist ein zweischneidiges Schwert. Wenn der Spaß zu sehr in den Vordergrund tritt und die Krankheit deshalb zurücksteht, wäre es natürlich schade. Es sollten bei diesen Aktionen auch immer Hintergründe zu der Erkrankung erläutert werden, was oft nicht geschieht.

Angeblich soll die Lebenserwartung lediglich bei um die drei Jahre nach der Erstdiagnose liegen . . .

Klebe: Das ist das statistische Mittel. Ich habe immer Schwierigkeiten damit, konkrete Zahlen zur Lebenserwartung zu nennen, da dies für den individuellen Patienten nicht genau vorherzusagen ist. Es gibt ganz unterschiedliche Krankheitsverläufe. Wir hatten schon sehr junge Patienten, bei denen die Krankheit sehr schnell vorangeschritten ist und die innerhalb kurzer Zeit gestorben sind. Aber es gibt auch Verläufe, die sich durch die Therapie verlangsamen lassen. Auch wenn wir noch ziemlich wenig über die genauen Ursachen wissen, geht die Medizin heute davon aus, dass es mehrere ALS-Formen gibt.

Bei Physikgenie Stephen Hawking wurde ALS schon 1963 diagnostiziert, der 72-Jährige lebt und arbeitet dank Sprachcomputer, den er mit den Augen steuert, heute noch. Künstler Jörg Immendorff dagegen starb 2007 mit 61 zehn Jahre nach der Erstdiagnose . . .

Klebe: Ich habe beide nicht untersucht und habe auch keine Arztbriefe gelesen. Aber nach allem, was man mitbekommen hat, leidet Hawking offenbar unter einer besonderen Form der Amyotrophe Lateralsklerose, die durch einen besonders langsamen Verlauf gekennzeichnet ist.

ALS ist eine sehr seltene Erkrankung.

Klebe: Die Prävalenz, also die Krankheitshäufigkeit, liegt bei etwa eins pro 100 000, bei 80 Millionen in Deutschland also bei etwa 8000 Erkrankten. In nur zehn Prozent aller Fälle geht man von einer genetischen Ursache aus. Beim Rest kennt man die Gründe, warum die Erkrankung beginnt, einfach nicht.

Welche Frühsymptome sind typisch.

Klebe: Zu uns kommen Menschen, die an Muskelzuckungen oder Schwächung der Muskulatur leiden und oft eine Odyssee an Arztbesuchen hinter sich haben, bis ein ALS-Verdacht erwogen wird.

Was passiert bei ALS?

Klebe: Es kommt zu einer fortschreitenden und irreversiblen Schädigung beziehungsweise Degeneration der Nervenzellen, der Neuronen, die für die Muskelbewegungen verantwortlich sind. Es können Nervenzellen in der Hirnrinde betroffen sein ebenso wie bestimmte Nervenzellen im Rückenmark oder in den Hirnnervenkernen. Durch die Degeneration kommt es zur zunehmenden Muskelschwäche, die mit Muskelschwund oder einem erhöhten Muskeltonus, einer sogenannten Spastik, einhergeht. Durch die Schwäche der Muskulatur kommt es unter anderem zu Gang- und Sprechstörungen, viele Patienten haben mit der Zeit auch große Schwierigkeiten mit dem Schlucken.

Was kann die Medizin dagegen tun?

Klebe: Wir können leider noch nicht die Ursachen, sondern nur die Symptome der Erkrankung behandeln. Es gibt ein einziges Medikament mit dem Wirkstoff Riluzol, das durch Studien erwiesen den Verlauf verlangsamen kann. Das Medikament soll den Untergang der Nervenzellen hemmen und so die Lebensdauer der Patienten verlängern. Leider können wir die Erkrankung mit diesem Medikament nicht heilen.

Warum eigentlich? Wird zu wenig geforscht, oder nimmt die Pharmaindustrie einfach nicht das Geld in die Hand, um Medikamente zu entwickeln, weil sie bei so wenigen Betroffenen fürchtet, nicht genügend daran zu verdienen?

Klebe: Ich bin durchaus auch pharmaindustriekritisch, aber in diesem Fall kann man den Firmen, glaube ich, keinen großen Vorwurf machen. Ich glaube auch, dass viel an ALS geforscht wird, unter anderem hier an der Uniklinik. Aber die Medizin hat die genauen Mechanismen der Krankheit einfach noch nicht herausgefunden. Deshalb kann die Therapie derzeit nur eine symptomatische sein, bei der im Idealfall ein interdisziplinäres Team zusammenarbeitet.

Wie viele Betroffene behandeln Sie in Würzburg?

Klebe: Pro Woche im Schnitt zwei Patienten in der Sprechstunde, wobei stationär auch meist ein, zwei zusätzlich behandelt werden.

Warum hat ausgerechnet das Würzburger Uniklinikum eine solche Spezialsprechstunde?

Klebe: Das hat mit den neurologischen Forschungsschwerpunkten einer Klinik zu tun. Ich bin erst drei Jahre in Würzburg, ein Schwerpunkt der Würzburger Neurologie war schon lange ALS. Außerdem sitzt die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke bei uns im Haus, auf deren Unterstützung wir zurückgreifen können. Sie hilft bei der Behandlung von ALS-Patienten.

Motivation für die „Ice Bucket Challenge“ war es, mehr Spenden für die ALS-Forschung zusammenzubekommen. Kann man auch für die Würzburger ALS-Forschung spenden?

Klebe: Auch unsere Klinik, die noch andere Forschungsschwerpunkte hat, hat ein Konto, auf das gespendet werden kann. Das Geld kommt dann zwar nicht ausschließlich, aber selbstverständlich auch der ALS-Forschung hier zugute. Außerdem kann man der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke spenden.
 

 
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