Deeskalation im Ukraine-Konflikt hat der Krisengipfel vergangene Woche im weißrussischen Minsk zunächst nicht gebracht. Zwar trat die Waffenruhe am Sonntag formell in Kraft, aber um Debalzewo eskalierte die Gewalt trotzdem. Nach monatelangen Gefechten haben die Separatisten die ostukrainische Stadt weitgehend eingenommen. Separatistensprecher Eduard Bassurin sprach von „vielen Gefangenen und Toten“. Beide Seiten werfen sich vor, die vereinbarte Waffenruhe nie eingehalten zu haben. Die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit) sagte, alle Seiten versuchten offenbar, bei Kämpfen neue Tatsachen zu schaffen– was dem Geist des Minsker Abkommens widerspreche.
Warum gibt es den Kampf
um die Stadt Debalzewo?
Debalzewo liegt an der Fernverkehrsstraße zwischen den Hochburgen der Separatisten, Donezk und Lugansk. Die Aufständischen brauchen Debalzewo für eine einfachere Verkehrsanbindung an Russland.
Das ukrainische Militär und die prorussischen Separatisten werfen sich gegenseitig vor, die am Sonntag ausgerufene Waffenruhe nicht einzuhalten. Damit verzögert sich der im Friedensplan vorgesehene Abzug schwerer Waffen und die Einrichtung einer Pufferzone. Solange weiter gekämpft wird, sind die Aufständischen und die Armee nicht zu diesem wichtigen Schritt für eine Deeskalation bereit, und der Friedensplan steht weiter auf der Kippe.
Die prowestliche Führung in Kiew möchte wieder die Kontrolle über die Separatistengebiete und vor allem über die Grenze zu Russland erlangen. Die prorussischen Aufständischen hingegen streben weiter die Unabhängigkeit ihrer Gebiete an und wollen zusätzliche Orte wie etwa die Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer erobern. Schon kurz nach der Einigung auf den Friedensplan in der weißrussischen Hauptstadt Minsk begannen beide Seiten, Teile des Abkommens zu relativieren. So erklärte die Regierung in Kiew, sie wolle eine vereinbarte Amnestie für Konfliktbeteiligte nicht auf die Anführer der Separatisten anwenden. Auch wie eine geplante größere Autonomie für Gebiete des Donbass aussehen soll, ist völlig offen.
Seit dem Ukraine-Gipfel vergangene Woche stehen Kanzlerin Angela Merkel, Kremlchef Wladimir Putin und der ukrainische Präsident Petro Poroschenko in engem Kontakt. In zahlreichen Telefonaten – auch im sogenannten Normandie-Format mit dem französischen Staatschef François Hollande – versuchen sie, den Friedensplan zu retten. Merkel bezeichnete die Situation in der Ostukraine zuletzt als „fragil“. Im Kreml in Moskau war trotz der schweren Gefechte von positiven Entwicklungen die Rede.
Die Entwicklungen bei Debalzewo könnten den Friedensprozess zum Scheitern bringen. Vieles hängt davon ab, wie in Kiew reagiert. Wenn sie die strategisch wichtige Stadt komplett aufgibt, könnte das dem prowestlichen Präsidenten Petro Poroschenko von Hardlinern in Kiew als Verrat ausgelegt werden. Zeigt Poroschenko Härte und führt wie angedroht das Kriegsrecht ein, könnte der Konflikt weiter eskalieren. Auch könnten die USA dann wieder Waffenlieferungen an die Ukraine in Erwägung ziehen – ein Schritt, den die Bundesregierung ablehnt. Russland sähe darin wohl eine Bedrohung.