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DOHA
Das Schicksal der Sklavenarbeiter am Golf
Migrantenarbeiter in Doha: Ihren Reichtum verdanken die superreichen Golfstaaten vor allem dem Öl und Millionen von Arbeitskräften aus Pakistan, Indien, Bangladesch und den südasiatischen Staaten, die schlecht bezahlt und praktisch rechtlos auf den Großbaustellen schuften oder in arabischen Luxusvillen dienen.
Foto: Str, AFP | Migrantenarbeiter in Doha: Ihren Reichtum verdanken die superreichen Golfstaaten vor allem dem Öl und Millionen von Arbeitskräften aus Pakistan, Indien, Bangladesch und den südasiatischen Staaten, die schlecht ...
reda
 |  aktualisiert: 11.01.2016 11:48 Uhr

Zunächst war Victoria durchaus zufrieden mit ihrer Arbeit, als sie im August 2012 in Katar ankam. Zwar musste die junge Philippinin regelmäßig von 5 Uhr früh bis 20 Uhr putzen, kochen und waschen. Freitags hatte sie frei, konnte nach Doha in die Shopping Malls. Pünktlich und ohne Abzug erhielt sie ihr vereinbartes Gehalt von umgerechnet 220 Euro ausgezahlt.

Das alles änderte sich schlagartig, als über Weihnachten zwölf Familienmitglieder aus Australien zu Besuch kamen, vier Wochen blieben und sich von vorne bis hinten bedienen ließen. Die Haushaltshilfe schuftete rund um die Uhr, alle freien Tage wurden gestrichen. Als sie nach der Abreise der Gäste dafür einen Lohnzuschlag verlangte, begann der Stress. Einen Monat stand sie unter Hausarrest, ihr Lohn wurde fortan um zehn Prozent gekürzt und die freien Tage auf zwei pro Monat halbiert – Strafen ihrer Arbeitgeberin, der die junge Frau völlig rechtlos ausgeliefert war.

Victorias Fall, von Amnesty International in dem Bericht „Mein Schlaf ist meine Pause“ dokumentiert, ist alltäglich in einer Region, in der inzwischen mehr als 23 Millionen Ausländer tätig sind, darunter 2,4 Millionen Haushaltshilfen. Andere angeworbene Frauen machen weitaus extremere Erfahrungen, sie werden geschlagen und gedemütigt, als „Esel“ oder „Tier“ beschimpft, bekommen tagelang nichts zu essen oder werden Opfer sexueller Übergriffe.

Einer 28-jährigen indonesischen Hilfe brach ihr Arbeitgeber die Hand, als er ihr den Arm umdrehte. Anschließend weigerte er sich, sein Opfer zum Arzt zu bringen – ein Vorfall, den Human Rights Watch veröffentlichte. Die indonesische Botschaft in Katar gibt an, durchschnittlich fünf bis zehn Haushaltshilfen suchten täglich Schutz in der Mission.

Dabei präsentieren sich die sechs superreichen Golfstaaten Bahrain, Kuwait, Oman, Katar, Emirate und Saudi-Arabien gerne als glitzernde Beispiele von Modernität, Zivilisation und Wohlstand inmitten einer Region, die ansonsten von Bürgerkriegen, Gewalt und Fanatismus zerrüttet wird. Ihren Reichtum verdanken sie dem Öl und Millionen von Arbeitskräften aus Pakistan, Indien, Bangladesch und den südasiatischen Staaten, die schlecht bezahlt und praktisch rechtlos auf den Großbaustellen schuften oder in arabischen Luxusvillen dienen. Keine andere Weltgegend nutzt Migranten in solchen Dimensionen und mit solchen jährlichen Zuwachsraten. Die meisten arbeiten in Saudi-Arabien, wo sie 35 Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Jeder Neuankömmling braucht für sein Arbeitsvisum einen einheimischen „Sponsor“, der nach dem dubiosen Kafala-System allmächtig ist. Die meisten bekommen bereits bei Ankunft ihren Pass abgenommen, sind jeder Willkür ausgeliefert und dürfen erst nach zwei Jahren ihre Familie daheim besuchen. Wie eine Arbeitsmaschine reichen einheimische Unternehmer die Gastarbeiter nach Belieben an andere weiter – ohne ihr Einverständnis einzuholen. Ein gesetzlicher Mindestlohn existiert ebenso wenig wie eine Krankenversicherungspflicht. Wer widerspricht, vorenthaltene Bezahlung nachfordert oder streikt, fliegt raus und muss die Heimreise antreten. Auch Kündigung, Wechsel des Arbeitgebers und Flucht aus dem Gastland sind praktisch unmöglich – in Katar und Saudi-Arabien ist ein Ausreisevisum mit der Unterschrift des Sponsors nötig.

Und so verlieren internationale Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen sowie internationale Gewerkschaften langsam die Geduld mit der tief eingeschliffenen Sklavenpraxis auf der Arabischen Halbinsel. 93 Organisationen haben jetzt in einem Memorandum die Golfstaaten aufgefordert, ihr rückständiges Arbeitsrecht zu modernisieren und effektive Kontrollen einzuführen. Anlass ist die dritte Konferenz des sogenannten „Abu Dhabi Dialogs für Migrantenarbeiter“, die in dieser Woche in der Hauptstadt der Emirate stattfindet und bei der die asiatischen Arbeitsminister ihren Amtskollegen vom Golf endlich Zugeständnisse abtrotzen wollen. Das erste Treffen fand 2008 in Abu Dhabi statt, das zweite 2012 in Manila.

Seit dem Zuschlag für die Fußball-Weltmeisterschaft für Katar vor vier Jahren schlägt das ausbeuterische Arbeitssystem am Golf auch international hohe Wogen. Trotzdem bleibt das Tempo der Sozialreformen minimal. Gastarbeiter sollen künftig ihren Lohn elektronisch ausgezahlt bekommen, um willkürliche Kürzungen zu erschweren. Zudem sind die Golf-Behörden dabei, einen gemeinsamen Standardvertrag für Haushaltshilfen zu entwerfen.

Doch von Forderungen, unabhängige Gewerkschaften zu erlauben, das Kafala-System abzuschaffen sowie eine effiziente Arbeitsaufsicht einzuführen, an die sich Ausgebeutete wenden können – von all dem wollen die gekrönten Häupter nichts wissen.

Kein Wunder, dass der Ton ihrer Kritiker immer rauer wird. „Eine fundamentale Reform des Arbeitsrechts in der Region ist absolut dringend“, fordert der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB). Die Golfstaaten hätten die Macht, die Ausbeutung der Migrantenarbeiter praktisch sofort zu beenden. „Bislang jedoch fehlt dazu jeder politische Wille.“

 
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