Nordkorea provoziert die Welt. Das kommunistische Land führt trotz UN-Resolutionen und internationalen Sanktionen Atomversuche und Raketentests durch, droht den Nachbarländern und den USA. Nach außen dringen allenfalls Heldengeschichten über den verherrlichten Führer Kim Jong Un.
Peter Neher: Es war eine Reise durch eine vergangene Zeit. Vieles erinnert an den Ostblock, die DDR damals, Polen oder die Sowjetunion der 1970er Jahre.
Neher: Die Hauptstadt Pjöngjang ist eine lebendige Stadt mit reger Bautätigkeit. Überall entstehen neue Gebäude. Aber es gibt auch viele eindrucksvolle, große Bauten aus der sozialistischen Zeit. Der Verkehr ist mit einer westlichen Großstadt zwar nicht vergleichbar. Aber unter der begrenzten Zahl von Fahrzeugen fallen relativ viele deutsche Fabrikate auf - nicht nur alte Modelle, sondern aus der gegenwärtigen Produktion. Und es fallen die vielen Uniformierten auf. Überall sieht man die blauen Uniformen der Polizei oder Militär, es gibt keine Kreuzung, an der nicht uniformierte Menschen stehen.
Neher: Anders. Die Straßen sind in sehr schlechtem Zustand, oft sind ganze Fahrstreifen nicht befahrbar. Es sind fast nur Transporter unterwegs, wenige Autos. Und wenn, dann sind es Angehörige der gehobenen Klasse. Auf den Äckern sieht man Arbeitsbrigaden, die mit primitivsten Hilfsmitteln arbeiten. Oft mit bloßen Händen. Die Pflüge werden von Ochsen gezogen.
Neher: Ich vermute es, denn die Menschen haben kein Handwerkszeug. Und wenn, dann ist es sehr veraltet. Es gibt zwar keine Hungersnot, wohl aber mangelhafte Ernährung. In jüngster Zeit hat es vermutlich eine Benzinpreiserhöhung gegeben.
Neher: Man muss wissen, dass man als Ausländer in Nordkorea nie alleine ist, sondern rund um die Uhr begleitet wird. So dass man – jenseits der Sprachschwierigkeiten – gar keine Chance hat, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Und wenn, dann würden die nie etwas Kritisches sagen. Das haben wir auch in der DDR gesehen: Man kann nie wirklich unterscheiden, ob man einen authentischen Menschen vor sich hat oder er nur sprachlich gut trainiert ist.
Es bleibt immer ein doppelter Boden – und man muss viel zwischen den Zeilen lesen.
Neher: Die Menschen sagen, dass sie die Atombombe brauchen, weil sie von Südkorea und den USA bedroht werden. Da habe ich mir die Freiheit genommen, ihnen zu vermitteln, dass sie in ihrem Land auch nicht mehr leben könnten, wenn Kim Jong Un die Atombombe einsetzt.
Neher: Wir unterstützen kein Regime, sondern helfen einzelnen Menschen – wie etwa den mehreren Millionen Kindern, die in den vergangenen Jahren geimpft wurden oder den alten Menschen, für die wir Tagesstätten aufbauen. Diese Situation haben wir im Übrigen nicht nur in Nordkorea, sondern in vielen Ländern, in denen wir arbeiten. Und es ist immer ambivalent, weil man in einer Diktatur natürlich mit dem System zusammenarbeiten muss, wenn man den Menschen helfen will.
Neher: Anders geht es leider oft nicht. In Ländern, wo wir direkt ohne Umwege als Caritas oder mit Nichtregierungsorganisationen arbeiten können, ist das natürlich einfacher. Wenn ich mit einer Ordensschwester in Äthiopien durch Addis Abeba laufe, dann sagt sie mir in fünf Sätzen, wo in dieser Stadt der Schuh drückt. So etwas gibt es in Nordkorea nicht. Denn da ist ja eigentlich alles gut.
Neher: Offiziell ja, nicht aber unbedingt im vertraulichen Gespräch. Ein kleines Beispiel: Ein Mann hat mir erzählt, dass er vor 15 Jahren noch überzeugt davon war, dass sie in Nordkorea das beste und einzige Gesundheitssystem auf der Welt haben. Das glaubt er mittlerweile nicht mehr. Bei Einzelnen ist also schon ein Horizont da. Aber der Mann würde niemals offen sagen, was wirklich faul ist in dem Land. Trotzdem: So eine Aussage ist schon bemerkenswert und entspricht sicher nicht der offiziellen Lehre.
Neher: Einzelne ja. Auch durch unsere Projekte, die ja für einige Nordkoreaner ein Fenster zur Welt sind. Für mich hat in Nordkorea übrigens der Leitgedanke des SPD-Politikers Egon Bahr – „Wandel durch Annäherung“ – eine neue Bedeutung bekommen. Wenn sich etwas verändern kann, dann nur durch sich begegnen und kennenlernen. Darum wollen wir den Kontakt halten, obwohl wir wissen, dass es ein Regime ist, das als Regime nicht zu unterstützen ist. Aber es kann gar nicht so furchtbar und schlimm sein, dass es sich um der Menschen willen nicht lohnt.
Neher: Es gab Mitte der 1990er Jahre eine große Hungersnot, die das Regime überfordert hat. Die Regierung hat damals die Vereinten Nationen um Hilfe gebeten – so kam auch Caritas Deutschland ins Spiel.
Neher: Nothilfe geleistet. Wir haben damals Nahrungsmittel verteilt. Anfang der 2000er Jahre war das nicht mehr nötig, doch der Kontakt ist geblieben.
Neher: Aus der Nothilfe von damals ist heute eine Art Entwicklungsunterstützung geworden. Wir haben in zwei der 16 Provinzen mit Mitteln der Bundesregierung 84 Solargewächshäuser gebaut, die an Infektionskrankenhäuser angeschlossen sind.
Neher: Ja. Denn speziell Tuberkulose- und Hepatitis-A-Patienten brauchen eine ausgewogene, gesunde Ernährung. Also Obst und Gemüse. Jedes der Gewächshäuser sollte mindestens 30 Tonnen Obst und Gemüse im Jahr erwirtschaften. Und in der kalten Jahreszeit werden dort auch Schweine gezüchtet.