„Diesen Tag finde ich gut“, zeigte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel erleichtert. „Er wäre ohne die deutsch-französische Zusammenarbeit so nicht erfolgt.“ Tatsächlich war es ein kurzfristig zustande gekommener Kompromiss zwischen Paris und Berlin, der den drohenden Baustopp der 1200 Kilometer langen Gas-Pipeline aus Russland durch die Ostsee nach Deutschland abgewendet hat. Die EU-Botschafter mussten am Freitag über eine Reform der europäischen Gas-Richtlinie beraten. Sie legt fest, dass der Betrieb einer Pipeline nicht in den Händen des Unternehmens liegen darf, das auch den Rohstoff liefert.
Allerdings gibt es bisher keine Bestimmung darüber, wie zu verfahren ist, wenn das Gas aus einem Drittstaat wie Russland kommt. Die Brüsseler Kommission wollte erreichen, dass die EU-internen Regeln auch auf solche Geschäfte übertragen werden. Für Nord Stream 2, die schon Ende 2019 in Betrieb gehen (600 Kilometer Rohre sind bereits verlegt) und dann 55 Milliarden Kubikmeter Gas nach Deutschland pumpen soll, wäre es das Aus gewesen. Denn bei dem Projekt ist der russische Staatskonzern Gazprom für beides verantwortlich.
Einigung war eine Überraschung
Der nun getroffene Kompromiss sieht vor, dass die Zuständigkeit für Leitungen aus Drittstaaten bei dem Land liegen, wo die Rohre auf das Gebiet der EU treffen – im konkreten Fall ist das die Bundesrepublik. Sie muss die Einhaltung der EU-Gesetze für den Energiebinnenmarkt sicherstellen. Außerdem sollen für bereits begonnene oder bestehende Pipelines Ausnahmen gelten. Die Einigung war eine Überraschung, denn Nord Stream 2 gilt als heftig umstritten.
Zu den Gegnern gehören vor allem die Ukraine und Polen, die an den Durchleitungsgebühren der bisherigen Pipeline gut verdienen. Die Vereinigten Staaten hatten das Vorhaben ebenfalls scharf kritisiert. Zum einen, weil damit die Abhängigkeit Europas von russischem Gas verstärkt werde. Zum anderen sieht man darin aber auch eine Konkurrenz zum eigenen Gas-Geschäft mit der EU. Überraschend hatte sich, zumindest inoffiziellen Meldungen zufolge, auch Frankreich in den vergangenen Tagen gegen Nord Stream 2 ausgesprochen, war aber dann gestern umgeschwenkt.
Dennoch verstummt die Kritik nicht. „Das ist ein ganz fauler Kompromiss“, sagte der außenpolitische Experte der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, Elmar Brok, gegenüber dieser Redaktion. „Wir müssen doch sehen, dass wir künftig zu 50 Prozent von russischem Gas abhängig sind. Wenn wir dann noch aus der Braunkohle aussteigen, wird diese Abhängigkeit eher noch größer als kleiner.“ Sein Hauptvorwurf richtet sich allerdings gegen das russische Staatsunternehmen Gazprom: „Dieser Konzern hat auf dem europäischen Markt mehr Rechte als jedes andere Unternehmen“, sagte Brok weiter. „Er darf produzieren, liefern, vermarkten und verkaufen – und Europa schneidet seine Regeln auf diesen Konzern zu. Das ist nicht zu akzeptieren.“
Harte Auseinandersetzungen erwartet
So bleibt unsicher, ob die aktualisierte Gas-Richtlinie der EU tatsächlich noch vor der Europawahl im Mai beschlossen werden kann. Vor dem Kompromiss galt eine Zustimmung des Europäischen Parlamentes als reine Formalie. Experten in Brüssel erwarten aber jetzt harte Auseinandersetzungen. Vor allem die östlichen Mitglieder der Gemeinschaft befürchten, dass sie von der Versorgung mit Gas abgeschnitten werden oder dem russischen Druck ausgeliefert sind. Schließlich habe Moskau gegenüber der Ukraine schon mehrfach gezeigt, dass man nicht vor einer Politik mit dem Gashahn zurückschrecke, betonten EU-Abgeordnete aus dem Baltikum auf Anfrage. 2005 und 2009 hatte Gazprom die Belieferung der Ukraine zeitweise eingestellt und damit auch die EU getroffen.
Mit einigem Unbehagen blickte Brüssel am Freitag auch Richtung Washington. Ein ranghoher EU-Diplomat wollte nicht ausschließen, dass sich „US-Präsident Donald Trump für diesen europäischen Ungehorsam seinen Wünschen gegenüber etwas einfallen lässt, das weh tut“.